Nachricht | Jugendrevolte in Zürich 1980/81

Flugblätter dokumentieren den rebellischen und ironischen Esprit der Zeit

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«Gegen das Packeis! Autonomes Jugendzentrum jetzt!» Mit diesen – und anderen - Parolen erschüttern im Sommer 1980 mitunter militante Jugendproteste Zürich. In einem Band sind nun 200 Flugblätter aus diesen Monaten in Originalgröße chronologisch dokumentiert.

Unkommerzielle Orte gibt es kaum, die Forderung nach unkontrollierten Räumen dementsprechend schon länger, am 30. Mai 1980 kulminieren sie im legendären Opernhauskrawall. Am 28. Juni wird schließlich das berühmt-berüchtigte Autonome Jugendzentrum (AJZ) eröffnet. Der soziale Konflikt geht aber weiter. Etliche Demonstrationen mit mehreren tausend Personen finden statt, es wird die Einstellung aller Strafverfahren gefordert. Das Interesse der Behörden an Strafverfolgung ist groß, fast 1000 Verfahren sind vor den Gerichten anhängig. Das AJZ wird geschlossen, wiedereröffnet und schließlich am 23. Februar 1982 abgerissen. Die Bewegung ist da schon am Boden, innerlich gespalten und von den Ereignissen des Herbst und Winter 1981/82 im AJZ, wo es eine massive Diskussion um Drogen und den Umgang mit dort sich aufhaltenden AlkoholikerInnen und Obdachlosen gibt, überfordert.

Die Flugblätter dokumentieren den rebellischen und ironischen Esprit der Zeit. Angeregt vom Punk und Dadaismus wird eine radikale Autoritäts- und Konsumkritik geübt, wie es heute kaum noch üblich ist. Formal herrscht Collage und Schnippelästhetik vor, die sich auch gegen die trockene, ernste, alte (kommunistische und sozialdemokratische) Linke richtet. Auslöser der Jugendrevolte war weniger ein ausgefeiltes theoretisches Konstrukt, sondern der Wunsch nach selbstverwalteten, bezahlbaren Räumen für Jugendliche. Daraus entwickelt sich mittels der Flugblätter ein schneller und flüchtiger Schlagabtausch im öffentlichen Raum um «die öffentliche Meinung» einerseits. Die Flugblätter dienen aber auch der Mobilisierung der Bewegung nach «innen» andererseits. Wobei vielen auch die öffentliche Meinung egal ist, da diese sie nicht interessiert. Im Buch wird es so dargestellt, als seien viele der damaligen GestalterInnen Auszubildende an verschiedenen Kunst(gewerbe)schulen gewesen. Die Textbeiträge stammen alle von erfolgreichen DesignerInnen, die in der Regel an der Bewegung teilgenommen haben. Aus heutiger Sicht schreiben die Herausgeber, dass die Jugendbewegung Zürich lebenswerter gemacht habe, und entpolitisieren dadurch die aktuellen Zustände in der Finanzmetropole und Global City Zürich. Einzige Ausnahme ist der Videoaktivist und Bewegungsforscher Heinz Nigg, von dem ein Text aus einem seiner Bücher aus 2001 zweitveröffentlicht wird.

Die Ironie, die Lust am Experiment, das Spielerische, das hier wieder sichtbar (gemacht) wird, kann heute abermals Anregung sein; auch wenn die Zeitumstände heute definitiv andere sind.  

Peter K. Bichsel, Silvan Lerch (Hrsg.): Autonomie auf A4. Wie die Zürcher Jugendbewegung Zeichen setzte. Flugblätter 1979–82, Limmat Verlag Zürich 2017, 296 Seiten, 64 EUR