Nachricht | Gesellschaftliche Alternativen - Sozialökologischer Umbau Wessen Essen ist das Essen?

Am 29. und 30. Mai veranstaltet die Rosa-Luxemburg-Stiftung die Konferenz „SaatMachtSatt – Wer kontrolliert das Saatgut?“ in Berlin. Im Vorfeld berichtet Steffen Kühne.

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Autorin

Ulrike Hempel,

 

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung veranstaltet in Kooperation mit dem Forum Umwelt und Entwicklung die Konferenz „SaatMachtSatt – Wer kontrolliert das Saatgut?“. Sie findet am 29. und 30. Mai im Langenbeck-Virchow-Haus in Berlin Mitte statt. Mit Steffen Kühne, in der Rosa-Luxemburg-Stiftung Referent für Nachhaltigkeit und sozial-ökologischen Umbau, sprach Ulrike Hempel.

Welche Hinter- und Beweggründe hat das Engagement der RLS bei dieser Konferenz?

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung möchte schon seit einiger Zeit landwirtschaftliche Themen, zu denen sie und ihre Kooperationspartner im Ausland arbeiten, stärker in politische Diskussionen in Deutschland rückkoppeln. Die Verdrängung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft im globalen Süden durch eine intensivierte, industrielle Bewirtschaftung und der anhaltende Wandel der europäischen Agrarstruktur betreffen unser aller Essen ziemlich unmittelbar. Die Saatgutfrage ist dabei eine ganz entscheidende, sie verbindet sich mit anderen Themen, die hierzulande immer mehr Menschen bewegen. Es geht darum, wer die Kontrolle über die Nahrung hat – und wer nicht.

Für wen könnte die Tagung „SaatMachtSatt“ interessant sein?

Saatgut steht auf der tagespolitischen Agenda gerade sicher nicht so weit oben wie manch andere Themen. Über die aktivistische Szene hinaus gibt es aber ein öffentliches Bewusstsein dafür, dass das Saatgut weltweit von der Agrarindustrie im Namen der Ernährungssicherung unter die Kontrolle einiger weniger Unternehmen gebracht wird. Wir rechnen neben einer Reihe von Initiativen deshalb auch mit Leuten, die sich für einen Nord-Süd sowie Süd-Süd-Erfahrungsaustausch interessieren, gerade im Kontext des G7-Gipfels. Und ich hoffe, dass viele, die bisher mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung in anderen inhaltlichen Bereichen gearbeitet haben, über diese Veranstaltung einen Einstieg in das Thema Erhalt der globalen Saatgutvielfalt finden werden.

Kannst du die Verbindung zum G7-Gipfel näher erläutern?

Als Club der reichen Industrienationen stehen die G7-Staaten ja in der Kritik sich als inoffizielle Weltregierung aufzuspielen, auch wenn die Bedeutung der Treffen sicherlich abgenommen hat. Vor drei Jahren starteten die G8, damals noch mit Russland, eine „Neue Allianz für Ernährungssicherheit“ und schließen in diesem Zusammenhang seither Partnerschaftsabkommen mit afrikanischen Staaten ab. Im Namen der Armutsbekämpfung zielen die vor allem darauf ab, Investoren aus dem globalen Agrarbusiness den Zugang zu Land und den Absatz von kommerziellem Saatgut und Industriedüngern zu vereinfachen. Private Investoren und Strukturanpassungsmaßnahmen sollen die hergebrachte Landwirtschaftsstruktur umkrempeln und beschleunigt in den Weltmarkt integrieren. Die ersten Konsequenzen, die sich aufgrund dessen beobachten lassen, sind besorgniserregend.

Was kann ich mir unter der Saatguttauschbörse, die am Samstag, den 30.5. stattfinden wird, vorstellen?

Das hängt natürlich davon ab, wer das Angebot letztlich annehmen wird. Wir hoffen, dass viele, die sich für Saatgutvielfalt interessieren und engagieren, es auch selbst tauschen möchten. In einigen Teilen der Welt hat jeder Hof sein eigenes Saatgut, die Vielfalt an Reis und Getreidesorten ist dort gigantisch. Leider wird es für die internationalen Gäste nicht möglich sein, solches Saatgut einzuführen, weil die Ein- und Ausfuhrbestimmungen sehr streng sind. Wenn man sich klar macht, dass fast jede Saattüte, die wir heute für den Balkon kaufen, bei einem großen Konzern die Kasse klingeln lässt, dann sind Saatguttauschbörsen eine interessante Alternative für alle, die einen Garten haben oder selbst Lebensmittel produzieren möchten. Vom Sonnenblumenkern bis zum Dinkelkorn – ich weiß nicht, was die Leute mitbringen werden, aber ich hoffe, es wird deutlich, was es alles gibt und wie vielfältig Saatgut eigentlich ist. Wenn wir über Verlust an Biodiversität sprechen, gehört dazu, dass die Sortenvielfalt der Nutzpflanzen nicht nur in Indien, sondern auch in Deutschland stark abgenommen hat – und das gilt längst nicht nur für die Varianten des Apfels, bei dem das oft beklagt wird.

Wer sind die wichtigsten Gäste?

Das lässt sich so nicht beantworten, jeder Referent und jede Referentin wird andere Aspekte in die Debatte einbringen. Mich persönlich interessieren die Gäste aus Indien, weil es hier gelungen ist, Forderungen der Bäuerinnen und Bauern gegen die Interessen der Konzerne in der Saatgutgesetzgebung durchzusetzen. An vielen Orten der Welt wird daran gearbeitet, durch alternative Saatgutbanken, durch eigenen Nachbau und lokalen Tausch die Basis der Kulturpflanzenvielfalt und Ernährungssouveränität zu sichern. Das wünsche ich mir: Die verschiedenen Erfahrungen sollen helfen Alternativen zu entwickeln und Wege aufzeigen, wie gesellschaftlicher Druck rund um das Thema organisiert und Einfluss zurückgewonnen werden kann.

Ein Thema heißt „Vom Saatgut zum Teller – Bewusstseinsbildung bei VerbraucherInnen“. Wo besteht da der Zusammenhang?

Ich glaube, es gibt da mehrere Dimensionen. Die eine ist die individuelle: Als Verbraucherin oder Verbraucher kann ich mich natürlich informieren, woher mein Essen eigentlich kommt. Will ich die Erzeugnisse aus den Agrarfabriken im Supermarkt nicht, kann ich nach Alternativen suchen, die biologisch produziert und fair gehandelt wurden. Bewussterer Verbrauch kann da in jedem Fall einen wichtigen Beitrag leisten. Das Bewusstsein sollte da aber nicht stehen bleiben. Wer sich darauf ausruht, sich „bessere“ Lebensmittel im Bioladen leisten zu können, denkt ziemlich kurz. Ethischer Konsum allein wird kein grundsätzliches Umsteuern in der Agrarpolitik bewirken, er kann aber helfen, das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Veränderungen zu schärfen.

Welche Folgen bringt die drohende Privatisierung des Saatguts im internationalen Kontext mit sich?

Was würde passieren, wenn die Kontrolle über das Saatgut weltweit ausschließlich in den Händen weniger Agrarkonzerne läge, deren Interesse vor allen Dingen ein kommerzielles ist? In der Landwirtschaft erleben wir eine enorme Konzentration von Eigentum und Macht. Das hat schwerwiegende Folgen für viele Menschen, die weltweit in diesem Sektor arbeiten und davon leben, vor allem in kleinbäuerlichen Strukturen. Was für den Gesundheitssektor, die Schulbildung oder die Wasserversorgung gilt, dass nämlich Allgemeinwohl und privatwirtschaftliche Verwertungslogik statt Hand in Hand zu gehen oft gegeneinander stehen, gilt auch für unsere Ernährung. Privatisierung gefährdet öffentliche Güter, weil sie der demokratischen Kontrolle entzogen und den Profitinteressen einiger weniger unterworfen werden. Und Profit lässt sich eben besser machen, wenn hergebrachte samenfeste Sorten durch genetische veränderte oder Hybridformen ersetzt werden – ertragreich, aber eben nur im ersten Jahr. Wer neu säen möchte, kann nicht selbst nachbauen, sondern muss neues Saatgut kaufen. Die Vielfalt geht verloren.

Warum wird international eine ressourcenintensive und großflächige Landwirtschaft zu Ungunsten angepasster lokaler agrarökologischer Systeme gefördert statt verhindert?

Das ist eine spannende Frage, die man auch der deutschen Regierung und den VertreterInnen der hiesigen Agrarlobby stellen muss. Ich glaube, dass viele der Vorstellung anhängen, nur eine industrielle, ressourcenintensive Landwirtschaft, wie wir sie heute erleben – mit großen Maschinen und weiten Monokulturflächen, wenigen Menschen, viel Dünger und Pestizideinsatz – habe eine Zukunft. Die kleinbäuerliche Landwirtschaft, die nach wie vor die meisten Menschen auf der Welt ernährt, wird stattdessen pauschal als rückschrittlich diffamiert. Im Namen der Ernährungssicherheit werden Technisierung, der Anstieg privater Investitionen und maximale Erträge um jeden Preis zur Messlatte erklärt. Das drückt auch die deutsche Politik anderen Ländern schablonenhaft auf, obwohl diese Modelle seit Jahrzehnten scheitern.

Was ist in dem Zusammenhang mit dem Thema Saatgut für dich eine linke Position?

Da geht es um die Frage, was Saatgut mit gesellschaftlicher Steuerung und der Vision einer Demokratisierung der Ernährungssysteme zu tun hat. Ähnlich wie die Frage, wem eigentlich das Land gehört, wer die Qualität und den Preis unserer Nahrung bestimmt, wer daran am Ende verdient. Was bedeutet es denn, wenn Patente auf Leben bestehen? Es heißt, dass Leute sich bestimmte Pflanzen, ein ganz bestimmtes Saatgut, als Marke eintragen lassen können. Und dann entscheiden nur noch sie. Das steht diametral der Vorstellung entgegen, dass wir als Gesellschaft die relevanten Felder unseres Zusammenlebens gemeinsam aushandeln. Der linke Ansatz ist das Ringen um die Antwort auf die Frage: Wessen Essen ist das Essen?

Vielen Dank für das Gespräch.