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Vom Leben der Menschen in den Konfliktregionen der Postsowjetunion

Zerstörtes Haus in der Ernst-Thälmann - Straße in Zchinwali, Hauptstadt von Südossetien. Aufgenommen im September 2008 kurz nach dem georgisch-südossetischen Krieg vom August 2008. Photo: Swetlana Gannuschkina.

Neun Kriege hatte es nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auf deren Territorium gegeben. Auch wenn die Waffen heute an den meisten dieser Konfliktherde schweigen, ist kein einziger dieser Konflikte friedlich geregelt.

Es begann mit dem armenisch-aserbaidschanischen Krieg um das Gebiet Nagornij-Karabach Ende der 80er Jahre. Über 30 Tausend Menschen verloren dabei ihr Leben.

Transnistrien ist ein kleiner Landstrich am Fluss Dnister im Osten der Republik Moldau. 1991 hatte die dortige pro-russische Regionalregierung die Unabhängigkeit Transnistriens von Moldau ausgerufen. Am 1. März 1992 hatte die moldawische Zentralregierung Truppen in das aufständische Transnistrien entsandt. Der Krieg dauerte bis zum 25. Juli 1992 und kostete tausend Menschenleben.

Am 23. Juli 1992 hatte der Vorsitzende des Obersten Sowjets von Abchasien die Unabhängigkeit von Georgien ausgerufen. Im August des gleichen Jahres rückten georgische Einheiten in Abchasien ein. Doch dann verlor Georgien den Krieg gegen Abchasien, auch deswegen, weil das kleine Abchasien massiv von Russland militärisch unterstützt wurde.

Auch in dem zu Georgien gehörenden Südossetien hatten Unabhängigkeits-bestrebungen zu einer Abspaltung des Gebietes und zwei Kriegen geführt. In beiden Kriegen wurde die südossetische Seite von russischem Militär unterstützt.

In der Ukraine führten Unabhängigkeitsbestrebungen prorussischer Separatisten, die nicht in einer von Nationalisten geprägten prowestlichen Ukraine leben wollten, zu militärischen Auseinandersetzungen, die bis heute anhalten. Auch hier finden die Separatisten militärische Unterstützung durch Russland.

Kontaktabbruch und Wirtschaftsblockade

Mit Ausbruch der blutigen Auseinandersetzungen im Gebiet des Karabach-Konfliktes kamen sämtliche Kontakte und Verbindungen zwischen Armeniern und Aserbaidschanern zum Erliegen. Die Telefonleitungen wurden gekappt, Züge fuhren nicht mehr in das Nachbarland. Aserbaidschan und die Türkei verhängten eine Wirtschaftsblockade über Armenien. Die Bilder der völlig dunklen armenischen Hauptstadt Erewan Anfang der 90er Jahre sind auch heute noch unvergessen.

Auch die ukrainische Zentralregierung kappt die meisten Beziehungen in die von ihr nicht kontrollierten Gebiete: Lugansk wurde vom Stromnetz abgekabelt, keine Güter dürfen mehr in die von Kiew nicht kontrollierten Gebiete verkauft werden, Rentner und Renterinnen in Donezk und Lugansk erhalten ihre Rente nur, wenn sie diese persönlich in von Kiew kontrollierten Gebieten abholen.

Krankenhäuser und Fußballfelder

Während in der Ukraine und dem Gebiet des Karabach-Konfliktes immer noch geschossen wird und jeden Tag mit einer weiteren Eskalation der Kämpfe zu rechnen ist, scheint die Kuh in den Konfliktgebieten von Georgien und der Republik Moldau vom Eis zu sein. Warum? Formal hat sich auch dort wenig geändert. Georgien unterhält nach wie vor keine diplomatischen Beziehungen zu Russland, die separatistischen Gebiete Abchasien und Südossetien werden von russischen Soldaten geschützt / besetzt. Russland hat Abchasien und Südossetien sogar diplomatisch anerkannt. Auch in Transnistrien stehen immer noch russische Soldaten, sehr zum Leidwesen der moldauischen Zentralregierung in Chisinau und der ukrainischen Nachbarn. Schließlich ist Transnistriens Hauptstadt Tiraspol vom ukrainischen Odessa gerade einmal 100 Kilometer entfernt.

In einer gemeinsamen Pressekonferenz Ende April diesen Jahres berichteten der moldauische Diplomat Andrej Popov, ehemals stellvertretender moldauischer Außenminister und Botschafter des Landes in Österreich und der ehemalige Minister für Versöhnung und Gleichberechtigung Georgiens, Paata Zakareishvili, über den Umgang der Zentralregierungen von Chisinau und Tbilisi mit separatistischen, von Russland unterstützten Gebieten.

Transnistrien: zwischenmenschliche Entspannung

Lange schon werde im Gebiet des Transnistrien-Konfliktes nicht mehr geschossen, berichtete Andrej Popov. Seit dem Abschluss des Waffenstillstandes von 1992 sei niemand mehr an der Waffenstillstandslinie getötet worden. Niemals mehr habe die moldauische Zentralregierung nach Abschluss des Waffenstillstandes eine militärische Regelung des Konfliktes angestrebt, so Popov.

Wenn in Konfliktgebieten davon gesprochen werde, dass man aufständische Gebiete wieder zurückholen müsse, denke man leider mehr an das Territorium als an die Menschen, die auf diesem leben, so Popov. Viele können aus unterschiedlichen Gründen diese Gebiete nicht verlassen und radikalisierten sich dann mit der Zeit. Man müsse den Menschen in den von der Zentralmacht nicht kontrollierten Gebieten zeigen, dass sie auch zum Land dazugehören. Man dürfe sie, auch wenn sie andere geopolitische Präferenzen hätten, nicht zu Ausgestoßenen, Kollaborateuren und Verrätern erklären, so Popow.

Auf der zwischenmenschlichen Ebene tue die Republik Moldau heute sehr viel, um die Kontakte zwischen den Menschen in den von der Regierung kontrollierten Gebieten und in Transnistrien zu erleichtern und den Menschen in Transnistrien zu zeigen, dass sie als Menschen willkommen seien. 45.000 Studierenden aus Transnistrien besuchten heute moldauische Universitäten. Die Republik Moldau erkenne transnistrische Autonummernschilder an. 40 Prozent des Exports von Transnistrien gingen nach Moldau, 30 Prozent in die EU, weniger als 20 Prozent nach Russland.

Moldau, so Popov, sei derzeit Haupthandelspartner von Transnistrien. Transnistrien erhalte von Moldau Handelspräferenzen. „Man muss den Menschen dort mit Achtung begegnen. Wenn man nur an das Territorium denkt, werden die Menschen selbst zweitrangig.“

Fußballmannschaften von Transnistrien spielen in der Gesamtbundesliga von Moldau mit. Und wenn eine Fußballmannschaft von Transnistrien im Ausland spiele, spiele diese unter der moldauischen Fahne, so Popov.

Die georgischen Erfahrungen

Von 2012 bis 2016 war Paata Zakareishvili Minister in Georgien. Zunächst hieß sein Ministerium „Ministerium für Reintegration“. Doch ein halbes Jahr nach seinem Amtsantritt setzte er eine Umbenennung des Ministeriums in „Ministerium für Versöhnung und Gleichberechtigung“ durch. Zakareishvili, der in seiner Zeit als Minister ausschließlich für die Kontakte der georgischen Zentralregierung mit den abtrünnigen Gebieten in Südossetien und Abchasien zuständig war, ist der Auffassung, das es nicht richtig war, sein Ministerium als „Reintegrations-Ministerium“ zu bezeichnen. Reintegration stehe am Ende eines mühsamen Prozesses. Zunächst einmal gehe es jedoch um Versöhnung, Dialog, vertrauenschaffende Maßnahmen, den Ausbau von wirtschaftlichen Beziehungen mit den Gebieten, so der ehemalige Minister. Erst nach der Änderung des Namens des ehemaligen „Reintegrations-Ministeriums“ seien die Machthaber der von Tbilisi nicht kontrollierten Gebiete zu einer Zusammenarbeit mit seinem Ministerium bereit gewesen, so Zakareishvili.

Inzwischen habe sich in Georgien die Stimmung im Verhältnis zu den Bewohnern und Bewohnerinnen dieser Gebiete sehr entspannt. Dies liege unter anderem daran, dass Abchasen und Südosseten zu Zigtausenden das Angebot Georgiens wahrnehmen, sich in Georgien medizinisch behandeln zu lassen. Und es habe natürlich einen Einfluss auf das zwischenmenschliche Klima, so Zakareishvili, wenn sich zigtausende aus verfeindeten Gebieten in Georgien medizinisch behandeln lassen könnten. Kurz nach dem Krieg, so Zakareishvili, habe man die Bewohner dieser Gebiete noch als Feinde und Verräter angesehen. Wer es damals trotzdem gewagt hatte, nach Georgien zu reisen, sei an den Checkpoints beleidigt und feindschaftlich behandelt worden. „Heute sind wir all denen dankbar, die auch in diesen schwierigen Zeiten damals die Kontakte auf der menschlichen Ebene nicht abgebrochen haben.“

Die Rolle Russlands

„Russland hat seine Sicht auf seine Interessen. Und diese Sicht teile ich nicht. Aber diese Sicht völlig außer acht zu lassen, sie nicht einmal wahrnehmen, nein, das kann ich nicht.“ so der Moldauer Diplomat Andrej Popov. Moldau habe auch eine Verantwortung für die Gebiete, die es nicht kontrolliere. Es sei wichtig, dass sich die Menschen in den von Chisinau kontrollierten Gebieten wohl fühlten, dort eine unabhängige Rechtssprechung und freie Presse garantiert seien. Das bringe den Prozess im gesamten Land voran, so Popov.

In den ersten 10 Jahren des Konfliktes, so der Georgier Zakareishvili, habe man sich eigentlich nicht sehr für die Menschen in Abchasien und Südossetien interessiert. „Und erst danach haben wir begriffen, dass wir es Russland dadurch erleichtern, mit den Gefühlen dieser Menschen zu manipulieren.“ Schließlich verstehe man die Region in Moskau besser als in Washington und Brüssel. Und deswegen sei es für Russland auch einfacher, die Menschen zu manipulieren. Und genau deswegen aber sei es wichtig, sich in die Gefühlswelt der Menschen in den nicht kontrollierten Gebieten hineinzufinden. Man habe in Georgien viele Fehler gemacht, so Zakareishvili. Habe versucht, der Bevölkerung dieser Gebiete die Strom- und Gasversorgung zu sperren, ihnen ihre Renten nicht auszuzahlen. In der Folge habe man diese Gebiete nur noch mehr in die Hände Russlands getrieben. Man müsse differenzieren, so Zakareishvili. Georgien habe nicht einen Konflikt, sondern drei: einen mit Südossetien, einen mit Abchasien und einen mit Moskau.

Die Perspektive

Die Republik Moldau, so Popov, sei Weinanbaugebiet. Ein guter Wein, das wisse man in Moldau, brauche Zeit. Auch mit dem Frieden sei es so. Man brauche einen langen Atem. Und der, so Popow, müsse 5, 10 oder vielleicht auch 15 Jahre reichen.

Bernhard Clasen, freier Journalist und Dolmetscher für Russisch, schreibt seit 30 Jahren über die ehemalige Sowjetunion. Seit Anfang 2014 ist er Korrespondent der taz in Kiew. Ende Juni berichtete er auf einem Fachgespräch in der Stiftung zur Situation vor Ort und möglichen Strategien zur Beilegung der Konflikte.