Pressemeldung | Im Zwiespalt der Gefühle

Politisches Buch: Anton Ackermann – Selbstzeugnisse (Neues Deutschland, 8.12.2005)

Einen analytischen Kopf nennt ihn der Resistance-Kämpfer Ernst Melis, einen Mann, der im Zwiespalt lebte, charakterisiert ihn der Historiker Fritz Klein. Frank Schumann hat in seiner verdienstvollen Biografie über Anton Ackermann Urteile von Weggefährten gesammelt. Hermann Axen schätzte ihn als »einen hervorragenden Theoretiker unserer Partei«, der ehemalige UN-Botschafter der DDR Peter Florin urteilt, er habe »Charisma« besessen und »Autorität nicht kraft seines Amtes, sondern durch die Art seines Auftretens«, so Peter Gingold. Tochter Marianne sagt über ihren Vater: »Er argumentierte mit seinem immensen Wissen zwingend logisch und überzeugend. Da war nichts gestelzt, gekünstelt und konstruiert.«
Schumann präsentiert Selbstzeugnisse und Dokumente. Erstmals wurde der komplette Nachlass gesichtet. Entstanden ist ein historisch aufschlussreiches Porträt des Politikers und seiner Zeit. Der Herausgeber hat im ehemaligen SED-Parteiarchiv Akten gefunden, die zum Nachdenken anregen, warum der dritte Mann der einstigen KPD-Führungs-Troika (Ulbricht, Pieck, Ackermann) so und nicht anders gehandelt hat. Jüngere Leser finden Antworten auf Fragen wie: Was bewegte führende Kommunisten 1939 beim Nichtangriffspakt Sowjetunion-Hitlerdeutschland, was erhofften sie sich von Deutschlands Zukunft, welche Motive trieben sie zu Reformen in der sowjetischen Zone? Ackermanns Forderung vom September 1947 nach »Brechung des reaktionären Bildungsprivilegs« und »soziale Erneuerung der Hörerschaft« an den Universitäten erscheint hochaktuell. Verblüffend seine Prophezeiung ein Jahr vor seinem Tod, nach einem Gespräch mit Honecker: »Wenn der so weitermacht, haben wir den Kapitalismus schneller, als wir es uns vorstellen können.«
Ackermann hielt mit Kritik an der eigenen Partei nicht zurück. Im Mittelpunkt seiner theoretischen Arbeit stand die Frage nach dem besonderen deutschen Weg zum Sozialismus. Bereits 1943/44 hatte er »die demokratische Staatsidee« mit einer »nationale Ausprägung des Sozialismus in Deutschland« präzisiert. Diese Vision begleitete ihn bis an sein Lebensende. »Es ist sein Thema«, so Schumann. Doch in Ackermanns Autobiografie von 1966 findet sich kein Wort dazu. Es war nicht erwünscht. Dankenswerterweise hat Schumann wesentliche Passagen des berühmten Artikels in der ersten Nummer der »Einheit« vom Februar 1946 abgedruckt. Zweieinhalb Jahre später wird Ackermann in der SED heftig kritisiert. Er muss Selbstkritik üben: »Die These vom besonderen deutschen Weg zum Sozialismus ist eine falsche, faule und gefährliche Theorie, die wir ausmerzen müssen.« Geschrieben hatte er jenen Beitrag nach Diskussionen im Sekretariat der KPD, informiert Schumann. Die Verantwortung dafür musste er aber allein übernehmen. Seine Selbstkritik begründete er primär mit der politischen Entwicklung seit 1946: »Wir haben in der Ostzone neue Erfahrungen gemacht. Wir stehen in den Westzonen vor vollkommen neuen Tatsachen ...« Der Kalte Krieg hatte begonnen, die Spaltung Deutschlands war abzusehen ...
Den erzwungenen Widerruf erachtete Ackermann auch Jahrzehnte später als Ungerechtigkeit. Vergeblich hoffte er auf eine »Erklärung der Parteiführung, dass sein Artikel von 1946 nicht parteifeindlich, sondern Ausdruck der damaligen Linie der Partei gewesen war«. Fritz Klein erinnert sich: »Er beugte sich diszipliniert jedem Beschluss und widersprach nicht, zumindest nicht öffentlich. Das bedeutete nicht, dass er dogmatisch und verbissen die Parteilinie vertrat. Er war offen für alle Themen und Fragen. Das machte die Gespräche mit ihm ja anregend und angenehm.«

Ein wichtiges und gutes Buch, das auch viel über den Privatmann Anton Ackermann verrät:
Anton Ackermann: Der deutsche Weg zum Sozialismus. Selbstzeugnisse und Dokumente. Hg. von Frank Schumann. Verlag Das Neue Berlin, 287 S., geb., 19,90€
Herausgeber, Verlag und Rosa-Luxemburg-Stiftung laden heute anlässlich des bevorstehenden 100. Geburtstages von Ackermann zu einem Gespräch mit E. Melis, M. Wolf, F. Klein (19 Uhr, Palisadenstraße 48, 10243 Berlin).