Rainer Bauböck, Politikwissenschaftler und Mit-Koordinator des «European Union Democracy Observatory on Citizenship», zu Grenzen des Weltbürgertums, zur Notwendigkeit neuer Konzepte von europäischer Bürgerschaft und zur Frage, warum in Zeiten des Neoliberalismus ein Wirbelsturm Staatenlose hinterlässt.
Unter dem Titel «Die Erweiterung des Terrains. Migrationspolitik als Transformationsprojekt. Eine Baustellenbesichtigung» befragt unser Autor Günter Piening zehn ausgewiesene Expert*innen im Bereich der Migrations- und Rassismusforschung zu Perspektiven (post-)migrantischer Interventionen. Die einzelnen Gespräche thematisieren das europäische Grenzregime, globale Bürgerrechte, die Rolle des Wohlfahrtstaates in den Klassenauseinandersetzungen, die Solidarität in betrieblichen Kämpfen, die Geschlechterfrage in postkolonialen Verhältnissen, die Kämpfe der Geflüchteten um Teilhabe und die Stärke (post-)migrantischer Lebenswelten. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie Migration als ein Vermögen begreifen, die soziale Frage in einem demokratisierenden Sinn zu beantworten. Unser Dossier «Migration» setzt damit der gesellschaftlichen Polarisierung, die gegenwärtig vor allem um die Frage von Einwanderung, Teilhabe und Bürgerrechte kreist, eine linke Position jenseits national-sozialer Kurzschlüsse entgegen.
Bis Ende Juni 2017 veröffentlichen wir jeden Montag eines der insgesamt zehn Expertengespräche.
Günter Piening: Was umfasst «Das Recht, Rechte zu haben» heute, vor dem Hintergrund globaler Migrationsbewegungen, aber auch vor dem Hintergrund des sozialen Abstiegs und der Marginalisierung großer Teile der autochthonen Bevölkerung?
Rainer Bauböck: In ihrem Buch über die Ursprünge totalitärer Herrschaft hat Hannah Arendt 1951 Staatsbürgerschaft als das «Recht, Rechte zu haben» bezeichnet. Sie wies damals darauf hin, dass die Nazis den deutschen Juden erst die Staatsbürgerschaft entzogen, bevor sie sie ausrotteten. In Arendts Sicht waren allgemeine Menschenrechte ein leeres Versprechen für jene, die von keinem Staat als Staatsbürger anerkannt wurden. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg fand dieses Argument viel Aufmerksamkeit. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte deklarierte schon 1948 ein Recht auf Staatsangehörigkeit. Staatenlosigkeit ist noch immer ein gravierendes Problem, aber die meisten MigrantInnen besitzen ja die Staatsbürgerschaft ihres Herkunftslandes. Ein Recht auf Einbürgerung ist im Völkerrecht jedoch nur ganz schwach entwickelt – und im wesentlichen reduziert auf ein Diskriminierungsverbot aufgrund rassischer, ethnischer oder religiöser Kriterien.
Das Recht, in zwei Staaten Rechte zu haben
Internationale MigrantInnen, die sich auf längere Zeit in einem anderen Staat niederlassen, haben aber in der Regel starke Bindungen sowohl an das Herkunfts-, als auch das Aufnahmeland. Um ihre Lebenspläne zu realisieren, brauchen sie das «Recht, in zwei Staaten Rechte zu haben», einschließlich des Rechts auf Mobilität zwischen diesen. Nur der Zugang zur Doppelstaatsbürgerschaft sichert diese. Was aus der Sicht der einheimischen Bevölkerung wie ein ungerechtfertigtes Privileg erscheint, ist nichts anderes als die Berücksichtigung der Tatsache, dass MigrantInnen – im Unterschied zu sesshaften BürgerInnen – in transnationalen Räumen leben und daher mehrere Staaten für den Schutz ihrer Rechte verantwortlich sind.
Die überwiegende Mehrzahl der Herkunftsstaaten toleriert inzwischen Doppelstaatsbürgerschaft und auch bei Einwanderungsstaaten gibt es einen klaren Trend zur Akzeptanz. In Deutschland, Österreich, den Niederlanden und Norwegen wird dagegen in diskriminierender Weise zwischen jenen unterschieden, die per Geburt Doppelstaatsbürger sind oder deren Herkunftsland die Ausbürgerung verweigert, und jenen, die bei der Einbürgerung eine fremde Staatsangehörigkeit zurücklegen müssen.
Citizenship bedeutet allerdings mehr als Staatsangehörigkeit. Die amerikanische Soziologin Margaret Somers hat jene Afroamerikaner, die 2005 im vom Hurrikan Katrina verwüsteten New Orleans von den Evakuierungsteams zurückgelassen wurden, als «Staatenlose» im Sinne Arendts bezeichnet. Sie waren eine sozial so weit marginalisierte Bevölkerungsgruppe, dass sich der Staat selbst für die Rettung ihrer Menschenleben nicht mehr zuständig fühlte. Die Kombination von galoppierender sozialer Ungleichheit und Segregation, welche diese für die Mehrheitsbevölkerung unsichtbar macht, erzeugt tatsächlich eine Form der Rechtlosigkeit, welche die Legitimität staatlicher Herrschaft in Frage stellt.
Selbst die Superreichen, für die fast überall die Grenzbalken geöffnet werden, müssen sich zunächst die richtigen Pässe besorgen.
Wäre eine Art Weltbürgertum eine Lösung?
Solange es ein internationales System unabhängiger Staaten gibt, kann Staatsbürgerschaft nicht durch Weltbürgerschaft ersetzt werden. Selbst die wenigen Superreichen, für die in fast allen Staaten die Grenzbalken geöffnet werden, müssen sich zunächst die richtigen Pässe besorgen. Arendt hat insofern noch immer recht: Weltbürgerschaft auf der Basis universeller Menschenrechte bleibt eine Utopie, wenn Menschen nicht als Staatsbürger ihre Rechte von bestimmten Regierungen einfordern können.
Welche Folgen hat es für Gesellschaften, wenn – wie in Deutschland – rund 10 Prozent insgesamt und in den Ballungsräumen wie Berlins Innenstadtbezirien mehr als 20 Prozent der Bevölkerung langfristig von Wahlentscheidungen ausgeschlossen werden?
Unter den heutigen Umständen scheinen die Folgen dieses Ausschlusses nicht dramatisch. Die meisten dieser Menschen haben einen relativ sicheren Aufenthaltsstatus und dieser sichert ihnen weitgehende Gleichstellung bei den zivilen Freiheitsrechten und sozialen Wohlfahrtsrechten. Es gibt auch seitens der MigrantInnen keine vergleichbare Mobilisierung für das Wahlrecht, wie es sie für die Einführung des Frauenstimmrechts oder in den 1960er Jahren für die Abschaffung rassistischer Diskriminierung in amerikanischen Südstaaten gab.
Recht auf lokales Wahlrecht für alle Bewohner*innen
Anders ist die Situation auf kommunaler Ebene zu beurteilen. In Europa gibt es kommunale Wahlrechte nicht nur für EU-Bürger in den anderen Mitgliedsländern, sondern in insgesamt 14 Staaten ein staatsangehörigkeitsneutrales lokales Wahlrecht für alle, die sich in einer Gemeinde niederlassen. Auch in Südamerika gibt es diese Form der kommunalen Wohnbürgerschaft in immerhin acht Staaten. Dieser demokratiepolitische Trend hat in meinen Augen gute normative Gründe. Kommunen haben offene Grenzen und keine Kompetenz in der Einwanderungspolitik. Sie sind vielmehr für die Integration hochgradig diverser Gesellschaften zuständig und müssen für alle Bewohner öffentliche Güter und Dienstleistungen bereitstellen. Aus der Sicht der kommunalen Selbstverwaltung ist die Unterscheidung zwischen Staatsangehörigen, EU-Bürgern und Drittlandsausländern eine willkürliche und daher diskriminierende Kategorisierung, die ihnen von der nationalen Gesetzgebung aufgezwungen wird.
Ich plädiere für ein Mehrebenenmodell der Bürgerschaft, in dem der politische Kern von Citizenship, nämlich das Wahlrecht, an den Status der Mitgliedschaft gebunden bleibt. Auf staatlicher Ebene wird die Staatsbürgerschaft per Geburt oder durch Einbürgerung erworben und geht bei Auswanderung nicht verloren. Das Wahlrecht kann daher auch von Auswanderern ausgeübt werden. Auf lokaler Ebene wird die Kommunalbürgerschaft dagegen durch Begründung eines Wohnsitzes erworben und das Wahlrecht hängt daher nur von diesem ab und geht auch mit der Auswanderung aus der Gemeinde wieder verloren.
Wie kann eine europäische Citizenship so gefasst werden, dass eine neue «europäische Apartheid», wie Balibar es nennt, verhindert wird?
Die europäische Unionsbürgerschaft ist ein historisch relativ einzigartiges Experiment, auch wenn sich in Lateinamerika heute vergleichbare Modelle mit Personenfreizügigkeit und supranationalen gewählten Parlamenten entwickeln. In meiner Sicht ist nicht die Ableitung der Unionsbürgerschaft von der Staatsbürgerschaft in einem Mitgliedsland das Problem – diese Konstruktion ist unvermeidbar für eine Staatenunion, die selbst kein Projekt des Nationenbaus verfolgt. Daraus ergibt sich auch, dass das Wahlrecht zum Europaparlament ebenso wie das Recht auf freie Einwanderung und Niederlassung in einem anderen Mitgliedsland nicht ohne weiteres auf alle Drittstaatsangehörigen ausgeweitet werden kann. Die Union würde sich damit in Richtung auf einen gesamteuropäischen Staat bewegen, der weder in den europäischen Verträgen vorgesehen ist, noch auf ausreichende Zustimmung in der europäischen Bevölkerung stoßen würde.
Folgen von sozialem Abstieg und Verlust an Mobilität
Die wirklichen Probleme sind erstens die extrem unterschiedlichen Zugangschancen zur Unionsbürgerschaft durch die Staatsbürgerschaftsgesetze der Mitgliedsländer und zweitens das Entstehen einer Kluft zwischen mobilen und immobilen europäischen Bürgern, welches durch die Rechtssprechung des EUGH und die Initiativen der Kommission noch verstärkt wird.
Was das erste Problem betrifft, so erscheint es paradox, dass jeder Mitgliedsstaat völlig frei ist zu bestimmen, wer Unionsbürger wird und sich danach in allen anderen Mitgliedsstaaten niederlassen und dort Arbeit suchen darf. Eine gewisse Harmonisierung durch die Verhinderung diskriminierender Blockaden der Einbürgerung ebenso wie der Vergabe von europäischen Pässen an die entfernten Nachkommen von Auswanderern in Übersee scheint geboten.
Das zweite Problem ist noch viel gravierender und droht die Union von innen her zu zerstören. Das Projekt der europäischen Integration hat von Anfang an auf Personenfreizügigkeit und die schrittweise Erweiterung der Rechte mobiler Europäer gesetzt. Bis 2004 überwogen die Klagen, dass es zu wenig Mobilität in Europa gäbe und daher auch zu wenig Zusammenwachsen der europäischen Gesellschaften. Seit der Osterweiterung steigt die Mobilität, mit dem Effekt, dass die sesshafte Bevölkerung oft nicht mehr zwischen Drittstaatsmigranten und mobilen Europäern unterscheidet und die Unionsbürgerschaft als Bedrohung sieht und nicht als Chance begreift. Wenn es der EU nicht gelingt, eine europäische Bürgerschaft auch für jene zu entwickeln, die ihre angestammten Lebenswelten durch sozialen Abstieg und Einwanderung bedroht sehen und denen die materiellen und kulturellen Ressourcen für europäische Mobilität fehlen, dann werden diese Mehrheiten Populisten an die Macht bringen, die das europäische Integrationsprojekt beenden. Es braucht also, wie auch Kommissionspräsident Juncker vor kurzem erkannt hat, eine soziale Europabürgerschaft, die nicht nur den mobilen Europäern zugute kommt.
Wieweit muss «Citizenship» soziale Rechte, ja soziale Gleichheit umfassen?
Schon Aristoteles wusste, dass die gleichberechtigte Beteiligung am politischen Gemeinwesen nur dann möglich ist, wenn Armut durch den Staat bekämpft wird, und wenn Bildung eine öffentliche Aufgabe ist. Von der griechischen Polis bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war die Antwort auf dieses Problem, dass dann eben jene, die von abhängiger Arbeit leben und nicht durch Steuern zum Staatseinkommen beitragen, auch keine gleichberechtigten Staatsbürger sein können. Der Sozialstaat des 20. Jahrhunderts lieferte eine andere Lösung. Demokratische Partizipation für alle wurde in gewisser Weise ausgedünnt und weitgehend auf die Beteiligung an Wahlen reduziert, aber das Wahlrecht wurde dafür auf zuvor ausgeschlossene Bevölkerungsgruppen ausgedehnt. Die allgemeine Schulpflicht, die allgemeine Wehrpflicht, die staatliche Armenfürsorge und Sozialversicherung sollten es ermöglichen, dass auch sozial ungleiche Bevölkerungsschichten sich dennoch als in der Demokratie Gleichberechtigte wahrnehmen können. Diese «soziale Bürgerschaft», wie sie der britische Soziologe T. H. Marshall nannte, beseitigte nicht die durch kapitalistische Marktwirtschaft erzeugte Ungleichheit, machte sie aber durch Inklusion akzeptabel. Insofern sind soziale Rechte, wenn auch nicht vollständige soziale Gleichheit, eine Grundbedingung für Citizenship.
Diese Grundlage wurde durch den Neoliberalismus aber ziemlich zerlegt …
Der neoliberale Umbau des Sozialstaats hat diesen zwar nicht vollständig zerstört, aber seine Prinzipien ausgehöhlt. An die Stelle unbedingter Sozialleistungen trat die Bedarfsprüfung; das gemeinsame Grundbildungssystem für alle wurde von einem sozial segregierten Schulsystem abgelöst, in dem Bildungsprivilegien wieder hochgradig vererbbar sind; die staatlichen Gesundheitseinrichtungen werden von privaten Anbietern für qualitativ bessere Dienstleistungen konkurrenziert. Höhere Bildungs- und Einkommensschichten optieren für alternative Leistungsanbieter auf privaten Märkten; der globale Steuerwettbewerb verringert die fiskalischen Ressourcen für den Sozialstaat während die demographische Entwicklung den Bedarf gleichzeitig dramatisch erhöht. Die Folge ist, dass Sozialleistungen zunehmend weniger als Bürgerrechte verstanden werden, die gleichberechtigte Teilhabe ermöglichen sollen, sondern als Instrumente der Kompensation für und Kontrolle über Bevölkerungsgruppen, die als unproduktiver Ballast gelten.
Grundsätzlich bleibt das Dilemma, dass «offenere Grenzen» und Teilhabe an den nationalen und europäischen Rechtsansprüchen in einem Spannungsverhältnis stehen, was sich vor allem an der Diskussion um die Auswirkungen der Einwanderung auf den «Wohlfahrtsstaat» zeigt. Wie kann dieser Konflikt austariert werden?
Diese beiden Ansprüche sind tatsächlich schwer mit einander zu vereinbaren. Ein inklusiver Umbau des Wohlfahrtsstaates im Sinne der sozialen Bürgerschaft könnte am ehesten durch ein unbedingtes Grundeinkommen gelingen. Damit dieses nicht zu massiven Verschlechterungen für jene führt, die heute auf Sozialversicherungsleistungen angewiesen sind, muss die Höhe eines solchen Grundeinkommens im Verhältnis zum Medianeinkommen im jeweiligen Land bestimmt werden. Damit entstehen aber starke Anreize für die Abwanderung von Vermögen, das zur Finanzierung eines relativ hohen Grundeinkommens in reichen Staaten massiv besteuert werden muss und für die Zuwanderung von Migranten, deren Staaten nur ein wesentlich geringeres Grundeinkommen finanzieren können. Auf dieses Dilemma hat der belgische Sozialtheoretiker Philippe van Parijs hingewiesen. Einer seiner Lösungsvorschläge sieht die Kombination eines europäischen minimalen Grundeinkommens mit zusätzlichen national variablen Grundeinkommen vor, wodurch die Dynamik von Ab- und Zuwanderung zumindest abgemildert werden könnte.
Wenn Abschaffung von Grenze erst einmal ziemlich utopisch erscheint: Wie viel Öffnung, wie viel Demokratisierung des Grenzregimes ist unter diesen Bedingungen möglich?
Grenzregime sind grundsätzlich nicht demokratisierbar, wenn sie die Außengrenzen von Demokratien regeln, sofern es keine übergeordnete demokratische Gemeinschaft gibt, in der diese Grenzen «internalisiert» werden und dadurch zum Objekt demokratischer Entscheidungen werden können. Es gibt jedoch demokratische Prinzipien, die eine schrittweise Öffnung von Grenzen begünstigen und ermöglichen.
Ich habe eingangs darauf hingewiesen, dass Doppelstaatsbürgerschaft Freizügigkeit zwischen zwei Staaten realisiert. Da es gute demokratische Gründe für die Toleranz von Doppelstaatsbürgerschaft gibt, können auf diesem Weg Grenzen für jene geöffnet werden, die die stärksten Bindungen an mehrere Staaten haben und daher auch Mobilitätsrechte zwischen diesen am stärksten brauchen. Zweitens müssen demokratische Staaten ihren eigenen Staatsbürgern nicht nur die freie Ausreise gestatten, sondern sie haben auch Pflichten, deren Chancen auf Einreise in andere Staaten zu fördern. Daher stellen sie nicht nur Reisepässe aus, sondern verhandeln Visaverzichtsabkommen. Warum sollte es nicht möglich sein, dass Staaten sich darüber hinaus auf ein wechselseitiges Recht auf Einwanderung und Niederlassung verständigen, wie das etwa zwischen den nordischen Staaten und zwischen Irland und Großbritannien schon vor dem EU-Beitritt der Fall war und auch heute noch zwischen Australien und Neuseeland? Drittens ist das europäische Modell einer Staatenunion mit intern offenen Grenzen und einer gemeinsamen Unionsbürgerschaft mit Freizügigkeitsrechten grundsätzlich auch in anderen Kontinenten realisierbar.
Offene Grenzen sind keine Lösung für die globale soziale Ungerechtigkeit
Diese drei Wege zur Öffnung von Grenzen sind insofern realistisch, als sie mit den Interessen demokratischer Staaten vereinbar sind, die primär dem Gemeinwohl ihrer BürgerInnen verpflichtet sind. Ob diese Pfade in einer neuen Ära des protektionistischen Nationalismus auch realpolitische Chancen auf Verbreiterung haben, ist durchaus fraglich. Sie liefern natürlich auch keine Lösung für die globale soziale Ungerechtigkeit eines massiven zwischenstaatlichen Wohlstandsgefälles und der Zwangsmigration aufgrund von Verfolgung, Vertreibung, Gewalt und Hunger. Offene Grenzen sind jedoch keine Antwort auf diese Herausforderungen. Sie verlangen einerseits nach einer globalen Menschenrechtspolitik, die auf die Bedingungen für den Schutz universeller Rechte in den Ursprungsländern abzielt, und andererseits nach einer Flüchtlingspolitik, die Asylrecht mit Umsiedlung aus Krisengebieten verbindet, in denen jeder staatliche Schutz versagt hat.
Das Interview fand statt am 26.1.2017
Rainer Bauböck ist Professor für soziale und politische Theorie am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz. Zuvor war er Mitarbeiter am Institut für Europäische Integrationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Seine Forschungsschwerpunkte sind Migration, Multikulturalismus, Nationalismus, Staatsbürgerschaft und politische Theorie. Er ist einer der Koordinatoren des „Global Citizenship Observatory, einer Dokumentations- und Forschungsplattform über Citizenship-Politiken in allen Staaten der Welt.