Nachricht | Parteien / Wahlanalysen - Staat / Demokratie Das Rezept der EGP gegen Klimawandel und Arbeitslosigkeit: Investitionen in «Green Jobs»

Jochen Weichold zum 22. Council-Meeting der European Green Party Mitte Mai 2015 in Zagreb

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In Kroatien gibt es mehr als ein halbes Dutzend grüne Parteien. Die bedeutendste ist allerdings eine, die den Begriff «grün» gar nicht in ihrem Namen führt: die Održivi razvoj Hrvatske (ORaH, Nachhaltige Entwicklung Kroatiens). Sie war der Shooting Star bei den Europawahlen 2014, erreichte 9,4 Prozent der Wählerstimmen und konnte einen Abgeordneten ins Europäische Parlament entsenden. Seit November 2014 gehört die ORaH der European Green Party (EGP) mit Kandidaten-Status an. Grund genug für die EGP, ihre 22. Rats-Tagung (Council Meeting) vom 15. bis zum 17. Mai 2015 in Zagreb abzuhalten. Seit der Änderung der Satzung der EGP im Jahr 2011 ist nicht mehr der Parteitag, sondern der Rat (Council) das höchste Organ der EGP. Er tritt zweimal im Jahr zusammen.

Im Zentrum der 22. Rats-Tagung stand die Frage, wie die Wirtschaft der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) durch Maßnahmen eines Green New Deal im Sinne der Nachhaltigkeit transformiert werden kann und wie durch entsprechende Investitionen grüne, also nachhaltige, gut bezahlte Jobs geschaffen werden können. Reinhard Bütikofer, Co-Vorsitzender der EGP, betonte mehrfach, dass die Lösung dieser Frage nicht nur für den Abbau der Massenarbeitslosigkeit, insbesondere derjenigen unter der Jugend in den südeuropäischen Ländern, von eminenter Bedeutung ist, sondern auch für den Zusammenhalt der Europäischen Union insgesamt. Es gehe um das Aufzeigen einer hoffnungsvollen Perspektive für alle Menschen in der EU, um eine Art European Dream, der realisierbar erscheinen müsse.

Sowohl Bütikofer als auch Rebecca Harms, Co-Vorsitzende der Fraktion The Greens/European Free Alliance (Greens/EFA) im Europa-Parlament, betonten, dass die Ökonomie der Schlüssel für die Antwort auf die Frage ist, wie wir zu besseren Lebensbedingungen für alle Menschen in der EU kommen können. Harms erklärte, das Beispiel Griechenland, wo die dortige grüne Partei Oikologi-Prasinoi an der SYRIZA-geführten Regierung beteiligt ist, zeige, wie der Komplex von Ökonomie, Finanzen, Demokratie und europäischen Werten zusammen hänge und nur gemeinsam gelöst werden könne. Monica Frassoni, Co-Vorsitzende der EGP, unterstrich, dass die Realisierung eines Green New Deal sowohl für die Schaffung grüner Jobs von Bedeutung sei als auch als Beitrag für die Bewältigung der Klima-Krise. In diesem Sinne sei eine neue Welt, ein besseres Europa möglich. Mit dem Blick auf die Flüchtlings-Dramen im Mittelmeer verglich die Italienerin die Insel Lampedusa mit Staten Island in den USA. So wie die Einwanderer damals an den amerikanischen Traum glaubten, hätten heute die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und aus Afrika einen europäischen Traum, einen Traum vom besseren Leben in Europa. Und Rebecca Harms sagte: «Jedes Mal, wenn ein Flüchtling im Mittelmeer stirbt, sterben die Werte der Europäischen Union.»

Unter der Überschrift «Transform. Invest. Create green Jobs» diskutierten im Plenum Mirela Holy, Vorsitzende der ORaH und Abgeordnete im nationalen Parlament Kroatiens, Yannis Tsironis, Stellvertretender Umweltminister in Griechenland, und Peter Eriksson (MdEP) von der schwedischen Miljöpartiet de Gröna die spezifischen Erfahrungen und Lösungsansätze in Kroatien, Griechenland und Schweden. Während Mirela Holy besonders die Bedeutung von Investitionen in den Bildungssektor hervorhob, um junge Menschen für grüne, anspruchsvolle Jobs zu qualifizieren, hielt Yannis Tsironis Investitionen in die ökologische Landwirtschaft für notwendig und plädierte dafür, eine Kooperation zwischen Öko-Bauern und ökologisch interessierten Verbrauchern auf die Beine zu stellen. Weil Griechenland ein Mehrfaches an Erdöl verbraucht als das Ölförderland Norwegen, hielt er Investitionen in jene Bereiche für erforderlich, die (wie energetische Gebäude-Sanierung und Erneuerbare Energien) dazu beitragen, den Ölverbrauch zu senken.

Peter Eriksson, dessen Partei derzeit an der schwedischen Regierung beteiligt ist, sah Investitionsbedarf im schwedischen Transportsystem, insbesondere im Ausbau der Schienen-Infrastruktur, um mehr Transporte von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Weitere grüne Investitionen sollten seiner Meinung nach der Verringerung des Ölverbrauchs und der Senkung der Heizkosten dienen und in die Modernisierung des Kommunikationssystems fließen, um beispielsweise einhundert Jahre alte Telefonkabel durch moderne Glasfaserkabel zu ersetzen. Weitere Stichworte in dieser Debatte waren Investitionen in Advanced Manufacturing, in das Wasser-Management und in das Abfall-Management sowie ein Umbau des Steuersystems, um grüne Investitionen zu befördern.

Eine Veranstaltung mit dem Titel «Green Strategy – Ideas to Change EU» verlief für den Beobachter enttäuschend. Es gab weder einen Input, noch war eine Struktur der Debatte erkennbar. Es fehlten sowohl eine «grüne Strategie» als auch tragfähige Ideen, wie die Europäische Union zu verändern sei. In der losen Diskussion sagte jede und jeder das, was sie bzw. ihn gerade in Bezug auf die EU bewegte, aber kaum etwas zum eigentlichen Thema. Monica Frassoni konnte der Veranstaltung dennoch etwas Positives abgewinnen: Es gab keine Pro-EU- versus Contra-EU-Debatte, wie sie in früheren Jahren kennzeichnend war. Frassoni plädierte dafür, einen europäischen Traum – analog zum American Dream – zu entwickeln, den die europäischen Grünen den technokratischen und bürokratischen Szenarien der EU-Administration hinsichtlich der weiteren Entwicklung der Europäischen Union entgegenstellen könnten.

Eine Debatte zur Östlichen Partnerschaft der EU mit Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldova, der Ukraine und Belo-Russland erhielt angesichts der jüngeren Entwicklungen der Situation in Osteuropa wie dem Ukraine-Konflikt und der angespannten Lage in der Kaukasus-Region besonderes Gewicht. Dieser Diskussion lag ein Arbeitspapier zugrunde, das unter der Federführung der EU-Parlamentarierinnen Heidi Hautala (Finnland) und Rebecca Harms (Deutschland) entstanden und vorab bereits der Presse vorgestellt worden war. In diesem Papier wurde konstatiert, dass der Erfolg der Östlichen Partnerschaft (Eastern Partnership) von der breiteren regionalen Sicherheit abhängt, die hochgradig beschädigt worden sei durch den Bruch des internationalen Rechts und der europäischen Sicherheitsordnung durch Russland. Frieden in der Ukraine und die Lösung der vielen langwierigen Konflikte der Region wären der Schlüssel zum Erfolg. Alle Anstrengungen müssten unternommen werden, um die Östliche Partnerschaft zu einer Politik der Kooperation in einem breiteren Raum mit «Nachbarn von Nachbarn» zu entwickeln. Die EU müsse ihre Beziehungen zu den östlichen Partnerländern zum Nutzen von deren ökonomischen und historischen Bindungen mit der Russischen Föderation entwickeln und vertiefen. Das «Mehr-für-mehr»-Prinzip impliziere dabei auch «weniger für weniger» für jene Länder, die keinen Willen zeigen würden, sich mit der EU konkreter zu engagieren und die vereinbarten Reformen umzusetzen.

Die frühere Co-Vorsitzende der EGP, Ulrike Lunacek (Österreich), sagte, Versprechen, einige osteuropäische Länder könnten schnell Mitglieder der EU werden, hätten sich nicht realisieren lassen, was zu Enttäuschungen und neuen Problemen geführt habe. Reinhard Bütikofer erklärte, in der EU habe man zu wenig beachtet, dass einige Nachbarstaaten der EU Nachbarn anderer Staaten (wie Russland) sind. Teilnehmer der Runde aus Osteuropa beklagten vor allem, dass die EU zu wenig ökonomische und finanzielle Hilfen in Aussicht gestellt habe und in der Visa-Frage keine Bewegung zeige. Teilnehmer der Runde aus West- und Mitteleuropa bewegte dagegen die Frage, wie die Situation in der Ukraine und das Verhältnis zu Russland deeskaliert werden könnten, was die EGP zu einer Deeskalation beitragen könne und was in diesem Zusammenhang «Deeskalation» überhaupt bedeute. Unklar blieb, inwieweit sich die latente Verbindung von EU und NATO negativ auf die Eastern Partnership auswirkt, ob die Deep and Comprehensive Free Trade Agreements (DCFTA) inkompatibel zu den wirtschaftlichen Beziehungen der östlichen EU-Partnerstaaten zu Russland in Gestalt der Eurasischen Ökonomischen Union sind oder ob eher das Problem der fehlenden bzw. mangelnden Wettbewerbsfähigkeit der östlichen Ökonomien zu denen der EU-Kernländer sowie Probleme der Energieversorgung und -sicherheit sich hinderlich für die Eastern Partnership der EU darstellen.

In einer Plenar-Veranstaltung zum Populismus in Europa skizzierte der niederländische Politikwissenschaftler Dick Pels dieses Phänomen als Hufeisen im politischen Raum, bei dem sich rechter und linker Populismus zunächst voneinander entfernen, aber dann wieder annähern. Als Beispiel für den Populismus von rechts nannte er Geert Wilders, für den von links Sahra Wagenknecht. Als Exempel für einen grünen Populismus führte er Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit an. Florent Marcellesi aus Spanien sprach über den Populismus von PODEMOS. Am Vortrag von Ulrike Lunacek, die populistische Elemente in der Wahlwerbekampagne der österreichischen Grünen zur Europawahl 2014 vorstellte, entspann sich dann eine kontroverse Debatte darüber, ob grüne Parteien in ihren Kampagnen mit derartigen populistischen Elementen arbeiten dürften. Eine Debatte, deren Ergebnis offen blieb und die auf künftigen Veranstaltungen fortgesetzt werden soll.

In Zagreb warf die UNO-Konferenz zum Klima-Wandel im November 2015 in Paris (COP21) ihre Schatten voraus. Anfang Februar 2015 hatten führende Politiker grüner Parteien, die sich auf Einladung des Rates der European Green Party in Brüssel trafen, die geplante gemeinsame Klima-Kampagne mit dem Blick auf COP21 auf den Weg gebracht und vereinbart, im Frühjahr 2015 den Mitgliedsparteien der EGP ein Online-Toolkit für die Klima-Kampagne zur Verfügung zu stellen, das es den Mitgliedern der grünen Basis ermöglichen soll, als Klimabotschafter zu agieren. Auf dem 22. Council Meeting der EGP wurden nun die von einer Wiener Agentur entwickelten Tools und der Zeitplan für die positiv angelegte Kampagne vorgestellt und diskutiert. Der generelle Auftritt, der zur Verbreitung in den verschiedenen sozialen Netzwerken gedacht ist, kann an die spezifische Situation in den einzelnen europäischen Staaten angepasst und variiert werden. Am 22. Mai 2015 soll die Kampagne starten.

Weitere Diskussionsrunden, die zumeist parallel zu anderen stattfanden, betrafen die Kampagne gegen TTIP, Aktivitäten der Global Greens, das Verhältnis von Religion und grünen Werten, Investitionen in eine nachhaltige Zukunft am Beispiel der kroatischen Gesellschaft oder die Suche nach Antworten auf die Gefahren des Extremismus. Zudem trafen sich das Gender-Netzwerk, das Balkan-Netzwerk, die grünen Bürgermeister, die Federation of Young European Greens, das Europäische Netzwerk der Grünen Senioren und das Netzwerk der individuellen Unterstützer der EGP. Die Green European Foundation diskutierte die außenpolitische Dimension europäischer Politik. Daneben gab es das Meeting der Schatzmeister und Sitzungen, um Kompromisse bei Anträgen zu finden und um Resolutionsentwürfe abzustimmen, sowie Vorstellungsrunden der kroatischen grünen Partei ORaH und der Green Party of England and Wales (GPEW). Schließlich befasste sich die 22. Rats-Tagung der EGP mit Finanzfragen, mit Teil-Wahlen zum Vorstand der EGP und zum Antrags-Komitee und mit den Beziehungen der Mitgliedsparteien untereinander.

Das Council Meeting verabschiedete eine Reihe von Resolutionen und Dringlichkeits-Resolutionen, in denen sich die EGP-Mitgliedsparteien für ambitionierte Ziele einer nachhaltigen Entwicklung und für die Beseitigung der Armut, für einen neuen Weg europäischer Nachhaltigkeit und für die Beendigung der Austeritäts-Politik einsetzen sowie dafür, den Klima-Wandel ernsthaft zu bekämpfen. In weiteren Resolutionen treten die europäischen Grünen für Freiheiten und fundamentale Bürgerrechte in Europa ein und lehnen das Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) zwischen der EU und Kanada ab.

Insgesamt präsentierte sich die EGP auf ihrem 22. Council Meeting geschlossen und handlungsfähig. Mit dem Focus auf die Schaffung von grünen Jobs in Europa im Rahmen ihres Konzepts eines Green New Deal griff die EGP das drängende Problem der Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit auf, das besonders in den südeuropäischen Staaten unter der Jugend einer Lösung harrt. Offene Fragen wie die nach einer grünen Strategie zur Veränderung der Europäischen Union bzw. die nach der zukünftigen Gestalt der EU überhaupt und unterschiedliche Standpunkte in Teilfragen verdeutlichten aber auch, dass auf die EGP noch einige Schwierigkeiten warten, die in den kommenden Jahren bewältigt werden müssen.