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Venedig im Mai: 56. Biennale „All the World’s Futures“ mit Karl Marx und den Implikationen von Konsumtion.

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Uwe Michel,

 

Die Sonne scheint über der Lagunenstadt und alle sind schon da: Künstler, Touristen und Migranten. Zur Eröffnung der diesjährigen 56. Biennale in Venedig, kuratiert von Okwui Enwezor, wird die Stadt wieder einmal globaler Sehnsuchtsort und Projektionsfläche sowie zum Ort, an dem die Fragen zur Zukunft der Welt neu gestellt und erörtert werden. «All the World’s Futures» ist der Titel der Kunstaustellung und 136 Künstler aus 53 Ländern geben nicht nur Einblicke in ihre Welt, sondern verdeutlichen auch, dass Globalisierung und Finanzkrise neue Ungleichheiten und Unsicherheiten hervorgebracht haben.

Dass im Rahmen dieser Debatten und künstlerischen Interventionen immer wieder der Name von Karl Marx auftaucht, ist somit kein Zufall. «Kunst und Politik lassen sich nicht trennen», sagt Okwui Enwezor. «Wir können nicht über Ungleichheit nachdenken, ohne über das Kapital zu sprechen.» Deshalb stellt der Kurator eine monumentale Marx-Lesung ins Zentrum der Biennale in Venedig.  In der Arena, dem zentralen Versammlungsort im Internationalen Pavillon, werden alle drei Bände des Kapitals in einem Oratorium vorgelesen und nicht weit davon entfernt läuft Alexander Kluges zehnstündige Kapitalverfilmung.

Beteiligt ist aber auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung: Durch ihre Projektförderung unterstützt sie die mehrteilige Performance «Non consumiamo...» (to Luigi Nono) des in Berlin lebenden Künstlers Olaf Nicolai. Dieser bezieht sich in diesem Werk auf die zweiteilige Komposition von Luigi Nono (1924-1990) «Un volto, e del mare / Non consumiamo Marx» von 1968, die in Folge der Studentenproteste gegen die Biennale entstand. Hatte Luigi Nono eine Collage aus Gedichten Cesare Paveses, Graffiti von den Straßen in Paris und Stimmen, die er während der Demonstrationen aufgenommen hatte, erstellt, nimmt Olaf Nicolais Werk auf die Lesung des Kapitals von Karl Marx Bezug und entwickelt und transformiert sich über die siebenmonatige Dauer der Biennale. Start- und Endpunkt sind  Live-Performances liedhafter Interventionen, die von acht Sängern aufgeführt werden, aber auch durch «Soundrucksäcke» von den Besuchern interaktiv genutzt werden, um selbst als Träger der Aufnahmen agieren zu können.

Nono hatte für den Titel seines Stücks einen Slogan der Pariser Studenten zitiert. «Ne consommons pas Marx!» lehnt Konsumtion als passive Akzeptanz des Gegebenen ab. In einem Text aus den Studien zum Kapital weist Marx auf eine weitere Implikation von Konsumtion hin: neue Bedürfnisse zu artikulieren und die Produktion zu verändern. Mit «Non consumiamo...» bei dem Besucher selbst.

So kehrt die Kritik der politischen Ökonomie zurück an den Ort, an dem Gegenwart und Zukunft neu verhandelt werden. Aber auch andere Themen wie Migration, Gewalt und Kritik am Eurozentrismus waren in den verschiedenen Pavillons allgegenwärtig.

Um die Ausstellungshallen im Arsenal hatten in diesem Jahr Kritiker der Biennale Plakate mit dem Konterfei Enwezors und Marx plakatiert, die die Frage stellten, was denn so eine elitäre Veranstaltung mit Karl Marx zu tun habe. Nach Besuch der Ausstellung kann man nur antworten: doch sehr viel!

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