Nachricht | Pluraler Meinungsstreit besser als Zensur

Stellungnahme der RLS zum Streit um »antideutsche« Programminhalte auf der Ferienakademie des Studienwerks

Ausgelöst durch einen Artikel  in der »jungen welt« (vom 10.06.2009) wurden in den letzten Wochen in der RLS und ihrem Umfeld intensive Debatten um die Präsenz dreier Referenten aus dem antideutschen Spektrum auf der Ferienakademie der RLS geführt. Die Junge Welt hat in weiteren Artikeln, Stellungnahmen und Offenen Briefen (vom 8.7. und 10.7. und 13.7.) über Ausschnitte dieser Debatte berichtet.

Der dort erhobenen Forderung nach Stellungnahme möchte die Stiftung hier nachkommen und die Position der RLS und des Studienwerks zu diesem Problem noch einmal deutlich machen.

Die Ferienakademie ist die größte und wichtigste Veranstaltung im Rahmen der ideellen Förderung der StipendiatInnen. Sie wird in Abstimmung mit dem Studienwerk im Wesentlichen durch eine stipendiatische Arbeitsgruppe vorbereitet und ist das Diskussionsforum für thematische Arbeitskreise,  einzelne StipendiatInnen und VertrauensdozentInnen.  Diese Organisationsform ist dabei nicht zufällig gewählt, sondern entspricht dem Förderprinzip des Studienwerks, das der Selbstorganisation sehr große Bedeutung zumisst.

Im Ergebnis dieser Organisationsform waren in der Vergangenheit einige Themen stärker vertreten als andere, was von einigen StipendiatInnen kritisch angemerkt wurde. Dies hat dazu geführt, dass sich das Studienwerk seit diesem Jahr stärker in die inhaltliche Gestaltung der Ferienakademie einbringt. So wurde das Programm um vier zeitlich umfangreiche, systematische Reihen ergänzt, die die Hälfte des Gesamtprogramms ausmachen. Diese werden von KollegInnen aus der Stiftung und DozentInnen der Freien Universität Berlin durchgeführt und beinhalten Themenschwerpunkte wie »Demokratie und Kapitalismus« oder »Nachhaltigkeit und politische Ökologie«. Die zweite Zeithälfte der Ferienakademie bilden Workshops, die - wie bislang auch - von den StipendiatInnen und ihren Arbeitskreisen in Eigenregie organisiert werden.

Was nun die Präsenz antideutscher Themen und Referenten angeht, so ist es für eine strömungsübergreifend fördernde linke Stiftung nicht überraschend, dass die Auseinandersetzungen und Diskussionen innerhalb der Linken in der BRD auch unter den StipendiatInnen geführt werden. Ein solches Thema ist beispielsweise der Nahostkonflikt. Es wurde bisher auf fast allen Ferienakademien der Rosa-Luxemburg-Stiftung behandelt, zum Teil mit hitzigen Debatten. Dabei kam es zu Überspitzungen auf der einen oder anderen Seite.

Im Laufe der Jahre konnte allerdings festgestellt werden, dass immer mehr StipendiatInnen sich nicht mit einseitigen Argumenten abfinden und bemüht sind, sachlich und mit entsprechender Gesprächskultur tiefer in dieses vielschichtige Thema einzudringen. Es sei an dieser Stelle noch einmal vermerkt, dass seitens des Studienwerks großer Wert auf die Selbstorganisation als Förderprinzip gelegt wird. Wenn man diese Selbstorganisation ernst nimmt, kann man nicht Referenten ausladen, weil sie eine politische Richtung innerhalb des linken Spektrums vertreten, die mitunter stark polarisierend ist.

In Reaktion auf die Debatten um die Referenten haben sich die KollegInnen des Studienwerks mit dem AK Ferienakademie darüber verständigt, wie eine ausgewogene, die widerstreitenden Positionen berücksichtigende Behandlung der Thematik in der diesjährigen Ferienakademie erreicht werden kann. Es bestand Übereinstimmung, dass besser als Zensur und eine autoritäre Ansage „von oben“ ein pluraler Meinungsstreit ist, zu dem alle StipendiatInnen angehalten sind. Im konkreten Fall wurde der (ehemalige) Stipendiat Dr. Peter Ullrich gewonnen, eine Veranstaltung zu realisieren, die sich mit der Metaebene der Auseinandersetzung der Linken in der BRD zum Nahostkonflikt befassen wird. Darüber hinaus wurden alle StipendiatInnen aufgefordert, sich an der Gestaltung des Programms zu beteiligen.

Für das nächste Jahr ist zusätzlich geplant, die stipendiatischen Arbeitskreise auf in ihren inhaltlichen Positionen ausgewogene Diskutanten zu orientieren. Sollte die angestrebte Ausgewogenheit nicht erreicht werden, können im Einzelfall auch ReferentInnen durch den AK Ferienakademie bzw. das Studienwerk abgelehnt werden. Des weiteren wird derzeit im Studienwerk als Reaktion auf die Unstimmigkeiten in der Vorbereitung der Ferienakademie an einem Reader zum Nahostkonflikt gearbeitet, der über die Geschichte des Konflikts sowie unterschiedliche Positionen auf der Metaebene informieren will, die Darstellung einseitiger Positionen jedoch ausschließt.

Eine angemessene Bewertung der Geschehnisse muss berücksichtigen, dass es sich bei der Ferienakademie um eine von den StipendiatInnen eigenverantwortlich organisierte Veranstaltung  handelt, die der Debatte in diesem Personenkreis dient und damit auch deren Kontroversen widerspiegelt. Wir sind z.B. mit einem Angebot zum Thema Iran auch nicht glücklich. Die Zusammenstellung der Workshops und Referenten steht deshalb nicht stellvertretend für die Positionen der RLS in der Nahost-Politik. Vielmehr weist das Veranstaltungs- und Publikationsprogramm der Stiftung dort eine beeindruckende Vielfalt und Pluralität auf.

In diesem Kontext möchten wir auf die Veranstaltungen mit dem Knesseth-Abgeordneten Dov Khenin bzw. mit unserer Auslandsregionalbüroleiterin Angelika Timm hinweisen, die in der Zeit vom 23. bis 25. Juni 2009 in Hamburg, Potsdam und Berlin stattfanden (siehe auch: www.rosalux.de/cms/index.php?id=18982). Sie sind nicht zuletzt Ausdruck dafür, dass die RLS keineswegs ausschließlich „über“ die Entwicklungen im Nahen Osten redet, ohne Protagonistinnen und Protagonisten aus diesem Teil der Erde anzuhören und einzubeziehen.

Weitere Beispiele für die Arbeit der RLS auf diesem Themenfeld sind diese Projekte:

  • Der Israel/Palästina-Konflikt als Thema der politischen Bildung – eine Veranstaltung und Dokumentation des Kurt-Eisner-Vereins in Bayern (siehe: http://bayern.rosalux.de/index.php?id=19044);
  • Die Publikationen des Gesprächskreises Frieden und Sicherheitspolitik (z.B. „Endstatusverhandlungen im Nahen Osten? Nur ein lebensfähiger palästinensischer Staat kann zu einer dauerhaften Friedensregelung führen.“ Manuskripte 82 der RLS, Hrsg. Erhard Crome, http://www.rosalux.de/cms/index.php?id=18124);
  • Die Veröffentlichung unseres früheren Promotionsstipendiaten Peter Ullrich „Die Linke, Israel und Palästina. Nahostdiskurse in Großbritannien und Deutschland“ (http://www.rosalux.de/cms/index.php?id=17450), auf einer Lesereise mit Diskussion in vielen Städten vorgestellt;
  • Die Newsletter von Peter Schäfer (RLS-Büro in Ramallah), zuletzt „Redet mit der Hamas! Führende Vertreter der palästinensichen Zivilgesellschaft sprechen sich für einen internationalen Dialog aus.“ (http://www.rosalux.de/cms/index.php?id=19345);
  • Nicht zuletzt natürlich die Veranstaltungen zu 60 Jahren Israel und 60 Jahren „Nakba“ 2008 mit Reden u.a. von Gregor Gysi und Wolfgang Gehrcke (http://www.rosalux.de/cms/index.php?id=15558).

Und natürlich ist auch die laufende, beeindruckende Veranstaltungs- und Projektarbeit der RLS-Büros in Tel Aviv und Ramallah zu erwähnen, von deren Qualität ich mich zuletzt in der Zeit vom 01. bis 04.07.2009 in Israel überzeugen konnte. Kurz, diese und andere Veranstaltungen und Publikationen machen die Vielfalt der im Umfeld der RLS diskutierten Standpunkte deutlich.

Florian Weis (Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der RLS)


Reader des Studienwerks zum Thema:

  • Ordnung der linken Diskurse. Fallstricke und Befindlichkeiten im Blick der deutschen Linken auf den Nahostkonflikt (Hrsg. v. Moritz Blanke und Marcus Hawel) interner Link folgtmehr

Berichterstattung in »junge welt« und »Neues Deutschland«:


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