Nach Jahrzehnten der Marginalisierung fordern viele der ca. 250.000 Hausangestellten im Libanon ein Ende ihrer Ausbeutung und setzen sich gegen Rassismus zur Wehr. Welche Allianzen sie dabei eingehen und wie sie sich Gehör verschaffen, darüber berichteten zwei Aktivist*innen im Rahmen der Konferenz «Connecting Resistances – Emancipatory Activism in West Asia, North Africa and Germany».
Rhetorisch fragt Yabrek [Name wurde geändert] in die Runde: «Wenn eine Arbeiterin missbraucht, beschimpft und angebrüllt wird, sie der Ehemann oder der Bruder der Madame [der Hausherrin] vielleicht sogar belästigt, wem soll sie sich anvertrauen?» Yabrek ist eine der geschätzt 250.000 Hausangestellten, die im Libanon leben und arbeiten. Auf ihr weißes T-Shirt, das sie gewöhnlich am 1. Mai und am 16. Juni auf den Straßen Beiruts trägt, hat sie die Abkürzung C189 drucken lassen. C189, dahinter verbirgt sich die am 16. Juni 2011 von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verabschiedete Konvention, die weltweit die Rechte von Hausangestellten stärken und sie vor Gewalt und Ausbeutung beim Putzen, Waschen, sowie in der Kinder- und Altenbetreuung schützen soll. Ratifiziert hat die libanesische Regierung die Konvention trotz anhaltender Menschenrechtsverletzungen nicht, doch der Widerstand gegen die Missstände wächst.
Yabrek war erst 18 Jahre alt, als sie den Ort ihrer Kindheit auf den Philippinen verlassen hat. Das ist jetzt über zwanzig Jahre her. Mit dem Geld, das sie im Libanon verdient, unterstützt sie ihre Familie und finanziert die Ausbildung ihrer Kinder, die noch immer auf den Philippinen leben. Ihr Mann ist verstorben. Mehrfach hat Yabrek in all den Jahren ihre Arbeitgeber*innen gewechselt: «Von den ersten, zweiten und dritten wurde ich geschlagen», sagt sie. Daran, dass sich die Situation der tausenden Hausangestellten aus afrikanischen Ländern wie Äthiopien, Nigeria und der Elfenbeinküste, sowie aus südasiatischen Staaten wie Sri Lanka und Bangladesch, in all der Zeit kaum verbessert hat, liegt nicht nur an der fehlenden Implementierung von C189. Es liegt auch an dem Kafala-System, einer Bürgschaftsregelung, auf dessen Grundlage die ausländischen Arbeitskräfte in ihren Heimatländern mit Hilfe international agierender Agenturen angeworben werden.
Im Kontext des Kafala-Systems ist der Aufenthalt ausländischer Arbeiter*innen im Niedriglohnbereich an libanesische Staatsangehörige geknüpft, die für sie Visaregularien sowie Aufenthaltstitel organisieren und sich für die Arbeiter*innen verbürgen. In der Regel handelt es sich bei den Bürg*innen um die späteren Arbeitgeber*innen. Lösen diese den Arbeitsvertrag auf, erlischt der legale Aufenthalt der Angestellten. Das Kafala-System ist nicht nur im Libanon gängige Praxis, sondern auch in anderen Ländern Westasiens wie Saudi-Arabien, Kuweit oder Oman. Es regelt nicht nur die Arbeitsverhältnisse von Hausangestellten, sondern auch von migrantischen Arbeiter*innen im Servicebereich oder im Baugewerbe.
Hören Sie dazu auch den Radiobeitrag in Deutschlandfunk Kultur:
Wo Hausangestellte wie Sklaven gehalten werden
Menschenrechte im Libanon
Von Moritz Behrendt
Kafala schafft Leid und Elend
Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch kritisieren seit Jahren, dass das Kafala-System Ausbeutung begünstigt, indem beispielsweise Reisepässe einbehalten, Löhne nicht gezahlt und freie Tage nicht gestattet werden. Hausangestellte sind durch das Kafala-System vom bloßen Wohlwollen ihrer Arbeitgeber*innen abhängig. «Arbeitgeber*innen behandeln uns nicht wie Menschen, sondern wie ihr Eigentum», sagt David [Name wurde geändert]. Er ist einer der wenigen Männer, die als Hausangestellte im Libanon arbeiten und verließ seine Heimat Äthiopien vor fast einem Jahrzehnt.
«Kafala schafft Leid und Elend. Es ist mit moderner Sklaverei gleichzusetzen und gehört sobald wie möglich abgeschafft», betont Yabrek und ergänzt fordernd: «Es wird sich aber nicht von allein abschaffen!» Deswegen bilden Hausangestellte im Libanon seit einigen Jahren immer mehr Vereine und Interessenverbände, wie die «Allianz für Hausangestellte im Libanon», in der sich Yabrek engagiert. Gemeinsam beraten sich dort die Frauen, leisten praktische und emotionale Hilfestellung und sorgen mit einer Reihe an Aktivitäten für Abwechslung im tristen Arbeitsalltag. Die Organisation, in der David tätig ist, heißt «Mesewat», und richtet sich vor allem an Hausangestellte aus Äthiopien. Unter ihnen sei die Suizidrate besonders noch, berichtet David: «Viele von ihnen kommen aus entlegenen Gegenden und waren noch nie in einer Stadt, nicht einmal in Äthiopien.» Angekommen in der libanesischen Hauptstadt fühlten sie sich desorientiert und ausgeliefert und könnten sich aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nicht informieren und verständigen.
Wie viele Hausangestellte tatsächlich keinen anderen Ausweg mehr als den Sprung vom Balkon sehen, um «frei zu sein», wie David sagt, - entweder mit Tötungsabsicht oder als gescheiterter Fluchtversuch - ist nicht bekannt. Offizielle Angaben von Seiten der libanesischen Behörden gibt es nicht, allerdings ging Human Rights Watch 2008 von mehr als einem Tod pro Woche aus. 2017 berichteten die auf Menschenrechte spezialisierten IRIN News auf Grundlage von Informationen aus dem Umfeld des libanesischen Geheimdienstes von zwei Toten pro Woche.
Bei ihrem Kampf, den vielen Toten, Misshandelten und Ausgebeuteten etwas entgegen zu setzen, können die Hausangestellten auf eine Reihe von Unterstützer*innen setzen. Dazu zählen registrierte libanesische NGOs wie der Frauenrechtsorganisation «KAFA» und die «Anti-Rassismus Bewegung», die einige Zentren für Hausangestellte im Libanon unterhält. In diesen Zentren werden auch die Aktivitäten von Yabreks und Davids Initiativen durchgeführt. Aber auch internationale Organisationen wie die ILO oder die Rosa-Luxemburg-Stiftung stehen den Hausangestellten beratend zur Seite.
2015 gründete sich die erste Gewerkschaft für Hausangestellte. Die Aktivist*innen bedienten sich einer Lücke im libanesischen Arbeitsrecht, denn ausländische Arbeiter*innen dürfen im Libanon keine eigene Gewerkschaft gründen. Die linke Gewerkschaft FENASOL bot den Hausangestellten an, unter ihrem Dach eine Unterabteilung zu bilden, an deren Spitze allerdings libanesische Staatsbürger*innen stehen müssen. Formal wurde die Gewerkschaft der Hausangestellten trotzdem nicht anerkannt und zwei ihrer Gründungsmitglieder wurden 2016 abgeschoben. Yabrek und David vermuten, dass politische Gründe dafür ausschlaggebend waren. Von FENASOL haben sich die Beiden - wie viele ihrer Mitstreiter*innen - mittlerweile wieder abgewandt, da sie sich von der Leitung bevormundet und hintergangen fühlen. Auch deswegen habe Yabrek vor zweieinhalb Jahren ihre eigene Allianz mitbegründet.
Nicht nur auf institutioneller Ebene sind die Hausangestellten marginalisiert, sondern auch im Alltag: «Rassismus ist eine Krankheit im Libanon», sagt David. Obwohl er es sich leisten könne, verbringt er seine Freizeit ungern in libanesischen Restaurants und Cafés: «Ich kann dort nicht entspannen, alle starren mich an.» David bevorzugt stattdessen äthiopische Cafés. Die Regierung in Addis Abeba untersagte ihren Staatsangehörigen 2013 aufgrund der vielen Menschenrechtsverletzungen als Hausangestellte im Libanon zu arbeiten. Einreisen konnten die Arbeiter*innen trotzdem – entweder über den Sudan oder illegal. Weil sich David zu lautstark gegen das Kafala-System geäußert hat, setzte ihn die äthiopische Botschaft im Libanon auf eine schwarze Liste, weswegen er fünf Jahre lang seine Heimat nicht besuchen konnte. Erst unter der neuen äthiopischen Regierung unter Premierminister Abiy Ahmed wurde Davids Einreisesperre aufgehoben. Seit 2018 dürfen äthiopische Staatsbürger*innen auch wieder legal in den Libanon ausreisen.
Für mich gibt es nichts Stärkeres als eine entschlossene Frau!
Auch Yabrek kennt die alltäglichen Schikanen. Sie erzählt von einem Taxifahrer, der sie auf dem Weg zu einer Geburtstagsparty einer Freundin begrapscht hat, während sie einen Topf mit selbstgemachter Nudelsuppe auf ihrem Schoss balancierte. «Ich habe sie ihm ins Gesicht gekippt und bin ausgestiegen», erzählt sie. Bei ihrer Ankunft auf der Feier habe sich ihre Freundin entgeistert nach der Suppe erkundigt: «Der Taxifahrer hat sie gegessen», entgegnete ihr Yabrek. Auch wenn diese Anekdote im Nachgang zum Schmunzeln einlädt, verdeutlichen diese und andere Erfahrungen der Hausangestellten die Vielschichtigkeit der Hindernisse, denen sie bei ihrem Kampf um Anerkennung und Wertschätzung begegnen.
Für die Zukunft wünschen sich die beiden Aktivist*innen, dass ein Wandel im rassistischen Denken der Gesellschaft einsetzt und sie noch mehr Zuspruch durch die Zivilgesellschaft erfahren. Für die Erreichung ihrer Ziele braucht es einen langen Atem - trotzdem gibt sich Yabrek kämpferisch: «Für mich gibt es nichts Stärkeres als eine entschlossene Frau!»
Anna-Theresa Bachmann beschäftigt sich seit ihrem Studium in Marburg, Kairo und Lund in ihrem journalistischen Schaffen intensiv mit Nordafrika und Westasien. Bisher erschienen ihre Texte zu gesellschaftspolitischen und historischen Themen vor allem in der taz Tageszeitung, dem zenith Magazin und bei Alsharq. Aktuell absolviert sie eine Ausbildung an der Zeitenspiegel Reportageschule Günter Dahl in Reutlingen.