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Programmbüroeröffnung in Beirut und Start «Dialog Positiver Frieden»

Rosa-Luxemburg-Stiftung eröffnet neues Büro in Beirut, Mai 2017
Vorstandsvorsitzende Dagmar Enkelmann und Programmbüroleiterin Miriam Younes im Gespräch mit syrischen Kindern in einer Schule in der Bekaa-Ebene CC BY 3.0, Rosa-Luxemburg-Stiftung

Die moderne Geschichte des Libanon ist geprägt durch vielfältige gewaltförmige Auseinandersetzungen, die sowohl zwischen verschiedenen Gruppierungen innerhalb des Landes als auch mit anderen Staaten stattfanden und -finden. Beispielhaft dafür ist zum einen der Bürgerkrieg zwischen 1975 und 1990, der sowohl als Kampf verschiedener konfessioneller Gruppen, als Disput um unterschiedliche Staatsvorstellungen als auch als Stellvertreterkrieg verschiedener Nationen mit jeweils eigenen Interessen betrachtet werden kann, aber auch die syrische und israelische Besatzungszeit, durch die weite Teile des Landes bis 2000 (Israel) bzw. 2005 (Syrien) fremdbesetzt waren. Seit Ende des Bürgerkrieges befindet sich der Libanon in einem fragilen Friedenszustand, der immer wieder durch neue bewaffnete Auseinandersetzungen unterbrochen wird. Mit dem Ausbruch des Bürgerkrieges im benachbarten Syrien (2011) ist die Angst vor einem «Spill-Over-Effekt» in den Libanon noch präsenter.

Am 22. Mai 2017 wurde das neue Programmbüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Beirut eröffnet, das 21. Auslandsbüro der Stiftung insgesamt. Am Tag nach der feierlichen Eröffnung mit etwa 120 geladenen Gästen und Grußworten von der Vorstandsvorsitzenden der Stiftung, Dr. Dagmar Enkelmann, dem deutschen Botschafter im Libanon, Martin Huth, sowie dem Direktor des Zentrums für internationalen Dialog, Dr. Boris Kanzleiter, und Programmbüroleiterin Miriam Younes fand ein umfangreicher Workshop mit Aktivist*innen und Vertreter*innen aus der regionalen Zivilgesellschaft statt. Dieser diente auch als Auftaktveranstaltung für das sich gründende «Rosa Left Forum» in Beirut. Das mit der Eröffnung gestartete «Dialogprogramm Positiver Frieden» wird sich in den nächsten Jahren auf die Themenfelder Konflikt/ Post-Konflikt und Migration in Libanon, Syrien und Irak konzentrieren. Die Arbeit zielt darauf ab, über Vernetzung, Analysen, öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen und die Unterstützung progressiver Kräfte vor Ort einen Wandel hin zu einem gerechten, emanzipatorischen und solidarischen Gesellschaftssystem zu ermöglichen.

Im Zuge des syrischen Bürgerkrieges hat der Libanon schätzungsweise 1,5 Millionen syrische Geflüchtete aufgenommen bei einer Bevölkerungszahl von ca. 6 Millionen. Außerdem leben im Libanon seit Jahrzehnten etwa 450.000 palästinensische, 40.000 irakische und 2.000 sudanesische Geflüchtete, zusätzlich zu etwa 200.000 Arbeitsmigrant*innen. Die hohe Zahl an Geflüchteten und Migrant*innen im Libanon strapazieren die ohnehin knappen Ressourcen des Landes zusätzlich und haben bereits existierende gesellschaftliche und politische Antagonismen und Spannungen noch verschärft. Dies nicht zuletzt auch deswegen, weil der libanesische Staat den alten und neuen Nicht-Staatsbürger*innen mit einer Politik der «Versicherheitlichung» begegnet: die Grenzen wurden geschlossen, Prozesse für die Erlangung von Aufenthaltsgenehmigungen sowie Arbeitserlaubnissen erschwert, der Zugang zu politischen und sozialen Rechten nachhaltig verwehrt.

Dieser Zustand zunehmender Rechtlosigkeit spiegelt in abgeschwächter Form auch die Lage vieler libanesischer Staatsbürger*innen wider. Ein Laissez-faire Staat sowie eine neoliberale Wirtschaftsausrichtung, ein an konfessionellen Zugehörigkeiten ausgerichtetes politisches System sowie klientelistische und korrupte Strukturen verwehren vielen Bewohner*innen des Landes den Zugang zu grundlegenden sozialen Rechten. Resultat sind soziale Konflikte und Kämpfe, die teils schon seit Jahrzehnten die Stimmung im Land dominieren. Positiver Effekt ist eine starke und politisch aktive Zivilgesellschaft, die sich diese Kämpfe auf die Fahnen geschrieben hat und die in den letzten Jahren noch dadurch gewachsen ist, dass viele Syrer*innen vom libanesischen Exil aus ihren eigenen sozialen und politischen Aktivismus fortsetzen.

Das Konzept des «Positiven Friedens»

Hier setzt das neue Programm der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Beirut an: Es nimmt soziale und politische Kämpfe sowie zivilgesellschaftliche und aktivistische Strukturen und Prozesse als Grundlage für Konfliktprävention in den Blick. Basis für die Arbeit im Bereich Konfliktbearbeitung und Friedenspolitik ist das Konzept des «Positiven Friedens» des norwegischen Friedensforschers Johan Galtung. Darin richtet er sein Augenmerk auf Formen der strukturellen Gewalt, deren Wurzeln in politischen, ökonomischen oder gesellschaftlichen Verhältnissen liegen, und die, im Gegensatz zu der offenen personalen Gewalt von Krieg und Terror, indirekt vor sich geht. Laut Galtung herrscht strukturelle Gewalt überall dort, wo man Menschen infolge von ungleich verteilten Macht- und Herrschaftsverhältnissen politische und soziale Gerechtigkeit vorenthält oder gar verweigert, bis dahin, sie zu unterdrücken, zu entrechten und auszubeuten. Positiver Frieden bedeutet danach die Herstellung von sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit sowie von politischer und persönlicher Freiheit Einzelner und sozialer Gruppen, vor allem von Minderheiten, ihre Partizipation und Entfaltung eingeschlossen.

Der Auftaktworkshop für das sich gründende Rosa Left Forum zu «Political Activism in Lebanon and Syria Today: Continuity and Change», der am 23. Mai in den neuen Büroräumen stattfand, knüpfte genau an diese Themenstellung an. Ziel des Workshops war es, die Gemengelage an Themen und Kämpfen aus verschiedenen Perspektiven zu analysieren und alternative Visionen in Hinblick auf ein gerechtes und solidarisches Post-Konflikt-Gesellschaftssystem zu entwickeln. Die etwa 30 Teilnehmer*innen aus kritisch-linken Organisationen der libanesischen Zivilgesellschaft und der syrischen Exil-Community erörterten politische Handlungsspielräume für Aktivist*innen im Libanon und in Syrien anhand von konkreten Beispielen zu Themen wie Kunst in Konfliktsituationen, Geschlechterverhältnissen, (un)freiem Journalismus, Geschichtsschreibung, Menschenrechten, Gentrifizierung und öffentlichem Raum. Eröffnet wurde der Workshop mit einem Statement von MdB Kathrin Vogler, die auf die Notwendigkeit der Anwendung von zivilen Mitteln zur Konfliktlösung und Gewaltprävention hinwies.

Abgerundet wurde der Rahmen zur Programmbüroeröffnung durch Besuche in Beirut, Tripoli und in der Bekaa-Ebene. Die Delegation aus Berlin, bestehend aus Dr. Dagmar Enkelmann, Boris Kanzleiter, MdB Kathrin Vogler, Bereichsleiter Internationale Politik DIE LINKE Andreas Günther, dem Referenten für Friedens- und Sicherheitspolitik der Rosa-Luxemburg-Stiftung Ingar Solty und dem Projektteam, hatte an ihrem ersten Tag die Gelegenheit, bei einer ausgedehnten alternativen Stadtführung die verheerenden Folgen des neoliberalen Ausverkaufs – Korruption, Verdrängungsprozesse und der Schwund öffentlichen Raums – des historischen Stadtkerns am Hafen Beiruts kennenzulernen und zu diskutieren.

In Tripoli, der zweitgrößten Stadt des Libanon, führte Samer Annous, Professor für Linguistik an der Balamand-Universität, durch das alte Hafenviertel al-Mina und machte auf die Zeichen revolutionärer Aktivitäten in der Vergangenheit aufmerksam. Beim Gespräch mit jungen Aktivist*innen aus Tripoli wurden die Schwierigkeiten des Umgangs einer eher sunnitisch-islamisch traditionell geprägten Bevölkerungsmehrheit in der Stadt mit einer aktiven linken Szene deutlich.

Im Rahmen eines Tagesausflugs in die Bekaa-Ebene fand ein Besuch von zwei der informellen Zeltsiedlungen syrischer Geflüchteter sowie einer Schule, die syrische Kinder unterrichtet, statt. Die Geflüchteten berichteten über ihre Schwierigkeiten, ihren täglichen Lebensunterhalt ohne staatliche Unterstützung und ohne Zuwendungen aus internationalen Programmen wie dem World Food Programme zu bestreiten.