Kritik des Computers. Der Kapitalismus und die Digitalisierung des Sozialen
Veranstaltungsbericht
Dr. Werner Seppmann, Soziologe und Publizist, stellte am 13. März in der Kulturwerkstatt in Paderborn die Entwicklung der Computertechnik, ihre militärischen Grundlagen und (Haupt-)Verwendung sowie ihre ideologischen und manipulativen Implikationen dar. Seppmann diskutierte die Vor- und im besonderen die Nachteile der Digitalisierung. Diese war taktisch sehr bewusst und gezielt ausgerichtet, so Seppmann, glorifizierte einseitig Nutzen und Vorteile, entzog den Nutzern aber grundlegenden Einfluss. Für die breite Öffentlichkeit blieb die Digitalisierung folgenreich, aber weitgehend intransparent. Die damit verknüpften Hoffnungen auf Demokratisierung gehen in die Irre: die Menschen werden der Technik angepasst und nicht umgekehrt.
Euphorikern der Digitalisierung, die mit ihr vorrangig Arbeitserleichterungen und ungeahntes Wirtschaftswachstum verbinden, versetzte der Soziologe und Publizist beim Linken Forum einen deutlichen Dämpfer: Die „seuchenartige Verbreitung“ des Computers in allen Lebensbereichen zeitige, beispielhaft im Bildungssektor, „fragwürdige bis katastrophale Wirkungen“.
Seppmann sprach mit Bezug auf zahlreiche Untersuchungen durch die neuere Hirnforschung von einer „Behinderung kognitiver Fähigkeiten und emotionaler Prozesse“ bei einem zu frühen Computereinsatz in den Schulen. Folge seien eine zu geringe Verarbeitungstiefe des Lernstoffs, die Verkümmerung der Schreibkompetenz und damit verbunden die defizitäre Ausbildung des Denkens in Zusammenhängen. Auch das Lesen am Bildschirm bewirke durch die dem Medium eigene Linkstruktur in der Summe eine Fragmentierung von Bildungsinhalten.
Völliges Unverständnis erntete die durch Bildungspolitiker und auch seitens Bundeskanzlerin Angela Merkel erhobene Forderung nach Einführung von Tablet-Computern schon in den Grundschulen. Seppmann: „Deren Einführung ist nur als Unterschichten-Programm verständlich nach dem Motto: Computerlernen für das Fußvolk!“ Von jeder Fachkenntnis ungetrübt habe sich unlängst die neue Staatsministerin für Digitalisierung, Dorothea Bär, in der Form geäußert, dass es nicht sein könne, dass nur die Kinder reicher Eltern an den Computer geführt würden. „Das genaue Gegenteil trifft zu. Die Pioniere des Internetzeitalters wie Bill Gates oder Steve Jobs achteten stets sehr genau darauf, dass ihre Kinder auf ihren exklusiven Privatschulen vor dem zehnten Lebensjahr mit Computern nur unter streng kontrollierten Bedingungen – wenn überhaupt - in Berührung kamen.“ Die Forderung Bärs sei an Dummheit kaum zu überbieten.
Werner Seppmann betonte mehrfach, dass es ihm nicht um eine Verteufelung digitaler Techniken gehe. Ansatzpunkt seiner Kritik sei vielmehr der überzogene und unkontrollierte Gebrauch der neuen Medien. Computertechnologie bleibe, davon zeigte sich der Soziologe überzeugt, in ihrem Kern Militärtechnik. Staatliche Erfassungs-, Bewertungs- und Steuerungssysteme überzögen in bislang ungeahnter Kontrolldichte alle Bürgerinnen und Bürger, bis in die Privat- und Intimsphäre hinein. Darin läge eine ernsthafte Gefahr für den Fortbestand der Demokratie.
Die Mehrzahl der Technokraten des Silicon-Valley, die sich als Löser aller Probleme gerierten, trieben, so Seppmann, in Wahrheit markradikale Verhältnisse mit wenigen Global Playern an ihrer Spitze voran. Abschließend zitierte Seppmann den Mitbegründer des Online-Bezahldienstes PayPal, Peter Thiel: „Das Schicksal der Welt hängt von Bestrebungen einer einzelnen Person ab, die eine Maschine der Freiheit herstellt, die die Welt für den Kapitalismus sicher macht.“ Demokratie brauche es in einem solchen digital basierten Szenario reibungsloser Kapitalverwertung nicht mehr, einen Führer aber in jedem Fall.
Einige Diskussionsbeiträge unterstützten die (fundamental-) kritischen Thesen Seppmanns und brachten weitere Beispiele aus dem Bildungsbereich, wie z.B. dass die Schreibfähigkeit durch Tastaturbedienen und das kritische Denken durch „copy + paste“ reduziert wird. Aber: Viele Nutzer liefern sich freiwillig den Verführungen der Digitalisierung aus, veröffentlichen Privates und halten alles für wahr und wirklich, was im Internet steht. “Konsumentenaufklärung und -erziehung“ sei dringend notwendig.
Andere Beiträge widersprachen der sehr kritischen Einschätzung und Folgenabschätzung der Computertechnik und verwiesen auf die Vorteile der Nutzung durch Arbeitserleichterung und Wissenszuwachs, jedenfalls der Möglichkeit nach. Die tatsächliche Nutzung sei das entscheidende Kriterium. Wieder andere widersprachen der vom Referenten in Anlehnung an Dr. Manfred Spitzer vorgetragenen Kritik aus der Neurophysiologie.
Carsten Schmitt / Linkes Forum Paderborn