Nachricht | Erinnerungspolitik / Antifaschismus - Jugendbildung Studienexkursion für Jugendbilder*innen nach Österreich

Ein Weiterbildungsprojekt des Historischen Zentrums

Information

Die «Mutter» - DDR-Denkmal in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen

„1938 – Das Jahr vor dem Krieg. Aktuelle Fragen von Erinnerungskultur- und politik in der zweiten Republik Österreich – 80 Jahre nach dem `Anschluss` der ersten Republik an Hitlerdeutschland und 80 Jahre nach dem Bau des KZ Mauthausen“ war das Thema dieses Projekts. Vom 3. bis 8.10.2018 führte das Historische Zentrum der Rosa-Luxemburg-Stiftung eine Studienexkursion für Lehrer*innen und Multiplikator*innen historisch-politischer Jugendbildung nach Oberösterreich und Wien durch.

Neben anderen rechtspopulistischen Regierungen in Europa kam es  2017 auch in Österreich mit der ÖVP und der FPÖ wieder zu so einer Regierungsbildung. In der Erinnerungskultur und –politik des Landes bleibt das nicht ohne Folgen. Der Erfahrungsaustausch mit Kolleg*innen und Antifaschist*innen, wie im schwarz-blau regierten Österreich historisch-politische Bildung für und mit Jugendlichen, stattfindet, stattfinden kann, zog sich daher durch alle unsere Programmpunkte der Studienexkursion. Zugleich sollte im 2018er Gedenkjahr der Fokus ganz besonders auf das Jahr 1938, seine Vorgeschichte und seine Folgen, insbesondere in Österreich gelegt werden.

Das Schicksal von Frauen in dieser Zeit nahm dabei eine herausragende Rolle ein, wie bereits die Einführungsveranstaltung für die Studienexkursion am 2. Oktober in Berlin (öffentliche Veranstaltung des Gesprächskreises „Geschichte für die Zukunft“ und des Kulturforums der RLS) zeigen sollte. Eine junge Autorin aus Wien, Evelyn Steinthaler,  las aus ihren Interviews mit Ceija Stojka (1933-2013) und Dagmar Ostermann (1920 – 2010). Die Künstlerin Ceija Stojka war die erste österreichische Romni, die sich öffentlich mit dem Schicksal ihres Volkes während 1938 -1945 auseinandersetzte. Die Geltungsjüdin Dagmar Ostermann hat die KZ `s Ravensbrück und Auschwitz überlebt.  Beide Interviews und viele andere hat Evelyn Steinthaler schon 2008 in ihrem Buch „Frauen 1938. Verfolgte – Widerständige – Mitläuferinnen“ veröffentlicht. Bereits 2011 war sie mit diesem Buch schon einmal Gast der Rosa Luxemburg Stiftung, als sie aus ihrem Interview mit Käthe Sasso  (Wienerin aus dem kommunistischen Widerstand und Überlebende des KZ Ravensbrück) las. Kurze Zeit später, im Februar 2012, war Käthe Sasso dann selbst mit der RLS auf Lesereise an Schulen Berlins, Brandenburgs und Sachsen-Anhalts.

Während eines im Rahmen der Studienexkursion anberaumten Selbststudientages in Wien, am 7.10.2018, zum Thema „ Wienerinnen im `Jahrhundert der Extreme`. Eine biografische Spurensuche“ hatten die Teilnehmer*innen Gelegenheit,  sich mit dem Schicksal weiterer Wienerinnen zu beschäftigen. Mit dem Handout für die Studienexkursion erhielten sie umfangreiche Materialien zur Auswahl, u.a. zu den Biografien von

  • Rosa Jochmann, geb. 1901 in Wien, gest. 1994 in Wien, führende österreichische Sozialdemokratin
  • Anna Freud, geb. 1895 in Wien, gest. 1982 in London, Kinderpsychologin, Tochter von Sigmund Freud
  • Hedy Lamarr, geb. 1914 in Wien, gest. 2000 in Altamonte Springs/Florida, Schauspielerin und Erfinderin
  • Margarete Schütte-Lihotzky, geb. 1897 in Wien, gest. 2000 in Wien, Kommunistin, Architektin. Das Leben der Bauhauskünstlerin Friedl Dicker-Brandeis (geb. 1898 in Wien, ermordet im Oktober 1944 in Auschwitz) wurde durch einen Vortrag von Valerie Pagel (RLS-Stipendiatin) während der Studienexkursion ganz besonders gewürdigt.
  • Irene Harand, geb. 1900 in Wien, gest.1975 in New York, Autorin und Antifaschistin
  • Adelheid Popp, geb. 1869 in Inzersdorf bei Wien, gest. 1939 in Wien, Sozialdemokratin und Begründerin der proletarischen Frauenbewegung Österreichs
  • Helene Kafka, Schwester Maria Restituta, geb. 1894 in Hussowitz bei Brno, ermordet vor 75 Jahren, am 30. März 1943 im Wiener Landesgericht, Ordensschwester
  • Elisabeth Markstein, geb. 1929 in Wien, gest. 2013 in Wien, Slawistin, Übersetzerin und Autorin, Tochter von Johann Koplenig

Auch die Biografien von Käthe Leichter (geb. 1895 in Wien, ermordet im März 1942 in Bernburg) und Marie Jahoda (geb. 1907 in Wien, gest. 2001 in Keymer/Sussex) – beide waren Sozialwissenschaftlerinnen und Marie Jahoda wurde besonders bekannt durch ihre Mitarbeit an der „Marienthal-Studie“ – standen im Fokus der Studienexkursion. Ein besonderes Format der Annäherung an diese beiden Biografien war Bestandteil des Programms: Am Abend des 4. Oktober erlebten die Teilnehmer*innen im Freistadter SALZHOF die Aufführung des jüngsten Stücks des Wiener Portraittheaters „Arbeit, lebensnah. Käthe Leichter und Marie Jahoda“, hervorragend gespielt von Anita Zieher und Brigitta Waschnig.

Zugleich ist für die Nachhaltigkeit des Themas „Wienerinnen im `Jahrhundert der Extreme`“ an der RLS schon gesorgt: Am 22. Februar 2019 wird im SALON die Biografie von Hedy Lamarr im Mittelpunkt stehen. Der Film über die „Geniale Göttin – Die Geschichte von Hedy Lamarr“ ist ja noch im Spätsommer angelaufen. Seit einigen Jahren  gibt es aber auch eine Theaterproduktion mit Gina Pietsch in „Hedy Kiesler Lamarr. Leben, Labour, Leinwand“ in einem Monodrama von Wilhelm Pellert (Wien) und Bardo Henning am Piano, auf deren Wiederaufführung wir uns freuen dürfen.

Dass Theater/szenische Lesungen/darstellendes Spiel Formate sind, mit denen die RLS in der Vergangenheit bei Lehrer*innen und Multiplikator*innen historisch-politischer Jugendbildung in der Regel dankbare Partner*innen für gemeinsame Bildungsprojekte am Lernort „Schule“ gefunden hat, ist bekannt. Auch Zeichenwettbewerbe erfreuen sich seit kurzem großer Beliebtheit. Die Graphic Novel  bzw. historische Sachcomics sind aber ein Format, das im Unterricht besonders gern ergänzend eingesetzt wird. Auch deshalb zogen sich Graphic Novels wie ein roter Faden durch das Programm der Studienexkursion und auch mit österreichischen Kolleg*innen deckt sich diese Erfahrung:

So hat der Kurator der Ausstellung „Oberösterreich 1918-1938. Zwischen den Kriegen“, Mag. Dr. Peter März, bei seiner Führung für uns im Schlossmuseum Linz explizit darauf hingewiesen, wie hilfreich solche Elemente auch in Ausstellungen und für Lehrer*innen sind, die ihre Schüler*innen für Zeitgeschichte interessieren und an eigene zeitgeschichtliche Projekte heranführen möchten.

Der Besuch des noch jungen bahoe books Verlages in Wien hat uns eine Fülle von Graphic Novels geboten, die auch in Deutschland im Unterricht eingesetzt werden können und zugleich besonders geeignet sind bei der gemeinsamen Projektarbeit mit dem Deutschen Mauthausen Komitee Ost e.V. – z.B. „Die Stärkeren. Ein Bericht von Hermann Langbein“, „Schwere Zeiten. Das Leben der Lili Grün“ oder „MAUTHAUSEN“.

Zum Gegenstand eines unmittelbaren Folgeprojekts der Studienexkursion wird die gerade erschienene Graphic Novel „Persmanhof. 25. April 1945“ von Evelyn Steinthaler und Verena Loisel. Vom 18.-22.2.2019 wird Evelyn Steinthaler im Rahmen eines Lesereiseprojekts der RLS mit Schulen diese Graphic Novel vorstellen. Sie erzählt die Geschichte einer slowenischen Bauernfamilie, die Partisan*innen im Kampf gegen Hitlerdeutschland unterstützte und von Faschisten am 25. April 1945 – am Tag als sich in Torgau die Alliierten Armeen der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten Amerikas auf der Elbe die Hände reichten – fast vollständig ausgelöscht wurde.

Denkmal für die Opfer von «Wels 1» am Ortsausgang von Gunskirchen

Den Opfern der faschistischen Herrschaft in Österreich, das zwischen 1938 – 1945 als `Ostmark` bezeichnet wurde, gedachten die Teilnehmer*innen der Studienexkursion an verschiedenen Orten. Am Standort Gunskirchen, wo sich eines der letzten der 49 Nebenlager des KZ Mauthausen – genannt „Wels 1“  - befunden hatte, haben wir einen Kranz im Namen der Rosa Luxemburg Stiftung für die zumeist ungarischen und polnischen jüdischen Opfer niedergelegt. Mit dem „Bau“ dieses Nebenlagers war überhaupt erst im Dezember 1944 begonnen worden. Im April 1945 wurden bis zu 20 000 Häftlinge von Mauthausen ins  55 km entfernte Gunskirchen auf einen Todesmarsch getrieben, auf dem viele von ihnen nicht mehr in Gunskirchen ankamen. Daniel Blatman schrieb dazu in seinem Buch „Die Todesmärsche 1944/45. Das letzte Kapitel des nationalsozialistischen Massenmordes“ die folgenden Worte: „Der Todesmarsch von Mauthausen nach Gunskirchen war einer der letzten und einer der groteskesten überhaupt. Den Wachmannschaften war klar, dass dieser Treck von nirgendwo nach nirgendwo führte und keinen Sinn mehr ergab…“ (S. 388)

Den Ort, wo die KZ-Hölle der ` Ostmark` am 8. August 1938 mit Bauaufnahme durch etwa 300 Häftlinge aus dem KZ Dachau in Mauthausen begonnen hatte, haben wir auch besucht.  Während der Begleitung und Führung in dieser Gedenkstätte durch Andreas Baumgartner, Generalsekretär des Internationalen Mauthausen Komitees – CIM (Comite International de Mauthausen) – haben wir ebenfalls mit einem Gebinde der Opfer gedacht. Dafür haben wir die  „Mutter“ vom Bildhauer Fritz Cremer  – das am 5. Mai 1967 enthüllte Denkmal der DDR – ausgewählt. Alljährlich findet hier bei den großen Befreiungsfeierlichkeiten im Mai auch eine kleine Befreiungsfeier aller aus Deutschland Angereisten statt. Deutsches Mauthausen Komitee Ost und die Rosa Luxemburg Stiftung sind hier auch jedes Jahr mit Schüler*innen und Jugendlichen vertreten. Die Vorbereitungen für die Befreiungsfeierlichkeiten 2019 sind bereits weit fortgeschritten.

Wie Schüler*innen in Wien sich mit dem nationalsozialistischen Erbe auseinandersetzen, erfuhren wir bei einem Besuch im Brigittenauer Gymnasium in der Karajangasse im 20 Bezirk. Die ehemalige Volksschule war 1938 und 1939 Haftstätte für jüdische Mitbürger*innen. Inhaftiert war hier z.B. auch der spätere sozialdemokratische Bundeskanzler Bruno Kreisky.

Seit 1988 bereits haben hier mehrere Schüler*innengenerationen in Etappen an mehreren Ausstellungen zur Geschichte der Schule, zum Schicksal einstiger jüdischer Schüler*innen an dieser Schule, zu aktuellen Fragen von Erinnerungskultur in der zweiten Republik Österreich gearbeitet. Geleitet wurde dieses Projekt von Prof. Renate Prazak, die, obwohl inzwischen pensioniert, es sich nehmen ließ, uns durch diese Ausstellungen zu führen und mit uns Erfahrungen in der Projektarbeit mit Jugendlichen auszutauschen.

Es gab zahlreiche weitere Programmpunkte auf dieser Studienexkursion und Formatangebote, die Lehrer*innen und Multiplikator*innen historisch-politischer Jugendbildung anregen sollen, den Kontakt zur RLS in Sachen gemeinsamer Projektarbeit am Lernort „Schule“ zu suchen.

Den Abschluss der Studienexkursion bildete ein Kurzbesuch im neu eröffneten RLS-Auslandsbüro in Prag, wo  wir aufs Herzlichste begrüßt wurden und wo uns unmittelbar Unterstützung für ein geplantes „Theresienstadt“-Projekt zugesagt wurde.