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Der am 24. Februar zur Abstimmung gestellte Entwurf ist Teil einer politischen und gesellschaftlichen Reform des Inselstaates

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Eine neue Verfassung für Kuba
Am 24. Februar wird in Kuba über einen neuen Verfassungsentwurf abgestimmt. Der Slogan der kubanischen Regierung für das Referendum lautet «YoVotoSi» («Ich wähle mit Ja»). Die Kampagne für «eine neue Verfassung von allen und für alle» ist auf der Insel allgegenwärtig. YAMIL LAGE / AFP

Auf den ersten Blick sieht es aus wie eine Zeitung: dünnes Papier, Rheinisches Format und der typische Geruch nach Druckerschwärze. Die Seiten sind eng bedruckt, in kleine Absätze unterteilt, mit fetten Zwischenüberschriften. Auf dem Titelblatt prangt das kubanische Wappen. Es ist jedoch keine Sonderausgabe der Granma – auch wenn sie von dieser gedruckt wurde - sondern der Entwurf für die neue kubanische Verfassung. Am 24. Februar 2019 dürfen alle wahlberechtigten Kubaner*innen über die Frage «Bestätigen Sie die neue Verfassung der Republik?» mit Ja oder Nein abstimmen.

Der Prozess ist Teil einer politischen und gesellschaftlichen Reform der Insel, die mit der Übergabe der Staatsführung von Fidel Castro an seinen Bruder Raúl im Jahr 2008 begann. 2011 wurden beim VI. Parteitag der Kommunistischen Partei (KP) Kubas 313 Leitlinien für die Entwicklung von Politik und Wirtschaft verabschiedet, kurz vor dem VII. Parteitag (2016) ein nationaler Entwicklungsplan bis 2030 aufgestellt und nun soll es eine neue Verfassung geben. Der aktuelle Verfassungsentwurf ist das Ergebnis eines breiten gesellschaftlichen Diskussionsprozesses. Drei Monate lang entwickelten etwa 8 Millionen Kubaner*innen fast 800.000 Vorschläge, aus denen 760 Änderungen am ursprünglichen Dokument hervorgingen. Das ist über die Hälfte aller veränderten oder ergänzten Passagen, die aus der breiten Bürgerbeteiligung resultieren. Die kubanische Nationalversammlung hatte den überarbeiteten Entwurf im Dezember vergangenen Jahres bestätigt. Aktuellen Umfragen zufolge ist zu erwarten, dass etwa 70 Prozent der Stimmberechtigten der neuen Verfassung zustimmen werden.

Erfolg für die progressiven Kräfte

Die massive Beteiligung an der Diskussion und die Vielzahl an Änderungen sind ein großer Erfolg für die progressiven Kräfte innerhalb der KP sowie der Gesellschaft insgesamt. Er zeigt, dass breite Teile der Bevölkerung politische Reformen innerhalb des sozialistischen Modells befürworten. Selbst die Regierenden waren vom Engagement der Bürger*innen und der Vehemenz der Diskussionen überrascht.

Themen wie die Wahl des Präsidenten durch die Bevölkerung, die Einführung des Amtes eines Ministerpräsidenten sowie Diskussionen um den Wert von Arbeit, aber auch die Forderung nach angemessenem Wohnraum rangierten im Vordergrund. Nicht zuletzt kann das Ergebnis auch als Erfolg des seit April 2018 amtierenden Präsidenten Miguel Díaz-Canel bewertet werden

Dabei sieht die Reform nicht nur eine Erweiterung ziviler Rechte vor, sondern greift auch auf institutioneller Ebene. Zum Beispiel soll die staatliche Führung zukünftig zwischen Präsident*in, Premierminister*in und Präsident*in der Nationalversammlung aufgeteilt werden. Auch eine Altersgrenze und die Begrenzung der Amtszeit des Staatsoberhauptes sollen eingeführt werden. Dem Wunsch vieler, eine Direktwahl der Amtsträger durch die Bevölkerung zu ermöglichen, wurde jedoch nicht entsprochen. Dies wird nach wie vor Aufgabe der Nationalversammlung sein.

Autonomie der Gemeinden und mehr Bürger*innenbeteiligung

Ein weiterer wichtiger Punkt der neuen Verfassung ist die Autonomie der Gemeinden. Hier wird die Bürger*innenbeteiligung mittels eines gewählten Gemeinderats umgesetzt, der lokale Produktionsstätten und Dienstleister kontrolliert. Dies ist insofern relevant, als dass zukünftig auch die lokal generierten Einnahmen nicht mehr an die Provinzen fließen, sondern den jeweiligen Gemeindehaushalten zugeführt werden. Den Gemeinderäten kommt eine Scharnierfunktion zwischen Bevölkerung und Kommunalverwaltung zu. Hier wird das sozialistische Projekt basisdemokratisch umgesetzt. Im Gespräch mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung bestätigt Joaquín Bernal Rodríguez, Abgeordneter und Rechtsexperte der KP, dass die Stärkung der Gemeinden gegenüber den Provinzstrukturen beabsichtigt sei. Für die Umsetzung muss in naher Zukunft jedoch ein entsprechendes Gemeindegesetz erarbeitet und beschlossen werden, das Strukturen und Inhalte der neuen Gemeindeautonomie definiert.

Ein weiteres zentrales Thema der Verfassungsreform, dem auch außerhalb Kubas vergleichsweise große Aufmerksamkeit zuteil wurde, betrifft die gleichgeschlechtliche Ehe. Um Artikel 68, der die Ehe zwischen zwei Personen (egal welchen Geschlechts) erlauben sollte, gab es auf Kuba kontroverse Diskussionen, die zu über 190.000 Änderungsvorschlägen führten – die meisten zur Verteidigung des traditionellen Familienmodells. So sagte der ehemalige Kulturminister Abel Prieto Jiménez im Gespräch mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung, dass ihn die kritischen Einwände gegen die gleichgeschlechtliche Ehe überrascht hätten. Denn Kuba hatte sich in den vergangenen Jahren gerade mit Blick auf die Anerkennung von LGBTI*-Rechten progressiv entwickelt. Offenbar sind althergebrachte Vorurteile in der Bevölkerung immer noch stark verhaftet, haben wertkonservative Kräfte, vor allem die Kirche,  nach wie vor großen Einfluss. Vor diesem Hintergrund hat die Nationalversammlung einen Kompromissvorschlag erarbeitet: In Zukunft soll eine rechtskräftige Partnerschaft zwischen «Eheleuten» ermöglicht werden, unabhängig vom Geschlecht. In zwei Jahren soll der so genannte Familiencodex dann noch einmal diskutiert werden.

Menschenrechte und sozialistischer Rechtsstaat

Eine wichtige Errungenschaft ist die verfassungsrechtliche Verankerung der Menschenrechte und des sozialistischen Rechtsstaates. Dies ermöglicht die weitere Entwicklung einer offenen und freien Gesellschaft, in der die Meinung des Andersdenkenden respektiert und bislang hinter verschlossener Tür geführte Diskussionen öffentlich ausgetragen werden können. Mit der expliziten Anerkennung der Vereins-, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit werden neue Formen der politischen Partizipation und Aneignung des öffentlichen Raums möglich.

Die Zukunft Kubas bleibt auch nach dem 24. Februar 2019 spannend. Groß sind die Herausforderungen bei der Umsetzung der neuen Verfassung, die Mut, strukturelle Veränderungen und eine neue politische Kultur erfordern. Nach wie vor muss sich Kuba in schwierigem oder sogar feindlichem Umfeld behaupten. Die wirtschaftlichen Verluste durch die Embargopolitik der USA belaufen sich auf Milliardenhöhe, der Klimawandel trifft Kuba erbarmungslos in Form von Hurrikans und Wirbelstürmen, die jedes Jahr verheerende Schäden anrichten. Deshalb sind internationale Unterstützung und Solidarität für Kuba auch in Zukunft lebenswichtig.
 

Zu den Autor*innen:
  • Rigoberto Fabelo Perez ist Vorstandsvorsitzender der kubanischen Organisation CIERIC, die sich auf kommunaler Ebene für soziale Projekte engagiert.
  • Angela Isphording ist Referentin im Lateinamerikareferat der Rosa-Luxemburg-Stiftung.