Nachricht | International / Transnational - Krieg / Frieden - Westeuropa - Asien - Westasien - Türkei Gute Miene zum bösen Spiel

Die Spannungen zwischen der deutschen und der türkischen Regierung nehmen zu.

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Bei den deutsch-türkischen Beziehungen existiert eine auffällige Dissonanz: Während die (real)politischen, militärischen und wirtschaftlichen Beziehungen nach wie vor sehr intensiv sind, scheinen auf der Ebene der Symbolpolitik und den öffentlichen Debatten zunehmende Spannungen zwischen der deutschen und der türkischen Regierung zu bestehen. So nehmen auf der einen Seite die deutschen Waffenexporte in die Türkei massiv zu, während gleichzeitig die türkische Regierung und die regierungsnahe Presse in der Türkei der deutschen Bundesregierung die militärische Unterstützung ihrer Gegner vorwirft. Im Folgenden sollen die gegenwärtigen Konfliktpunkte zwischen der deutschen und der türkischen Regierung in den Blick genommen werden.

EU-Türkei-Flüchtlingsdeal

Mit der Umsetzung des wichtigsten Kooperationsprojektes zwischen Deutschland und der Türkei, dem «Flüchtlingsdeal», sind beide Seiten unzufrieden. Während die Türkei bemängelt, dass die versprochenen EU-Zahlungen nicht vollständig fließen und die vereinbarte Visa-Freiheit für türkische Staatsbürger überhaupt nicht erfolgt, wächst in Deutschland der Unmut darüber, dass die türkische Regierung immer häufiger mit dem öffentlichen Bruch des Deals droht und nichts dafür unternimmt, dass die syrischen Geflüchteten innerhalb der Türkei sicher und versorgt untergebracht werden. Die einzelnen Mechanismen des Deals, wie etwa die Zurückführung der Geflüchteten in die Türkei und die kontrollierte und begrenzte Einreise von Geflüchteten über die Türkei in die EU, funktioniert kaum. Dagegen greift die Schließung der türkisch-griechischen Grenzen, was nach Darstellung der deutschen Regierung ein Grund für den Rückgang der Einreise von Geflüchteten nach Deutschland ist. Dies ist auch der Grund, warum die deutsche Regierung und insbesondere die CDU/CSU unter Merkel an dem Erhalt des Deals festhält.

Deutsche Unterstützung für den Krieg gegen die PKK

Ebenfalls widersprüchlich ist das deutsch-türkische Verhältnis in Bezug auf die deutsche Unterstützung für die türkische Regierung in ihrem Krieg gegen die kurdische PKK und allen kurdischen Kräften, denen eine Nähe zur PKK unterstellt wird. Der deutsche Beitrag hat sowohl eine außenpolitische und militärische Seite, als auch eine innenpolitische. Neben den deutschen Waffenlieferungen ist die politische Rückendeckung aus Deutschland von Bedeutung. Ein Konfliktpunkt in diesem Bereich sind die Aufklärungsbilder, die von deutschen Tornado-Kampfflugzeugen über Syrien und Irak geschossen werden. Die türkische Armee würde diese Bilder gerne uneingeschränkt in ihrem Krieg gegen die PKK im Irak und gegen die kurdische YPG in Nordsyrien verwenden. Allerdings werden diese Bilder von der deutschen Seite nur zensiert an die türkischen Militärs weitergegeben. Die Türkei übt Druck auf die Bundeswehr aus und kann mit der Blockade von Einsätzen deutscher Kampfflugzeuge vom NATO-Luftwaffenstützpunkt bei Incirlik drohen.

Auslieferung der Gegner des AKP-Regimes

Auf der innenpolitischen Seite besteht die türkische Forderung, dass Deutschland vermeintliche PKK-Mitglieder und -Sympathisanten an die Türkei möglichst ausliefern, zumindest aber viel großflächiger inhaftieren soll. Obwohl die PKK in Deutschland verboten ist, vermeintliche PKK-Strukturen regelmäßig zerschlagen und angebliche Mitglieder der Organisation verhaftet, angeklagt und häufig zu langjährigen Haftstrafen verurteilt werden, unterstellt die Türkei, dass Deutschland für die PKK ein sicherer Rückzugsort sei. Immer wieder sind in der türkischen regierungsnahen Presse absurde Meldungen darüber zu lesen, dass die deutsche Regierung die PKK unterstützen würde. Spätestens seit dem Putschversuch am 15. Juli 2016 kam die die Forderung hinzu, vermeintliche Gülen-Anhänger ebenfalls auszuliefern. Einen besonders brisanten Fall stellen die Asylanträge von etwa 40 türkischen Offizieren und Soldaten dar, die in deutschen NATO-Stützpunkten stationiert waren und nach dem Putschversuch in Deutschland Zuflucht gesucht haben. Hier fordert die türkische Regierung die Auslieferung der geflohenen Militärs, was aber von der deutschen Regierung bisher abgelehnt wird.

Rolle des türkischen Moscheeverbands DITIB

Ein in jüngster Zeit eskalierendes Konfliktfeld betrifft den türkischen Moscheeverband DITIB, der von der türkischen Religionsbehörde Diyanet kontrolliert wird. DITIB ist in Deutschland für die Verwaltung der Moscheen verantwortlich und beteiligt an der Gestaltung des islamischen Religionsunterrichtes an den staatlichen Schulen. Nachdem bekannt wurde, dass DITIB-Imame vermeintliche Gülen-Anhänger in Deutschland ausspionieren und bei den türkischen Behörden denunzieren, wird die Einbindung und die Rolle der DITIB in Deutschland zunehmend infrage gestellt. Einige Bundesländer haben die Zusammenarbeit mit DITIB bereits aufgekündigt, in anderen Bundesländern wird dies derzeit debattiert. Die dabei diskutierten Forderungen reichen von einer Loslösung der DITIB von Diyanet bis hin zu einer Auflösung des Moscheeverbands und der Gründung von einem neuen, von der Türkei unabhängigen Moscheeverband.

Insgesamt sind also zahlreiche Konfliktfelder zu beobachten, die für die politischen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei relevant sind und bei denen beide Seiten versuchen, sie als Druckmittel gegen die andere Seite einzusetzen. So konterte etwa Merkel bei ihrem Türkei-Besuch am 2. Februar 2017 auf die Forderung nach einer umfassenden Auslieferung von vermeintlichen Gülen-Anhängern mit dem Vorwurf der  Spionage und Denunziation durch DITIB-Imame. Für die Zukunft ist zu erwarten, dass diese Mischung aus öffentlicher Kritik und enger Zusammenarbeit auch weiter die deutsch-türkischen Beziehungen prägen wird.