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Zu den Parlamentswahlen in Lettland

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Holger Politt,

Protest am 9. Mai in Riga, der am «Tag des Sieges» an die Besetzung des Landes durch die Sowjetunion erinnert. Die Spaltung des Landes in lettische Mehrheit und russische Minderheit dominierte auch wieder die aktuellen Parlamentswahlen. Foto: Holger Politt

Die Parlamentswahlen in Lettland am 6. Oktober 2018 haben das bisherige politische Kräfteverhältnis insgesamt bestätigt. Keines der beiden großen politischen Lager konnte im Rennen um die 100 Parlamentssitze entscheidenden Boden gewinnen. Die Wahlbeteiligung betrug 54,6 Prozent, im neuen Parlament werden 31 Frauen und 69 Männer sitzen. Auch sollte vermerkt werden, dass weit über die Hälfte der Abgeordneten zum ersten Mal gewählt wurde.

Bestätigt als stärkste Parlamentspartei wurde die sozialdemokratische Saskaņa (Harmonie), die nun seit fast zehn Jahren das wichtigste politische Sprachrohr für die Interessen der russischsprachigen Minderheit im Lande ist. Wegen Stimmenverlusten musste allerdings ein Parlamentssitz abgegeben werden, jetzt sind es nur 23 Sitze, die mit 19,8 Prozent der abgegebenen Stimmen gewonnen wurden. Das gute Ergebnis wird aber wohl auch dieses Mal nur für die Rolle des Oppositionsführers reichen, da alle anderen noch am Wahlabend ein Zusammengehen mit der Partei ausschlossen. Der Abstand zu den folgenden Parteien ist indes sogar größer geworden, denn im bürgerlich-lettischen Lager werden künftig sechs statt bislang fünf Parteien auf der Parlamentsbühne agieren, dementsprechend ist die Stimmenzahl verteilter. Eine Regierungsmehrheit braucht jetzt bereits vier Parteien, was die Sache von vornherein nicht einfacher macht.

Die bisherigen drei Regierungsparteien haben allesamt verloren, mussten teils erheblich Stimmenverluste hinnehmen. Die Partei des bisherigen Ministerpräsidenten Māris Kučinskis, die moderat konservativ ausgerichteten Grünen und Bauern, ist der große Wahlverlierer, kommt sie doch mit 9,9 Prozent Stimmenanteil nur noch auf elf Abgeordnetensitze. Zu den Verlierern müssen auch die bislang in der Regierung vertretenen und unter der Losung von Vaterland und Freiheit antretenden Nationalisten gerechnet werden, die nur noch 13 Sitze erhalten, was einem Stimmenanteil von glatten elf Prozent entspricht. Die kleinste Gruppierung im Parlament ist künftig die liberal-konservative Neue Einheitspartei, die nur noch acht Plätze im Parlament besetzen darf, weil ganze 6,7 Prozent an Wählerstimmen erreicht werden konnten.

Wahlgewinner sind auf jeden Fall die Partei der empörten Bürger KPV (Wem gehört der Staat!) mit 16, die Neuen Konservativen ebenfalls mit 16 sowie die Liberalen (Entwicklung!) mit 13 Abgeordnetensitzen – entsprechend den 14,2 und 13,6 bzw. 12 Prozent der abgegebenen Wählerstimmen.

Wer nun von diesen sechs Parteien die Regierungsgeschäfte übernehmen wird, werden die nächsten Tage oder Wochen zeigen. Beobachter rechnen zwar trotz der etwas unübersichtlichen Lage mit einer vergleichsweise zügigen Regierungsbildung, doch warnen sie bereits, denn für die Stabilität einer Vierparteienregierung wollen sie keinerlei Garantie geben. Auf jeden Fall wird eine Koalition entweder auf die empörten Bürger oder aber auf die Nationalisten zurückgreifen müssen, denn die gemäßigten Parteien alleine bekommen keine ausreichende Mehrheit zusammen.

Erneut wird so deutlich, dass die Frage der ethnischen Zugehörigkeit alle anderen politischen Gräben und Unterschiede in den Schatten stellt, denn der Wahlsieger Saskaņa wird von den anderen nicht deshalb gemieden, weil die sozialdemokratische Ausrichtung stört, sondern weil es als das politische Sprachrohr der russischsprachigen Minderheit in Lettland gilt. Auch das ist ein Hinweis auf die nach wie vor nicht einfache Situation. Saskaņa fordert unter anderem eine konstruktive, vorwärtsweisende Lösung in der Frage der Staatsbürgerschaft sowie eine andere Sprachpolitik im Lande, insbesondere aber im Bereich der Schulbildung. Versuche, die russische Sprache als Unterrichtssprache weiter zurückzudrängen, treffen den Unmut der betroffenen Menschen, der sich längst öffentlich Luft zu schaffen sucht. In den zurückliegenden Jahren verhinderten vor allem die in der Regierung vertretenen Nationalisten Lösungen, die zukunftsweisend gewesen wären. Zwar haben die Nationalisten bei diesen Wahlen an Stimmen verloren, doch sie könnten – wie gesagt – wiederum das Zünglein an der Waage bei der Regierungsbildung spielen.

Alle im Parlament vertretenen Parteien sind sich in einer wichtigen außenpolitischen Frage einig – in der Frage der Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Die wird durchgehend bejaht, allerdings aus ganz unterschiedlichen Gründen. Den einen geht es überhaupt um die Sicherung der nationalen Unabhängigkeit, den anderen um die Durchsetzung von EU-Standards bei den Rechten nationaler Minderheiten. Keine Frage, dass die Entwicklungen in der Ostukraine und auf der Krim hier den ohnehin mühsamen Prozess des Interessenausgleichs zusätzlich erschwert haben. In diesem Zusammenhang sei noch hinzugefügt, dass Saskaņa auch der Nato-Mitgliedschaft Lettlands zustimmt, selbst wenn die in den Reihen der Wählerschaft mehr als umstritten sein sollte.

Die traditionellen Hochburgen für Saskaņa sind die Hauptstadt Riga, wo die Partei mit Nils Ušakovs auch den Posten des Oberbürgermeister innehat und jetzt etwas über 30 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten hat, sowie der Osten des Landes an den Grenzen zur Belarus und zu Russland, wo der Wert im Durchschnitt sogar auf über 35 Prozent reicht. In der Stadt Daugavpils hatte Saskaņa mit 51,6 Prozent auch das beste Ergebnis einer Partei in einem Wahlkreis überhaupt erreichen können.