In Brasilien sind die schlimmsten Befürchtungen wahr geworden: der Ultrarechte Jair Bolsonaro hat die Präsidentschaftswahlen gewonnen, am 1. Januar 2019 wird er vereidigt. Mit rassistischen, frauenverachtenden, homophoben und demokratiefeindlichen Sprüchen, der Ankündigung brutaler Repression gegen soziale Bewegungen und einem radikalen, vor allem gegen die Arbeiterpartei PT gerichteten Diskurs hat er 57 Millionen BrasilianerInnen für sich eingenommen. Wie konnte das passieren? Und wie geht die brasilianische und globale Linke damit um?
Das Referat Amerika & Vereinte Nationen hat in den vergangenen Wochen Analysen, Kommentare und Interviews veröffentlicht, welche das Phänomen Bolsonaro zu verstehen versuchen, eine Einschätzung der Lage bieten und die Reaktionen linker sozialer Bewegungen auf den Wahlsieg der radikalen Rechten porträtieren.
In seinem Artikel «Warum wählt Brasilien rechtsextrem?» diskutiert Niklas Franzen die Entwicklungen der letzten Jahre, analysiert den Diskurs und die politische Strategie Bolsonaros sowie dessen politisches und ökonomisches Programm, und fragt kritisch nach den Verfehlungen der PT-Regierung. Entscheidend wird nun, «ob die demokratischen Institutionen wenigstens noch teilweise funktionieren und bestimmten Vorhaben einen Riegel vorschieben können».
Schon an den Tagen nach der Stichwahl gingen Tausende auf die Straße, um ihrem Unmut Luft zu lassen und ihre Einigkeit zu demonstrieren. «Bolsonaro wird mit einer starken Opposition zu rechnen haben», versprechen soziale Organisationen, über die Franzen in «Widerstand statt Resignation» berichtet.
Dass Bolsonaro die außerparlamentarische Opposition durch Verbote und drakonische Strafen mundtot machen will, zeugt auch von einer Angst: Soziale Bewegungen mobilisieren Millionen von Menschen in Brasilien, nehmen starken Einfluss auf die Politik und haben die Kraft, Präsidenten zu stürzen. Deswegen könnte die Debatte über die sozialen Bewegungen, die Franzen für die RLS analysiert hat, zur Gretchenfrage werden: Demokratie oder Autoritarismus.
Auch Vítor Guimarães, Koordinator der Wohnungslosenbewegung MTST in Rio de Janeiro, befürchtet die Kriminalisierung der Bewegungen, will sich aber dennoch nicht einschüchtern lassen. «Ich glaube an unsere Leute», sagt er im Interview, das er Lea Fauth während seines Deutschlandbesuchs gab. «Das Kollektiv muss sich als Protagonist in politischen Organisationen der brasilianischen Linken begreifen, das ist unsere Chance.»
Die Journalistin und Aktivistin beim «Marsch der schwarzen Frauen» Juliana Gonçalves, die im November wie Guimarães auf Einladung der RLS in Deutschland war, diskutiert die Krise der Linken und den Wahlsieg Bolsonaros aus einer Perspektive, die insbesondere subalterne Gruppen in der brasilianischen Gesellschaft in den Blick nimmt. Wie sie sich bei den Wahlen verhalten haben und was Militarisierung, die Abschaffung der Quotenregelung für Minderheiten und politische Repression für die arme Bevölkerung bedeuten könnte, erklärt Juliana in «Auf dem Weg ins Regime».
Schließlich wünscht sich Gerhard Dilger, der bis August das RLS-Regionalbüro in São Paulo leitete, das Erstarken einer neuen Lateinamerika- und Brasilien-Solidaritätsbewegung – erste Anzeichen dafür gibt es bereits.