Yaraax, Dakar, Senegal. Am 14. Juli 2018 trafen sich zum ersten Mal verschiedene migrantische Selbstorganisationen und Vereine, die mit Migrant*innen arbeiten. Eingeladen von Migration-Développement Yaraax (MigDév) und dem RLS-Westafrika-Büro kam es zu einem ersten Austausch über gemeinsame und unterschiedliche Erfahrungen im Senegal mit dem Ziel, langfristig ein Bündnis aufzubauen.
Die Veranstaltung Journée Village Migrant (deutsch: «Tag Migrant*innendorf») zu nennen und sie in Yaraax stattfinden zu lassen, ist kein Zufall. In dem an der Küste gelegenen Stadtteil Dakars ballen sich migrationspolitische Themen: Hier fahren Pirogen nachts los, mit Menschen, die hoffen, auf die Kanarischen Inseln (Spanien) zu kommen – Menschen, die von woanders her gekommen sind, um die Reise übers Meer anzutreten, genauso wie Menschen aus dem Stadtteil. Doch es geht in Yaraax nicht nur um die, die gehen, sondern auch um die, die bleiben oder zurückkommen. Und um die, die nicht wiederkommen, weil sie die Reise nicht überlebt haben.
Die zunehmende Perspektivlosigkeit, Auslöser für so viele, die lebensgefährliche Reise nach Europa anzutreten, ist in Yaraax spiegelbildlich für andere Regionen. Was man dem entgegen setzen kann, treibt unter anderem MigDév um.
Die Organisation ist derzeit dabei, ein Migrationszentrum in Yaraax aufzubauen. Dieser Ort soll dem Zusammentreffen der verschiedenen betroffenen Gruppen dienen: Angehörige, die eine Person verloren haben; traumatisierte Menschen, die aus Europa zurückkommen oder die Überquerung nicht geschafft haben; Jugendliche, die sich eine Perspektive wünschen; Immigrant*innen und Geflüchtete, die für kurz oder lang in Dakar leben (wollen).
Das Treffen Mitte Juli diente vor allem dazu, sich mit letzteren Gruppen zu vernetzen. Rund fünfzig Personen verschiedener Organisationen kamen zusammen, um einander kennen zu lernen und um über die Probleme zu sprechen, mit denen die jeweiligen Mitglieder konfrontiert sind. Die Teilnehmer*innen brachten ihre teils verschiedenen, teils sehr ähnlichen Perspektiven vor. Das ermöglichte einen ersten offenen Austausch, vor allem über die Themen Fremdenfeindlichkeit, Integration, Sprache, Identifikationsdokumente, Zugang zu Krediten und anderen.
Dass es zu so einem vertrauensvollen Gespräch kommen würde, war im Vorfeld nicht abzusehen. Die am 14. Juli anwesenden Vereine repräsentieren sehr verschiedene Gruppen, die bislang nicht in Kontakt miteinander standen. Während aus Benin und Burkina Faso vor allem Studierende in Dakar sind, die nach ihrem Studium teilweise einen Job finden und bleiben, sind in der Vereinigung der Togoles*innen eher kleine und größere Unternehmer*innen, die mit anderen Herausforderungen zu kämpfen haben. Die Vereinigung der Geflüchteten besteht zu großen Teilen aus Schwarzen Mauretanier*innen, die in den 1990er Jahren von der mauretanischen Regierung in den Senegal deportiert wurden in der diskriminierenden Auffassung, sie seien Senegales*innen. Sie besitzen keine mauretanischen Ausweispapiere mehr, der senegalesische Staat erkennt sie nicht an und so befinden sie sich in einer andauernden extrem prekären Lage. Das Migrationsnetzwerk von Studierenden unterstützt Migrant*innen und Geflüchtete, einen Aufenthaltsstatus zu bekommen, legale Migrationswege zu finden, medizinisch versorgt zu werden usw. Die Vereinigung «Verbindendes Element» wurde 1990 gegründet von weißen Französinnen, die mit Schwarzen Senegalesen verheiratetet sind. Auch wenn ihre Probleme mit der senegalesischen Gesellschaft zu weiten Teilen andere sind, zeigten sich auch Überschneidungen, wie zum Beispiel in der Frage der Sprache.
Anders als in anderen ehemals französischen Kolonien, wird im Senegal vor allem Wolof gesprochen. Für Migrant*innen aus dem frankophonen Westafrika ist das nicht immer leicht: Dort wird häufig Französisch genutzt, weil es sonst keine gemeinsame Sprache gibt. Viele haben die Erfahrung gemacht, dass Senegales*innen zwar Französisch verstehen und sprechen, ihre Ablehnung den «Fremden» gegenüber aber deutlich machen, indem sie einfach auf Wolof antworten, höhere Preise einfordern oder ähnlich abweisend reagieren. Allerdings ist das nicht nur ein Problem für alle nicht-Senegales*innen, sondern auch für jene Senegales*innen anderer Gesellschaften, die kein Wolof sprechen. Einigkeit herrschte an jenem Samstag in Yaraax insofern darin, dass es wichtig sei, zumindest etwas Wolof zu lernen.
Fremdenfeindlichkeit zeigt sich jedoch nicht nur in der Ablehnung, Französisch mit nicht-Senegales*innen zu sprechen oder Immigrant*innen zu beschimpfen. Der Erfahrung nach werden Immigrant*innen häufiger attackiert und ausgeraubt – ohne Strafe für die Verantwortlichen. Auch haben nicht-Senegales*innen oft Schwierigkeiten, Ehepartner*innen zu finden, da die senegalesischen Familien in transnationale Ehen nicht einwilligen. Auf Reisen müssen nicht-Senegales*innen regelmäßig Schmiergelder zahlen, obwohl in der Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten Bewegungsfreiheit gilt. Letzteres ist auch in anderen westafrikanischen Ländern Praxis.
Diese Art von Willkür findet sich ebenso bei Besuchen bei der Bank. Jede Filiale fordert andere Ausweispapiere ein und Kredite werden an nicht-Senegales*innen entgegen der Rechtslage nur unter erschwerten Bedingungen vergeben. Eine Togolesin machte deutlich: «Wir kommen entweder, um was zu lernen oder um Geld zu verdienen.» Gleichheit in Bankgeschäften wäre dafür ein sinnvoller Anfang.
Angesichts der Fülle alltäglicher Herausforderungen für Immigrant*innen ging immer wieder allgemeines Kopfschütteln durch den Raum. Ein Teilnehmer brachte seine Empörung auf den Punkt: «Wir sind in Afrika, wir sind unter uns!» Es kam der Vorschlag auf, zusammen zu arbeiten, sich gemeinsam für «gelungene Integration» einzusetzen. Schließlich liegt die Stärke im Zusammenschluss. Und so wurde ein nächstes Treffen vereinbart, mit dem Ziel ein Bündnis zu gründen.
Trotz anfänglichen Misstrauens war der erste Austausch überaus erfolgreich, vor allem, weil Vertrauen untereinander aufgebaut wurde. Die Motivation, sich aktiv einzubringen und für die eigenen Rechte im fremden Staat einzustehen, ist da und wird unterstützt von Netzwerken und Menschen, die das Menschsein für wichtiger halten, als die Staatsbürger*innenschaft.