Nachricht | International / Transnational - Krieg / Frieden - Globalisierung - Mexiko / Mittelamerika / Kuba - Waffenexporte Heckler & Koch – Prozesstag 1: «Gewerbs- und bandenmäßige Verbrechen»

Eine Mahnwache, großer Medienandrang und die Verlesung der Anklage.

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Autor

Jan van Aken,

Friedensaktivist Jürgen Grässlin und Anwalt Holger Rothbauer bei der Kundgebung vor dem Landgericht am 15. Mai 2018
Friedensaktivist Jürgen Grässlin und Anwalt Holger Rothbauer bei der Kundgebung vor dem Landgericht am 15. Mai 2018 Foto: Andreas Ellinger

Wegen des «Verbrechens eines gewerbs- und bandenmäßigen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz» sind sechs ehemalige Mitarbeiter*innen von Heckler und Koch angeklagt. Die Strategie der Verteidigung: Schuld sind wahlweise die Behörden, die Mexikaner oder ein Toter.

Ein Bericht vom ersten Prozesstag am 15. Mai 2018.
 

Der erste Prozesstag begann mit einer Mahnwache vor dem Stuttgarter Landgericht. Hier wurde der Opfer der deutschen Kleinwaffenexporte gedacht: Bilder der 43 verschwundenen Studenten aus Ayatzinopa im mexikanischen Bundesstaat Guerrero bildeten die eindrucksvolle Kulisse. Auch dort in Guerrero sind sehr wahrscheinlich Sturmgewehre vom Typ G36 bei der Tötung von Student*innen eingesetzt worden – geliefert von Heckler & Koch (HK). Der Freiburger Friedensaktivist Jürgen Grässlin und sein Anwalt Holger Rothbauer, die das Verfahren vor acht Jahren mit einer Strafanzeige ins Rollen gebracht haben, hielten Ansprachen. Um 9:30 Uhr dann begann das Verfahren. Der Presseandrang war groß, im Sitzungssaal fanden sich zum Prozessbeginn ca. 30 Journalist*innen und 40 Besucher*innen ein.
 

Abtrennung des Verfahren gegen Markus B.

Der Handelsvertreter von HK in Mexiko, Markus B., war nicht zum Termin erschienen. Sein Anwalt erklärte, dass B. nicht reisefähig sei und aus medizinischen Gründen nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen könne. Interessant: Ihm war vom Gericht freies Geleit gewährt worden, trotzdem erschien er nicht. Daraufhin stellt die Staatsanwaltschaft mehrere Anträge. So solle das freie Geleit widerrufen und die Reisefähigkeit von B. unabhängig überprüft werden. Falls sich ergeben sollte, dass er reisefähig sei, müsse in internationaler Haftbefehl ausgestellt werden. Außerdem solle das Verfahren gegen B. abgetrennt werden, da andernfalls der gesamte Prozess nicht stattfinden könne. Zum letzteren Antrag entschied das Gericht sofort: Das Verfahren gegen B. wird abgetrennt, es geht mit dem Prozess gegen die anderen fünf Angeklagten weiter.
 

Die Anklage

Zunächst erklärte der Vorsitzende Richter Maurer, dass es so lange von der Anklageerhebung bis zur Prozesseröffnung gedauert hatte, weil die Kammer mit anderen Strafsachen befasst war. Er stellte fest, dass alle anderen Spekulationen, warum die Eröffnung des Verfahrens so lange gedauert hat, jeder Grundlage entbehren würde – was im Saal ein leises Gelächter auslöste, denn schon lange steht der Vorwurf im Raum, dass es nur deshalb acht Jahre von der Strafanzeige bis zum Verfahren gedauert hat, weil einer der Angeklagten, Peter B., früher Präsident des Landgerichtes Rottweil war und die Justiz in Baden-Württemberg eine schützende Hand über ihn hält.

Es wurde dann die aktualisierte Anklage vom 24. April 2018 verlesen – aktualisiert, weil seit der Anklageerhebung im Jahre 2016 eine Tat verjährt ist. Es geht um insgesamt 16 «Taten», die 16 Einzellieferungen von Gewehren und/oder Ersatzteilen nach Mexiko in den Jahren 2006 - 2009 betrafen. Für vier der Angeklagten lauten die Vorwürfe:

  • Verbrechen eines gewerbs- und bandenmäßigen Verstoßes gegen das AWG (Außenwirtschaftsgesetz)
  • Verbrechen des vorsätzlichen Verstoßes gegen das KWKG (Kriegswaffenkontrollgesetz) in besonders schweren Fällen.
Eröffnungsreden der Verteidiger und Angeklagten

Danach hatten alle Verteidiger und Angeklagten die Gelegenheit zu einem ersten Statement. Dabei kristallisierte sich schon klar die Strategie der Verteidigung heraus, wobei allerdings interessante Unterschiede festzustellen waren.

Drei der Angeklagten, Peter B., Joachim S. und Ingo S., waren früher im Management von HK tätig. Sie und ihre Anwälte machten gleich klar, wie ihre Verteidigungsstrategie aussehen wird:

  1. Es habe nie eine Liste verbotener Bundesstaaten in Mexiko gegeben. Von den Genehmigungsbehörden hieß es lediglich, dass die Lieferung in bestimmte Bundesstaaten «Probleme bereiten» würde, oder dass es «genehmigungsrechtlich bedenkliche Staaten» geben würde, aber eben keine Verbotsliste.
  2. In allen Anträgen auf eine Exportgenehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) habe es immer nur geheißen, dass eine Genehmigung für die «Beförderung Mexiko», ohne weitere Einschränkung, beantragt werde. Auch die Genehmigungen lauteten nur auf einen Export nach Mexiko. Die Beschränkung auf einzelne Bundesstaaten befänden sich nur in den Endverbleibserklärungen. Diese seien allerdings nach Ansicht der Verteidigung nicht Bestandteil der Genehmigung. Damit habe HK auch nie gegen eine KWKG-Genehmigung verstoßen, da der Export nach Mexiko ja genehmigt war. Der Anwalt von Peter B. verstieg sich zu der Formulierung, es sei eine «juristische Infamie», «die Endverbleibserklärungen in die Genehmigungen hineinzuzaubern».
  3. Schuld haben immer die Anderen. So seien die Endverbleibserklärungen von den Mexikanern erstellt worden, HK habe sie nur an die Behörden weitergereicht. Außerdem habe HK jegliche Verfügungsgewalt über die Waffen verloren, nachdem sie einmal in Mexiko angekommen waren. Die weitere Verteilung der Waffen vor Ort liege nicht in ihrem Verantwortungsbereich. Außerdem wurde immer wieder Herr H. beschuldigt, ein früherer HK-Mitarbeiter, der ursprünglich auch angeklagt war, mittlerweile aber verstorben ist.

Peter B. führte zudem noch an, dass seine Tätigkeit bei HK in zwei verschiedene Phasen unterteilt werden müsse: Als Behördenbeauftragter (1.1.2006 – 24.7.2007) war er zuständig für die Kontakte zu Behörden für die Erteilung von KWKG-Genehmigungen. Er habe nur eine «untergeordnete Stellung» ohne Weisungsbefugnis gehabt. Ab dem 25.7.2007 wurde er Geschäftsführer und Ausfuhrverantwortlicher.

Anders als bei diesen drei Angeklagten beruht die Verteidigung von Wolfram M. vor allem darauf, dass ihm als einzigen Angeklagten im Verfahren nur Fahrlässigkeit vorgeworfen wird. Sein Anwalt führte aus, dass die absolute Verjährungsfrist für seine Vorwürfe zehn Jahre betrage, deshalb beträfen ihn die ersten zehn Fälle schon gar nicht mehr, der elfte Fall wird noch im September verjähren. Diese Hauptverhandlung gegen M. würde gar nicht stattfinden, wenn er hier allein sitzen würde.

Völlig unverständlich ist die Anklage gegen Marianne B. Sie war als einfache Sachbearbeiterin bei HK tätig und verwies in ihrem Statement darauf, dass sie keinerlei Entscheidungskompetenz hatte und schlicht Aufträge ausführte, von denen sie nicht wusste, dass sie möglicherweise Rechtsverstöße darstellten. Sie habe nie etwas manipuliert und wisse überhaupt nicht, warum sie hier sitze.

Interessantes

Nach der ersten Statement-Runde sagte der Vorsitzende Richter Maurer, dieser Fall sei ungewöhnlich, weil die Rechts- und Sachlage sehr komplex ist. Die Gretchenfrage laute: Was ist Inhalt der Genehmigung? Aus meiner Sicht wird dies der entscheidende Punkt sein, denn die Bundesregierung besteht auf dem Standpunkt, dass die Endverbleibserklärungen auch Inhalt der Genehmigungen sind.

Heckler & Koch ist als GmbH nicht angeklagt, aber so genannte «Nebenbeteiligte», der Firma könnte eine Geldstrafe drohen. Sie ist durch zwei Anwält*innen im Prozess vertreten. Sie beschränkten sich darauf zu bemerken, dass HK seitdem die Verbesserung des Compliance-Systems veranlasst und aus eigenem Anlass eine Untersuchung durch KPMG in Auftrag gegeben habe. Der 700seitige Bericht liege der Staatsanwaltschaft vor. Wörtlich: «HK hat aus dem Vorgang gelernt». Stellt sich die Frage, warum all diese Aktivitäten, wenn HK vorher nichts falsch gemacht hat.

Interessant auch die Äußerung des Angeklagten Peter B., der meinte, angesichts der Bedenken in der Bundesregierung hätte doch die eigentliche Konsequenz sein müssen, eine generelle Ablehnung von Exporten nach Mexiko zu entscheiden. Er habe den Eindruck gewonnen, dass man die generelle Verweigerung aus politischen Gründen vermeiden wollte.

Peter B. machte auch deutlich, dass die Kontakte zu den Behörden fast ausschließlich mündlich stattfanden, es gäbe praktische keine schriftlichen Vorgänge, ganz selten vielleicht einmal eine E-Mail. Er sei als Behördenverantwortlicher ca. zwei Mal monatlich für zwei Tage nach Berlin gereist, um im persönlichen Gespräch alles zu klären.
 

Ausblick

Am Donnerstag, 17. Mai, geht der Prozess weiter, zunächst mit einem Statement des Anwaltes von Joachim M. ehemals Geschäftsführer von HK. Danach werde es Fragen zu den bisher abgegebenen Statements geben sowie weiterer Fragen zur Person der Angeklagten.