Von Journalisten noch vor der Verkündung des amtlichen Wahlergebnisses befragt, erklärte der tschechische Staatspräsident Miloš Zeman, dass er die erste Parlamentssitzung frühestens nach 30 Tagen einberufen werde. Damit schöpft er die ihm gesetzlich vorgeschriebene Zeitspanne zur Parlamentskonstituierung komplett aus. Zeman kündigte aber an, dass er die Regierungsbildung der Partei mit dem besten Wahlergebnis anvertrauen werde. Zugleich werde er die 30 Tage selber nutzen, um mit Vertretern aller Fraktionen über mögliche Regierungskoalitionen zu sprechen.
Tatsächlich steht das Land nun nach den Wahlen vom 20./21. Oktober 2017 vor einer nicht einfachen Regierungsbildung, obwohl ein klarer Wahlsieger feststeht. Die politische Szene wurde sehr viel kräftiger durcheinandergewirbelt, als viele Beobachter es erwartet hatten. In das neue Parlament ziehen jetzt neun Parteien in Fraktionsstärke ein, was die parlamentarische Zusammenarbeit sehr viel unübersichtlicher werden lässt als bislang.
Fest steht aber, dass das politische Gewicht klar zur rechten Seite hin verschoben wurde. Zur stärksten Partei wurde ANO 2011. Die Partei des steinreichen Unternehmers Andrej Babiš erhielt 29,64 Prozent der abgegebenen Stimmen. Das bringt ihnen im tschechischen 200-Sitze-Parlament 78 Mandate ein.
Auf Platz zwei kam die nationalkonservative ODS (Demokratische Bürgerpartei) mit 11,32 Prozent der abgegebenen Stimmen und damit 25 Sitzen im Parlament. Vor vier Jahren hatte die ODS knapp unter 8 Prozent erhalten. Auch das ODS-Abschneiden ist dem allgemeinen Trend nach rechts zuzuschreiben. Diesmal kandidierte auf der ODS-Liste übrigens Václav Klaus jr., der Sohn von Ex-Staatspräsident Václav Klaus, der sich im Wahlkampf genauso EU-kritisch gab wie seinerzeit sein Vater.
Der dritte Platz ging überraschend an die tschechische Piratenpartei, die knapp 11 Prozent der abgegebenen Stimmen erhielt und nun 22 Abgeordnetenmandate erhält. Gegenüber dem Ergebnis von mageren 2,66 Prozent im Jahre 2013 ist dies ein gehöriger Erfolg.
Ebenfalls 22 Parlamentssitze erreichte die rechtsgerichtete und einwanderungsfeindliche Partei Freiheit und direkte Demokratie (SPD) mit 10,63 Prozent der abgegebenen Stimmen. Die Partei wird angeführt von Tomio Okamura, der als Kind einer tschechischen Mutter und eines japanischen Vaters erfolgreich gegen die drohende Islamisierung und gegen die EU-Mitgliedschaft Tschechiens trommelte. Politische Unterstützung bekam die Partei übrigens von Marie Le Pen, die das Engagement der Okamura-Partei für die Freiheit der tschechischen Bürger und für Europa gepriesen hat.
Eine deutliche Niederlage steckten die beiden großen linksgerichteten Parteien ein. Sowohl die bislang erfolgsgewöhnten Sozialdemokraten (ČSSD) als auch die Kommunisten (KSČM) bekommen nur noch jeweils 15 Abgeordnetenmandate, wofür bei der KSČM 7,76 Prozent und bei der ČSSD 7,27 Prozent der abgegebenen Wählerstimmen reichen.
Erstmals schnitten die Kommunisten besser ab als die Sozialdemokraten, aber das kann nur noch ein schwacher Trost sein. Im Vergleich zur letzten Legislatur verlieren die Sozialdemokraten 20 und die Kommunisten 18 Parlamentssitze. Die ČSSD-Spitze sprach bereits vom Gang in die Opposition.
Herausgehoben werden soll hier der Einzug von Jiří Dolejš , der als Kandidat für die KSČM in Prag mit 4124 Stimmen ein überdurchschnittliches Ergebnis erzielte, das eines der besten für die KSČM überhaupt ist. Die Hauptstadt gilt seit jeher als besonders schweres Pflaster für die Kommunisten, diesmal blieb die Partei hier knapp unter 5 Prozent.
Die Piraten bekamen in Prag über 17 Prozent, ihr bestes Ergebnis landesweit. Überhaupt fällt auf, dass die beiden linksorientierten Parteien KSČM und ČSSD in den großen Städten ziemlich schwach abschnitten – die Zahlen bleiben deutlich unter 10 Prozent.
In das neue Parlament ziehen noch drei weitere Gruppierungen ein: Die Christdemokraten (KDU-ČSL) mit 10 Sitzen, die Wirtschaftsliberalen und klaren EU-Befürworter von TOP 09 unter Führung von Karel Schwarzenberg mit 7 Sitzen und die Bürgerrechtspartei STAN mit 6 Sitzen.
Abgestürzt sind hingegen die Grünen, die unter 2 Prozent der abgegebenen Stimmen blieben und künftig keine staatliche Parteienfinanzierung mehr bekommen werden. Der designierte Ministerpräsident Andrej Babiš gratulierte noch am Wahlabend allen in das Parlament einziehenden Parteien und kündigte seinerseits die Bereitschaft an, rasch mit den Sondierungsgesprächen beginnen zu wollen. Babiš´ Offenheit gegenüber verschiedenen Koalitionsoptionen ist nur die Kehrseite für die etwas verfahrene Situation, denn im Grunde überbieten sich die für eine Regierungsbildung prinzipiell in Frage kommenden Parteien einstweilen mit Absagen in Richtung des Wahlsiegers ANO. Aber das kann sich im politischen Alltagsgeschäft schnell ändern. Auf jeden Fall wird Babiś die Chance, eine Regierung unter seiner klaren Führung zusammenzuzimmern, nicht verstreichen lassen. Letztlich könnte er selbst mit der Okamura-Partei ins Koalitionsbett gehen, was noch einmal ein zusätzlicher Beweis für den eingetretenen Rechtstrend wäre.
Zu analysieren bleibt die Wahlniederlage der beiden linksorientierten Parteien. Zwei Faktoren haben ganz offensichtlich dazu beigetragen, die ohnehin vorhandenen Tendenzen noch zu verstärken: Zum einen die Krise, in der die EU sich derzeit befindet, sowie zweitens die ungelöste Migrationspolitik innerhalb der EU. Warum die Befürchtungen um ein „Europa zweier Geschwindigkeiten“, die in großen Teilen der Öffentlichkeit des Landes zu spüren ist, nun aber gerade die EU-skeptischen und rechtsnationalen Gruppierungen gestärkt haben, muss näher untersucht werden.
In Tschechien haben, wie in anderen Beitritts-Ländern von 2004 auch, die Ängste der Bürgerinnen und Bürger ein vermeintliches Ventil in stramm rechten und nationalkonservativen Positionen gefunden. Wie sehr sich das Wahlergebnis nun in Regierungspolitik umsetzen wird, bleibt indes noch abzuwarten.
Ein heikler Punkt und eine enorme Herausforderung ist der auffallend geringe Anteil von Frauen unter den neuen Mandatsträgern im Parlament. Mit Erstaunen konnte vor den Wahlen bei den unterschiedlichen Fernsehdebatten immer verlässlich auf eine Männerriege geschaut werden, denn selbst der Moderator war meistens männlichen Geschlechtes. Die 22 Parlamentssitze der Piraten werden zum Beispiel nun von 19 Männern und lediglich drei Frauen besetzt. In den anderen Fraktionen sieht es kaum besser aus. Eine Ursache liegt darin, dass die Parteien zwar Listenplätze vorgeben, die Wähler und Wählerinnen jedoch in der Wahlkabine frei entscheiden können, welchem konkreten Kandidaten oder welcher Kandidatin auf der Parteiliste die Stimme gegeben wird. Insgesamt haben es so nur 44 Frauen in das Parlament geschafft, die klare Mehrheit bilden so gesehen die 156 Männer.