Nachricht | Soziale Bewegungen / Organisierung - International / Transnational - Afrika - Südliches Afrika Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt

Eine kurze Bestandsaufnahme zur Eskalation der Gewalt in Simbabwe.

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Andreas Bohne,

Emmerson Mnangagwa, Präsident von Simbabwe, beim World Economic Forum 2018 in Davos. In diesem Jahr sagte er wegen der eskalierenden Proteste in seinem Land die Teilnahme am Wirtschaftsgipfel ab. CC BY-NC-SA 2.0, World Economic Forum/flickr

Am 12. Januar 2019 kündigte der simbabwische Präsident Emmerson Mnangagwa eine mehr als 150 prozentige Erhöhung der Benzinpreise an. Als Argumente dienten ihm die anhaltende Kraftstoffknappheit und der gestiegene Treibstoffverbrauch durch Missmanagement sowie einen grassierenden illegalen Außenhandel. Angesichts der vorhandenen jahrelangen ökonomischen Krise des Landes, die die Lebensbedingungen vieler Menschen einschränkt, verschärft und erschwert die Erhöhung die ohnehin schwierigen Lebensumstände der meisten Simbabwer*innen. Nicht nur die Abhängigkeit vom lokalen Transport, auch die Auswirkungen auf die Preise von Grundnahrungsmitteln, sowie die langjährigen Erfahrungen mit Hyperinflation, bewirkten so den bekannten Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Die Wut über diese Entscheidung führte am 14. Januar, zwei Tage nach der Bekanntgabe, zu einem dreitägigen Generalstreik („stay away“), ausgerufen vom Zimbabwe Congress of Trade Unions, und aufgegriffen von diversen Organisationen. Der Streik und die Demonstrationen kumulierten in gewaltsamen Protesten, insbesondere in Harare und Bulawayo.

Die düsteren Prognosen bewahrheiten sich

Die Regierung reagierte mit aggressiven Gewalteinsätzen des Militärs und der Polizei. Parallel zu diesen Einsätzen und Protesten wurden die Kommunikationsmöglichkeiten sowohl zwischen Simbabwer*innen selbst als auch mit dem Rest der Welt massiv eingeschränkt. Das Internet und soziale Medien wie Twitter wurden seit dem 15. Januar zeitweise vollständig blockiert („shut down“). Insbesondere der Zugang zu den sozialen Medien wie Facebook, Whatsapp und YouTube blieb für längere Zeit gestört. Das Zimbabwe Human Rights NGO Forum geht von mindestens 844 Menschenrechtsverletzungen in den ersten drei Tagen während der Proteste aus. Die Verletzungen reichen von Tötungen, Verletzung durch Schüsse, Folter, Zerstörung von Eigentum, willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen. Prominentes Opfer von Verhaftungen ist Pastor Evan Mawarire, Gründer der Bewegung  #ThisFlag.

Als Emmerson Mnangagwa im November 2017 den Langzeitpräsidenten Robert Mugabe „sanft wegputschte“ und sich in den Präsidentschaftswahlen im Juli 2018 durchsetzte, sahen viele Kommentator*innen und Analyst*innen eine Kontinuität des Systems Mugabe. Zwar wurde auf eine leichte Entspannung verwiesen, beispielsweise auf offenere politische Diskurse; gleichzeitig behielt der Sicherheitsapparat, insbesondere jedoch das Militär alle (sicherheits)politischen und ökonomischen Fäden in der Hand. Mnangagwa bemüht sich, dem Bild des Garanten zu entsprechen, der Simbabwe für ausländische Investor*innen attraktiv gestaltet. Nach der angekündigten Erhöhung und darauffolgenden Protesten und Repressionen, weilte er in Russland und Asien, um für Investitionen zu werben. Die geplante Teilnahme am World Economic Forum in Davos sagte er laut Medienberichten ab und kehrt nach Simbabwe zurück.

Die großen Investitionen, die der Präsident immer wieder ankündigte und so dringend für sein Prestige bräuchte, tragen nicht zu einer kurzfristigen Entspannung der ökonomischen Situation in Simbabwe bei. Investitionen aus dem Ausland allein werden nicht reichen, um die Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten und die Lebenssituation zu verbessern.

Die Regierung und regierungsnahe Medien machen neben der Gewerkschaft und den unterstützenden Organisationen, die oppositionelle Movement for Democratic Change (MDC) sowie ausländische Staaten für die Eskalation verantwortlich. Jedoch stehen weder Parteichef Nelson Chamisa, noch der MDC hinter den Protesten.

Eine Einschätzung … soweit möglich

Einschätzungen fallen schwer. Die wenigen kursierenden Bilder in sozialen Medien wie Whatsapp, Facebook und Twitter sind schwer zu verifizieren. Falsche Bilder und Nachrichten machen die Runde. Gewaltexzesse auf beiden Seiten sind aber dennoch sichtbar und verdeutlichen mit dem „rigorosen Durchgreifen“ der Sicherheitskräfte eine Kontinuität des Systems Mugabe. Die jüngste Ankündigung der Regierung, dass die bisherige staatliche Reaktion nur "ein Vorgeschmack auf das sei, was kommen wird", lässt schlimmes erahnen.

Im Unterschied zu früheren Protesten ist es diesmal nicht die Opposition (MDC) die zum  Streik aufrief. Vielmehr handelt es sich um einen von Parteien losgelösten Protest und Ausdruck der Unzufriedenheit. Es ist offensichtlich, dass die Menschen den Parteien überdrüssig sind. Aktuell geht es den allermeisten Simbabwer*innen schlicht um materielle Grundbedürfnisse und die Verbesserung ihrer Lebens- und Versorgungssituation. Es ist nicht zu erwarten, dass durch die Proteste politische und ökonomische Reformen erkämpft werden,  die über die Rücknahme der Benzinpreiserhöhung hinausgehen könnten. Trotz der Notwendigkeit grundlegender emanzipatorischer Veränderungen gibt es momentan weder eine in diese Richtung weisende politische Kraft noch entsprechende Akteur*innen.

Das Zimbabwe Human Rights NGO Forum stellt verschiedene Forderungen auf, unter anderem das Recht auf friedliche Proteste zu gewährleisten und unabhängige Untersuchungen zuzulassen. Die Aufforderung, dass Präsident Mnangagwa dringende Maßnahmen ergreifen sollte, um das weitere Leiden der Bevölkerung zu lindern, erscheint angesichts dessen Anweisung des „harten Durchgreifens“ naiv und unrealistisch.

Die Krise in Simbabwe verdeutlicht ein weiteres Mal die Schwäche der Southern African Development Community (SADC). Wie bereits zur Wahl, bleiben auch die aktuellen Ereignisse unkommentiert. Dies ist besonders problematisch, da die SADC die einzig legitime regionale Staatengruppe wäre, um von außen Druck auf die simbabwische Regierung auszuüben.

Angesichts der ökonomischen Situation und zur Eindämmung der Gewalt ist die Rücknahme der Preiserhöhung notwendig. Auch müssten Dialogangebote ausgesprochen werden; die sollten jedoch nicht in eine Regierung der nationalen Einheit bestehend aus ZANU-PF und MDC münden, sondern den Dialog auf weitere wichtige Gruppen der Zivilgesellschaft und der Gewerkschaften ausweiten.