Nachricht | Gesellschaftliche Alternativen - Sozialökologischer Umbau - Klimagerechtigkeit «Heißzeit» stresst nicht nur Menschen, sondern auch Ökosysteme

Wir sprachen mit Prof. Dr. Vera Luthardt, Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde, über sichtbare und unsichbare Folgen des Klimawandels.

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Vera Luthardt,

Rosa-Luxemburg-Stiftung: Seit Monaten hat es in Deutschland nicht mehr richtig geregnet. Felder vertrocknen, Flüsse haben Niedrigwasser oder dörren ganz aus. Das sind Hitzefolgen, die auf den ersten Blick sichtbar sind. Welche unsichtbaren Folgen hat das Wetter darüber hinaus?

Vera Luthardt: Wie man sich vorstellen kann, hat die lange Phase der Dürre gravierende Defizite für den Landschaftswasserhaushalt zur Folge. Die Grundwasserstände und die Pegelstände der Oberflächenwasser sind stark gesunken. Inwieweit diese Folgen über eine längere Zeit von Regenperioden ausgeglichen werden können, müssen wir abwarten. Insgesamt verzeichnen wir über Jahrzehnte fallende Grundwasserstände, vor allem in den ostdeutschen Trockenregionen.

Ökosysteme reagieren wie Menschen sehr empfindlich auf Stress. Sie werden anfällig gegenüber Umwelteinflüssen wie Stürmen, Bodenerosion oder Schadinsekten.

All das hat natürlich Auswirkungen auf unsere Lebensqualität. Städte und andere Siedlungsgebiete sind ebenfalls vom Klimawandel besonders betroffen. Die mikroklimatischen Faktoren ändern sich zunehmend. In Großstädten vermissen viele bereits die nächtliche Abkühlung wie sie in ländlichen Räumen stattfindet. Also brauchen wir mehr Stadtgrün und Beschattung, die zu mehr Luftfeuchte und Kühle führen, in die Menschen und Tiere sich zurückziehen können. Die bewusste Verstärkung solcher mikroklimatischen Effekte ist ein wichtiger Schritt der Anpassung an den Klimawandel als Voraussetzung für Lebensqualität auch in der Zukunft.
 

Was passiert wenn Wäldern und Mooren das Wasser fehlt?

Wälder und Moore sind kohlenstoffreiche Ökosysteme. Vor allem im Waldboden existiert organisch gebundener Kohlenstoff in Form von Humus und Auflagen von Blättern. Bei Humusbildung wird der durch die Photosynthese gebundene Kohlenstoff aus der Atmosphäre fest gebunden. Bei Abbau des Humus wird der Kohlenstoff umgesetzt und es wird das Treibhausgas Kohlendioxid freigesetzt. Je höher die Temperatur, desto schneller die Prozesse.

Bei Mooren ist dieser Vorgang noch dramatischer, weil hier über sehr lange Zeiträume Kohlenstoff in Form von Torf akkumuliert wurde. Wenn Moore trocken fallen, geben sie in viel größerem Umfang als Wälder Kohlendioxid in die Atmosphäre ab.

Man muss bedenken, dass die Torf-Ressourcen, die sich nach der letzten Eiszeit akkumuliert haben, jetzt in kurzer Zeiteinheit wieder abgebaut werden. Das führt zu erheblichen Auswirkungen. Betroffen sind vor allem landwirtschaftlich genutzte Moorböden. Naturnahe Moore sind im Gegensatz dazu sehr gute Wasserspeicher und haben ein hohes Puffervermögen gegenüber solchen Wetterextremen.
 

Das heißt, Bäume und entwässerte Moore setzen Kohlendioxid-Emissionen frei und verstärken so den Treibhauseffekt. Welche langfristigen Folgen erwarten Sie?

Das ist eine Spirale: Der Treibhauseffekt führt zu Temperaturanstieg, heißes Wetter beschleunigt die Freisetzung von Kohlendioxid und verstärkt den Klimawandel.

Langfristige Folgen wäre eine deutlich stärkere Zunahme der Kohlendioxid-Konzentration in der Luft mit deren langfristigen Auswirkungen auf die Atmosphäre. Ökosysteme werden destabilisiert und entwickeln neue Qualitäten. Damit verbunden sind große Unsicherheiten und Risiken. Es ist heute noch gar nicht abschätzbar, was das bedeutet.

Natürlich dürfen wir nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern müssen Möglichkeiten suchen und nutzen, etwas für Klimagerechtigkeit und für eine Anpassung an den Klimawandel zu tun. In erster Linie geht es darum, die kohlenstoffhaltenden Ökosysteme wie Wälder, Moore und Gewässer zu stabilisieren. Das ist gleichzeitig Klimawandelanpassung, da sie ausgleichende Ökosysteme für den Wasserhaushalt sind und deutliche mikroklimatische Effekte beinhalten.

Gemeinwohl müsste über persönliche und private Interessen, auch Wirtschaftsinteressen gehen.

Sie lehren und forschen an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung in Eberswalde (HNE) u.a. zu Naturschutzstrategien zum Erhalt der Biodiversität in Zeiten des Klimawandels. Welche Gegenmaßnahmen sind möglich bzw. notwendig?

Die Maßnahmen liegen auf der Hand: Wir müssen mehr Wasser in der Landschaft halten, um den Landschaftswasserhaushalt zu stabilisieren. So haben wir Wasser in den Zeiten verfügbar, in denen es länger nicht und kaum regnet. Über Jahrhunderte gebauten Entwässerungssysteme müssen überdacht und an heutige Verhältnisse angepasst werden.

Und wir müssen Kohlenstoff im Boden halten. Dazu gehört ein nach vorn gedachtes Humusmanagementsystem – also der als Torf akkumulierte Kohlenstoff bleibt dort liegen, wo er akkumuliert wurde. Humushaltige Böden sind Kohlenstoff-Speicher und dienen gleichzeitig der Wasserhaltung. Nicht nur, dass das Wasser für die Vegetation in Dürreperioden länger zur Verfügung steht, Starkregen kann auch besser aufgenommen werden und fließt nicht weg. Für Ackerböden bedeutet das einen aktiven Humusaufbau zu betreiben, um Dürrefolgen langfristig abzumindern. Der heutige Humusgehalt liegt bei einem überwiegenden Teil der Böden weit unter dem früherer Zeiten.

Wenn wir untätig bleiben, dann droht in Zukunft eine Versteppung in einigen Regionen. Das muss verhindert werden.
 

Landwirte beklagen Dürreschäden in großem Ausmaß. Sie sind eine Verfechterin von alternativen Landnutzungsformen. Was raten Sie Landnutzern?

Wer derzeit durch die Felder geht, sieht: Das Getreide, selbst der Mais, ist großflächig vertrocknet. Hitze und Wind haben die Sandböden ausgedörrt. Landwirtschaftliche Betriebe sind in ihrer Existenz bedroht. Eine kurzfristige Lösung gibt es nicht, denn Humuserhalt und Humusaufbau sind das A und O für eine vernünftige Wasserhaltung. Das gelingt mittelfristig nur durch gezielte Fruchtfolgen, Agroforstsysteme u.a.

Darüber hinaus brauchen wir neue Ideen. Die anwendungsgebundene Forschung hat bereits viele neue Ansätze. Was heute in Nischenprojekten ausprobiert wird, muss über Pilotprojekte in die Praxis und auf größere Flächen überführt werden. Das ist unser Ansatz für Nachhaltigkeit.

Wir können feststellen, dass die Aufgeschlossenheit der Landwirte immer größer wird. Landwirte ringen um Lösungen, tragen dabei aber auch das ökonomische Risiko. Vom Erfolg hängen Betriebe, Mitarbeiter und Familien ab. Es gibt keine Erfahrungen mit neuen Nutzungsformen, das führt zu Unsicherheit. Wenn wir neue Wege ausprobieren, ist wissenschaftlich-praktische Beratung genauso notwendig wie eine Risikobeteiligung der Gesellschaft. Das muss Hand in Hand gehen.
 

Alle reden jetzt vom Klimawandel. Brauchen wir ein Klimaschutzgesetz?

Wir haben deutschlandweit eine Vielzahl von Strategien: Nachhaltigkeitsstrategien, Strategien zum Erhalt der biologischen Vielfalt u.a.m. Es mangelt an ausreichender Umsetzung. Es geht nicht zügig genug. Ich denke, bei gesetzlichen Regelungen hätte alles eine andere Priorität.

Wir bemühen uns seit Jahren, Menschen für den Erhalt der biologischen Vielfalt zu sensibilisieren, um den Artenverlust zu stoppen. Aber wer merkt schon, dass Insektenarten verschwinden und was das für Folgen hat. In diesem Jahr haben viele erstmals das Empfinden, es passiert etwas, der Klimawandel ist keine graue Theorie, wir sind schon mittendrin. Wir sind alle betroffen. Die Temperaturerhöhung ist nur eine Folge. Starkregen, Stürme und andere Ereignisse kommen dazu. Es muss jetzt darum gehen, die Risiken so gering wie möglich zu halten. Wir müssen ganz schnell und ganz aktiv neue Wege gehen, weil viele Maßnahmen nicht von heute auf morgen umsetzbar sind, bspw. der Bau von Stauanlagen, Neuüberlegungen zum Landschaftswasserhaushalt.

Im internationalen Kontext hat Deutschland die Pflicht, ehrlich und konsequent die Klimaschutzziele zu erfüllen.

Ganz klar: Ein Klimagesetz müsste verbindliche Vorgaben für verschiedene Bereiche machen, denen sich alle unterordnen müssen. Es müsste vom Gemeinwohl getragen sein, auch international. Gemeinwohl müsste über persönliche und private Interessen, auch Wirtschaftsinteressen gehen.