Nachricht | Staat / Demokratie - Wirtschafts- / Sozialpolitik - International / Transnational - Globalisierung - Afrika - Nordafrika Was die «Schwarze Liste» mit der Freihandelspolitik zu tun hat

Die europäische Linke gegen die Sanktionierung Tunesiens. Von Imène Cherif für die Rosa-Luxemburg-Stiftung Nordafrika.

Information

Autorin

Imène Cherif,

Am 27. Februar 2018 führte das Nordafrika-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tunis eine Diskussionsveranstaltung mit Marie-Christine Vergiat, Mitglied der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke im Europäischen Parlament durch. Thema der Veranstaltung war der Beschluss der Europäischen Kommission, Tunesien auf die sog. «Schwarze Liste» jener Länder zu setzen, die Steuerflucht, Geldwäsche und Terrorfinanzierung erleichtern. Während ihres Besuchs traf die Parlamentarierin der Europäischen Linken tunesische Parlamentarier*innen, Vertreter*innen der Zivilgesellschaft sowie den tunesischen Außenminister, um ihnen die Position des Europäischen Parlamentes zu erklären und über Gründe und Implikationen für die europäisch-tunesischen Beziehungen zu diskutieren.

In den letzten zwei Monaten wurde Tunesien, das einzige arabische Land, das Erfolge bei der demokratischen Transformation aufweisen kann, gleich zwei Mal von der EU auf eine schwarze Liste gesetzt:am 5. Dezember 2017 brachte der Rat der 28 europäischen Finanzminister das Land auf die schwarze Liste von 17 Steueroasen, am 13. Dezember entschloss sich die Europäische Kommission, Tunesien auf die Liste der Länder zu setzen, bei denen ein hohes Risiko der Geldwäsche und Terrorfinanzierung besteht.

Was bedeutet die Schwarze Liste für das wirtschaftlich und politisch fragile Tunesien?

Diese Klassifikation erstaunt umso mehr, als die EU sonst Tunesien immer wieder ihre Unterstützung bei dem fragilen Prozess der demokratischen Transformation zugesagt und der tunesischen Regierung technische Hilfe gewährt und vielfältige Entwicklungsprogramme und -projekte finanziert hat. In der tunesischen Öffentlichkeit hat der Beschluss angesichts der guten und engen Beziehungen zwischen der EU und Tunesien für Verwirrung und Verunsicherung gesorgt, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die beiden Seiten über ein sogenanntes vertieftes und umfassendes Freihandelsabkommen verhandeln – in Tunesien unter dem französischen Akronym ALECA  (Accord de Libre Échange Complet et Approfondi) bekannt.

Die Resolution der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke, der Beschluss des Europäischen Parlaments und die absolute Mehrheit

Marie-Christine Vergiat ergriff im Namen ihrer Fraktion die Initiative, über einen Beschluss des Europäischen Parlaments die sog. delegierte Rechtsakte der Europäischen Kommission zu Fall zu bringen. Am 7. Februar 2018 unterstützte das Europäische Parlament auf seiner Plenarsitzung mit 357 Stimmen bei 283 Gegenstimmen die Initiative der Linken. Trotzdem reichte das Stimmergebnis nicht, um Tunesien von der Liste zu nehmen. Der Grund dafür: Für die Rücknahme eines Beschlusses der Kommission ist eine Mehrheit aller Mitglieder nötig, die Mehrheit der Anwesenden, reicht nicht aus. Es fehlten genau 19 Stimmen.

Die Leidtragenden des unfairen Beschlusses ist das tunesische Volk

Marie-Christine Vergiat

Marie Christine Vergiat wies auf die schädliche Wirkung solcher Klassifikationen für Tunesien hin, ein Land mit großen Wirtschaftsproblemen und in dem soziale Forderungen im Mittelpunkt des revolutionären Prozesses stehen. Es ist vor allem das tunesische Volk, das unter dem Beschluss leiden wird.

Seit der Revolution vom 14. Januar 2011 galt Tunesien als «Musterschüler» der internationalen Finanzinstitutionen, der Europäischen Union und ihrer Repräsentanten in Tunis. Trotzdem hat die Europäische Kommission, deren Funktion es ist, die gemeinsamen Beschlüsse der Union vorzuschlagen und die beschlossene Politik zu implementieren, im Eilverfahren Tunesien auf jene besagte Länderliste gesetzt., bei denen ein hohes Risiko von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung besteht - in Gesellschaft von Bürgerkriegsländern wie Syrien, dem Irak und Afghanistan. In ihrem Vorgehen gegenüber Tunesien hat die Europäische Kommission auch den letzten Bericht der Financial Action Task Force of the Middle East and North Africa (FAFT MENA) ignoriert, der für die Klassifizierung verantwortlich ist und der Tunesien noch am 6. Dezember 2017– also eine Woche vor dem Beschluss der Kommission – Fortschritte bei Maßnahmen gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung bescheinigte. Marie-Christine Vergiat zeigte sich auch deshalb erstaunt, weil Länder bei denen man eher Terrorismusfinanzierung und Geldwäsche vermuten würde, wie das kriegsgebeutelte Libyen oder die Golfländer, nicht auf der schwarzen Liste auftauchen.

Während der Europäische Rat immerhin auf seiner Sitzung am 23. Januar 2018 in Brüssel Tunesien von der Liste der Steueroasen entfernt hat (zusammen mit Südkorea, den vereinigten Arabischen Emiraten, der Mongolei, Macao, Grenada, Barbados und der Steueroase Panama), blieb die Kommission trotz des letzten FAFT MENA-Berichts, in dem diese empfohlen hatte, Tunesien von der Liste der «Länder mit strategischen Defiziten» zu streichen und statt dessen auf die Liste der «Länder unter Beobachtung» («graue Liste») zu setzen. Die zuständige Kommissarin ging nach Aussage von Vergiat sogar so weit, persönlich Druck auf einzelne Parlamentarier auszuüben, der Initiative der Linken nicht zuzustimmen.

Zweifelhafter Druck, der auf Tunesien ausgeübt wird

Viele Tunesier*innen fragen sich, was hinter der Entscheidung der Kommission stehen könnte .  Im Oktober 2015 bot die EU Tunesien Verhandlungen über ein «Erweitertes und vertieftes Freihandelsabkommen» an. Die erste Runde der Gespräche fanden vom 18. bis zum 21. April 2016 statt. Die EU würde gerne die Verhandlungen vor den Neuwahlen des Europäischen Parlaments abgeschlossen haben. Nun steht die Vermutung im Raum, dass über die schwarze Liste Druck auf die tunesische Regierung ausgeübt werden soll. Die europäische Abgeordnete schließt diese Hypothese nicht aus. Sie glaubt, dass die Kommission mit ihrem Beschluss versucht, Tunesien ihre Konditionen und ihren Fahrplan sowohl was die Verhandlungen über die Liberalisierung verschiedener Wirtschaftssektoren im Rahmen von ALECA wie über die sog. Mobilitätspartnerschaft aufzuzwingen. Sie glaubt, dass ALECA im Fall seiner Ratifizierung eine Katastrophe für lokale Wirtschaft und vor allem für tunesische Landwirte sein wird.  Ähnlich könnte über die Schwarze Liste Druck ausgeübt werden, dass Tunesien, in dem Versuch im Rahmen der Mobilitätspartnerschaft Visa-Erleichterungen für Tunesier*innen verhandeln, dazu gezwungen wird, EU-Konditionen, v.a. was die Rücknahme von Flüchtlingen aus sub-saharischen Ländern betrifft, zu akzeptieren. Die EU würde heute nur noch über die Erleichterung von Prozeduren, nicht aber mehr über offene Grenzen sprechen.   

Die Veranstaltung mit Marie Christine Vergiat reiht sich ein in das Bemühen der Rosa-Luxemburg-Stiftung den Dialog zwischen fortschrittlichen Kräften in Europa und Nordafrika zu fördern. Ziel der Veranstaltung war es, eine Bilanz über die möglichen negativen Auswirkungen der Klassifizierung Tunesiens angesichts der schwierigen Wirtschaftslage durch die EU zu ziehen. Für die Tunesier*innen ist es wichtig zu verstehen, welche Intentionen europäische Institutionen verfolgen angesichts der Tatsache, dass die beiden ungleichen Partner vor einer neuen Runde der ALECA-Veranstaltungen stehen.