Nachricht | COP 24 Es geht um Menschenrechte

Menschenrechte werden zum Faustpfand der Klimaverhandlungen

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Während die Welt am 10. Dezember das 70-jährige Bestehen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte feiert, werden sie auf dem UN-Klimagipfel zum Faustpfand der Verhandlungen.

Das Pariser Klimaabkommen braucht ein Regelbuch, das festlegt, wie die als historisch gefeierten Vereinbarungen konkret umgesetzt werden sollen. Das klingt auf den ersten Blick nach einer technischen Frage. Tatsächlich aber sind die UN-Klimaverhandlungen, die zu eben diesem Regelbuch zurzeit im polnischen Katowice stattfinden, hoch politisch.

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Die erste Verhandlungswoche des UN-Klimagipfels ist vorbei – und widerlegt einmal mehr den Mythos, dass das Pariser Abkommen an sich schon ein Erfolg ist. Das Abkommen setzt bislang verschiedene, zum Teil auch widersprüchliche Akzente und liefert einen äußerst groben Rahmen für den Umgang der Menschheit mit der Klimakrise. Was genau davon am Ende zu Tragen kommt, ist Verhandlungssache. Nun liegt es in der Natur von Verhandlungen, Kompromisse zu schließen. Die vergangene Woche hat noch einmal deutlich gezeigt, welche Kompromisse die Staaten bereit sind einzugehen: Sie machten auf dem klimadiplomatischen Basar sogar Menschenrechte zum Faustpfand ihrer nationalen, in großen Teilen durch fossile Lobbies, Wettbewerbsorientierung und Profitbestrebungen geprägten Interessen – zu Lasten der Ärmsten und Schwächsten weltweit. Mit anderen Worten: Menschenrechte gelten als verhandelbar, und das zum 70. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte!

Menschenrechte werden verhandelbar

In der Präambel des Pariser Abkommens finden sich – und das ist ein Erfolg – acht Rechte verankert: Neben Menschenrechten sind dies Ernährungssicherheit, Rechte indigener Gruppen, Gleichberechtigung der Geschlechter, öffentliche Teilhabe, Generationengerechtigkeit, Unversehrtheit der Umwelt und gerechte Übergänge. Damit beinhaltet das Abkommen die Ankündigung, diese Rechte sowohl im Kampf gegen den Klimawandel als auch bei der Anpassung an die Folgen der Klimakrise zu berücksichtigen.

Wie nötig es ist, beides umfassend zu garantieren, zeigen die Erfahrungen aus fast einem Vierteljahrhundert Klimaverhandlungen: Immer offensichtlicher wird, wie sehr Dürren, Taifune, schwindende Gletscher und siechende Korallenriffe tief in das Leben von Menschen eingreifen und die oben benannten grundlegenden Rechte gefährden. Immer offensichtlicher wird aber auch, wie sehr auch diejenigen Maßnahmen, die im Rahmen der UN-Klimarahmenkonvention als Klimaschutzinstrumente auf den Weg gebracht werden, Menschenrechte verletzen: Indigene Gruppen werden aus ihren Wäldern vertrieben, weil diese als Kohlenstoffspeicher vermarktet werden (das sogenannte REDD+), oder Menschen werden umgesiedelt, weil ein Wasserkraftwerk samt Megastaudamm erneuerbare Energie liefern soll.

Ohne Verankerung von Rechten droht das Regelbuch zur leeren Hülle zu werden

Fakt ist: Ohne Verankerung der Rechte droht das Regelbuch zur leeren Hülle zu werden. Die Rechte müssen auch in den Umsetzungsregeln selbst verankert und alle Instrumente, Mechanismen und Maßnahmen an diesen Rechten ausgerichtet werden. Das ist die Voraussetzung dafür, dass sie tatsächlich bis auf nationale Ebene durchgreifen und von den Betroffenen am Ende auch eingeklagt werden können. Dennoch waren eben diese Rechte – der jeweiligen Verhandlungsdynamik folgend - in der vergangenen Woche mal in den verschiedenen Textpassagen des Regelbuchs drin, mal draußen. Diese Basar-Logik könnte sich in der zweiten Verhandlungswoche sogar noch zuspitzen, wenn die Minister*innen anreisen, um die vorbereiteten Texte der Verhandlungsdelegationen weiter zu verhandeln. Es stehen nach wie vor sehr viele Optionen in Klammern, die noch ausverhandelt werden müssen.Ebenso und ganz grundlegend stehen die Reche der Ärmsten und Schwächsten dadurch auf dem Spiel, dass die Industriestaaten, die als Verursacher des Klimawandels klar in der historischen Verantwortung stehen, noch immer keine ausreichenden Finanzmittel zur Verfügung stellen. Diese Mittel sind nötig, um den globalen Süden bei Klimaschutz und Klimaanpassung zu unterstützen und für die Schäden und Verluste aufzukommen, die die Klimakrise weltweit verursacht. Auch hier geht es letztlich darum, Menschenrechte zu garantieren – was ohne finanzielle Mittel oftmals eine leere Phrase bleibt. Neben den völlig unzureichenden Zusagen zur Senkung ihrer Emissionen ist das die zweite gewaltige Lücke, die zwischen Rhetorik und Handeln der Industriestaaten klafft.

«Finance is key to everything we negotiate»
Interview mit Harjeet Singh, ActionAid International

Entscheidende Verbesserungen sind hier nicht in Sicht. Im Gegenteil: Je deutlicher absehbar ist, welche immensen Investitionen für die Anpassung an die Klimakrise nötig sind, damit Menschen in Sicherheit und Würde leben können, desto stärker versuchen die Industriestaaten die zuvor gemachten Zugeständnisse auszuhöhlen. Unter anderem betrifft dies das Versprechen, ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar zur Verfügung zu stellen. Die Höhe dieser Summe ist erstens überholt und zweitens von jeher eher ein symbolischer Schätzwert. Tatsächlich wird viel mehr Geld benötigt. Aktuell versuchen die Industriestaaten wieder aggressiver, ihr Versprechen so zu deuten, dass sie Kredite, Bürgschaften und private Investitionen unter die Summe zählen und nur Mittel „mobilisieren“ – statt tatsächlich zusätzlich bewilligte öffentliche Mittel bereitzustellen. Zudem sind sie äußerst bemüht, jeglichen Hinweis im Regelbuch zu tilgen, der sie verpflichten würde, dass die Mittel „neu und zusätzlich“ sein sollen (d.h. keine lediglich umbenannten Mittel, die ohnehin geflossen wären).

Das Zwischenfazit aus Katowice: Bislang läuft das Pariser Abkommen Gefahr, weder die Einhaltung der Menschenrechte genügend konkret zu verankern noch einen ausreichend verpflichtenden Rahmen für die finanzielle Verantwortlichkeit der Industriestaaten zu garantieren. Wie immer gilt: Ohne gewaltigen Druck der globalen Klimagerechtigkeitsbewegung wird das Pariser Abkommen samt Regelbuch nur heiße Luft sein. Erschreckender Weise steht auch der wissenschaftliche Konsens der UN-Klimaverhandlungen selbst wieder stärker unter Beschuss: Am Wochenende attackierte eine Phalanx aus USA,  Russland, Saudi-Arabien und Kuweit die Annahme des 1,5-Grad-Berichts des Weltklimarats, den die die Staaten der UN-Klimarahmenkonvention eigentlich „willkommen“ heißen wollten – als ob man die Gesetze der Naturwissenschaft ignorieren könnte!

Den so dringend benötigten Druck der Klimabewegung versucht die polnische Regierung in Katowice zu allem Überdruss aber in diesen Tagen aus dem Kessel zu nehmen, indem sie das Recht auf freie Meinungsäußerung für einige erheblich einschränkt. Dutzende, sogar offiziell für die COP24 akkreditierte Personen wurden festgesetzt oder gar nicht erst ins Land gelassen. Damit werden die Verhältnisse endgültig auf den Kopf gestellt: Diejenigen, die den Planeten retten wollen, werden mundtot gemacht, während sich fossile Konzerne mit angeblich "sauberer Kohle" und Werbetouren für neue Gasinfrastrukturen sowie die Atomkraftlobby auf dem Konferenzparkett als Lösungen präsentieren dürfen.

"We need to fight patriarchy"

«We need to fight Patriarcy»
Interview mit Melissa Moreano, Critical Geographers Collective, Ecuador