Nachricht | International / Transnational - Krieg / Frieden - Europa - Osteuropa - Ukraine Der Donbass – eine offene Wunde

Vor ungefähr drei Jahren begann der Krieg in der Ostukraine. Zur Lage in dem geteilten Kohlerevier.

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Ivo Georgiev,

Ostukraine, Foto: Eugene Titov

Die Frontlinie in diesem Krieg trennt bis heute das Kohlerevier Donbass in zwei Teile. Mehr als 10.000 Menschen verloren in diesem Krieg bisher ihr Leben und es kommen immer noch Opfer dazu. Die Zahl der Vertriebenen innerhalb der Ukraine wird auf über eine Million geschätzt.

Die Bemühungen verschiedener Staats- und Regierungschefs um eine Beendigung des Krieges mündeten im Abkommen von Minsk aus dem Februar 2015. Es sollte eine Waffenruhe durchsetzen und sah vor, dass der abgespaltene Teil des Donbass wieder in den ukrainischen Staat integriert wird und zwar zu Bedingungen, die den Interessen der dort lebenden Menschen besser gerecht werden. Eine Verfassungsreform sollte der Region einen Autonomiestatus garantieren.

Heute besteht jedoch kaum noch Hoffnung, dass das geteilte Land wieder zusammen wächst. Das Minsker Abkommen ist de facto gescheitert. Mehr als 10.000 Menschen verloren in diesem Krieg bisher ihr Leben und es kommen immer noch Opfer dazu. Die Zahl der Vertriebenen innerhalb der Ukraine wird auf über eine Million geschätzt. Hunderttausende Familien flüchteten nach Russland. Tatsächlich driften die sogenannten Volksrepubliken Donezk (DNR) und Lugansk (LNR) und der von Kiew kontrollierte Donbass-Teil immer weiter auseinander.

Wie konnte es soweit kommen?

Beide Seiten – die Regierung in Kiew und die Separatisten - beschuldigen sich gegenseitig, die Waffenruhe zu brechen. Es gibt ausreichend Beweise, dass die schweren Waffensysteme auf beiden Seiten nicht komplett aus der unmittelbaren Frontlinie abgezogen sind. Bei Beschüssen entlang der Front gibt es fast jede Woche Tote oder Verletzte. Für Kiew sind es die Separatisten und deren Unterstützer aus Russland, die eine Umsetzung des Minsker Abkommens unmöglich machen. Immer häufiger bezeichnen ukrainische Medien den Feind im besetzten Donbass-Teil nicht mehr als  «prorussische Separatisten» sondern es sind einfach «die Russen». Damit sind nicht nur die Helfer aus Russland gemeint.

Diese Gleichsetzung mag vielleicht eine gewisse Rechtfertigung darin finden, dass viele Einwohner dieser abtrünnigen Region sich tatsächlich als Russen bezeichnen (26 Prozent laut einer aktuellen Umfrage). Für die Regulierung des Konfliktes und die angestrebte Integration in den ukrainischen Staat hat diese mediale Darstellung jedoch verheerende Folgen: Es ist ein Signal, dass die Menschen aus den «Volksrepubliken» nicht mehr als Teil der Ukraine gesehen werden. Der ukrainische Staat will offensichtlich keine Verantwortung für einen Landesteil tragen, den er nicht kontrolliert.

Fortgesetzte Spaltung

Diese Wahrnehmung fand im Frühjahr 2017 eine weitere Bestätigung. Der ukrainische Präsident verhängte im März 2017 ein Handelsembargo gegen die Separatistengebiete.

Dem vorausgegangen waren Aktionen ukrainisch-nationalistischer Veteranenverbände, die im Winter die Einfuhr jeglicher Waren aus den von Separatisten besetzten Gebieten verhinderten. Wichtige Einsenbahnverbindungen sowie Straßen zum Rest des Landes wurden von bewaffneten Männern gekappt und kontrolliert. Ziel der Blockierer war es, den illegalen Handel zu unterbinden. Für viele Ukrainer ist es nicht hinnehmbar, dass man in dieser Region mit der gegnerischen Seite weiter Handel treibt, während in den Gräben an der Frontlinie noch geschossen und gestorben wird.

Die Folgen dieser Blockade des Waren- und Rohstoffverkehrs lassen sich immer noch nicht genau abschätzen. Fest steht, dem ukrainischen Staat entsteht dadurch ein Schaden in Milliardenhöhe. Die Regierung in Kiew schätzte ein, dass das Handelsverbot den ukrainischen Energiesektor an den Rand des Zusammenbruchs bringen kann und bis zu 1 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts kosten wird.

Trotz Krieg und fortschreitender Deindustrialisierung waren beide Teile des Kohlereviers bis vor kurzem noch wirtschaftlich eng miteinander verflochten. Kohlegruben, Metallurgiekombinate, Koksfabriken, Heizwerke auf beiden Seiten der Frontlinie belieferten sich gegenseitig und konnten ihren Betrieb größtenteils aufrechterhalten, zehntausende Arbeiterinnen und Arbeiter konnten so ihre Familien ernähren. Die Betriebe in den Separatistengebieten zahlten ihre Steuern nach Kiew, egal ob sie im Staatsbesitz oder im Besitz ukrainischer oder russischer Oligarchen sind.

Als Antwort auf die Donbass-Blockade und die dadurch entstandenen Einbrüche in der Wirtschaft erklärten die Führer der «Volksrepubliken» nun die Nationalisierung der Großbetriebe. Sie wurden unter die Verwaltung der Separatistenrepubliken gestellt und werden jetzt vermutlich von russischen Konzernen kontrolliert. So soll der Ostteil des Kohlereviers mit Russland zusammen wachsen. Wer genau die neuen Verwalter sind und wie die Produktion künftig organisiert und gesteuert wird, ist bislang unbekannt.

Die wirtschaftliche Verflechtung mit dem ukrainischen Kernland wurde jedoch endgültig durchtrennt, die Eigentumsverhältnisse werden in diesem Moment neu definiert. Und es sieht so aus, als übernehme jetzt Russland zunehmend Verantwortung für die Wirtschaft in den Donezker und Lugansker «Volksrepubliken».

Für den Verhandlungsprozess um die Regulierung des Konfliktes im Rahmen des Minsker Abkommens und auch für viele Menschen auf beiden Seiten der Frontlinie ist das eine sehr schlechte Nachricht. Eine Beilegung der militärischen Handlungen und eine politische Stabilisierung der Ukraine rücken somit in weite Ferne.

Immer wahrscheinlicher wird, dass die wirtschaftliche und soziale Lage der Menschen in der Region sich weiter verschlechtert. Der Donbass bleibt im dritten Kriegsjahr eine offene Wunde. Die Versuchung für militante Nationalisten sowohl aus der Ukraine als auch aus Russland, Salz in diese Wunde zu streuen und daraus zweifelhaftes politisches Kapital zu schlagen, bleibt unverändert groß und alarmierend.