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Wie der politische Podcast DIASPOR.ASIA asiatische Identitäten in Deutschland sichtbar macht

Sina und Cuso machen in Frankfurt den Podcast DIASPOR.ASIA.

Eigene Narrative schaffen, eigene Geschichten erzählen: Das ist das Ziel für Sina und Cuso vom politischen Podcast DIASPOR.ASIA. Sie treffen sich, sprechen über Aktivismus, Ermächtigung, Queerness - und Rassismus – und teilen ihre Erfahrungen mit tausenden Menschen, die ihnen zuhören. So stärken sie ihr Bedürfnis nach Sichtbarkeit, Anerkennung und Selbstrepräsentation. Doch sie sind nicht allein: Im Sommer 2018 fanden in Berlin zwei Veranstaltungen statt, die Bewusstsein für asiatische Identitäten in Deutschland schafften und großen Zuspruch gewannen. Die in Kooperation zwischen korientation e.V. und der Rosa-Luxemburg-Stiftung organisierten Veranstaltungen «I Am Not A Fortune Cookie» und «We Are Not Same Same» machten auf Stereotype, Fetischisierung, Rassismus und kulturelle Aneignung aufmerksam und ermöglichten einen Raum für Austausch, Vernetzung und Solidarität.

Im Interview mit Thao Nguyen und Antonia Skiba reden Sina und Cuso über die Motivation für ihren Aktivismus, Identitätsfindung, Selbst- und Fremdrepräsentation.

Könnt ihr euch und euren Podcast kurz vorstellen? Was hat euch motiviert, dieses Projekt in die Wege zu leiten?

Sina: In unserem Podcast DIASPOR.ASIA geht es hauptsächlich darum, eine Vielfalt von asiatischen und asiatisch-deutschen Perspektiven sichtbar zu machen, Geschichten der Diaspora zu erzählen, über politische Widerstandskämpfe und Aktivismus aus einer bestimmten Perspektive zu berichten. Ich bin Ende März 2018 nach Frankfurt gezogen und mir wurde Cusos Kontakt gegeben. Wir haben uns getroffen und Cuso hatte die Idee ein Radio oder einen Podcast zu machen. Dann meinte ich: Hey, lass uns einen Asian Podcast machen!

Wie kamt ihr auf die Idee, genau solch ein Format zu wählen, um euch politisch zu engagieren?

Cuso: Ich war schon die letzten Jahre in Gruppen politisch organisiert. Die Form eines Podcasts zu wählen, entstand daher, dass es mir mental schlecht ging und ich meine Wohnung nicht mehr verlassen konnte. Es war für mich aber keine Option, nicht politisch aktiv zu bleiben. Ich brauchte ein Medium, was mich möglichst stressfrei lässt: Eine kreative, mediale Form als Aktivismus, auch als Ergänzung zur Praxis in einer organisierten Gruppe.

Sina: Für mich ist es wichtig, mich wiederzufinden, zu wissen, dass ich nicht allein bin mit meinen persönlichen Erfahrungen. Deswegen höre ich sehr gerne und viele Podcasts. Es ist super ermächtigend, die Möglichkeit zu haben, zu sprechen und auch Feedback zu bekommen, dass mir Leute zuhören – besonders, wenn man oft in der Position ist, nicht sprechen zu können, weil es nicht gehört wird oder verstummt . Und das ist eben ein Medium, wo du sehr frei gestalten kannst, was du machen willst und Leute dir nicht dazwischen reden. Sie müssen dir einfach zuhören!

Wie positioniert ihr euch selbst?

Cuso: Ich positioniere mich selbst als queer Tagalog. Meine Familie sind von den Philippinen und Tagalen gehören zur philippinischen Bevölkerung. Ich versuche, diesen Begriff als aktiven Prozess der Dekolonialisierung für mich selbst zu nutzen. Im deutschen Kontext positioniere ich mich als queere Person of Colour, auf jeden Fall auch als mannisierte Person und als Kind aus der Arbeiterklasse.

Sina: Asiatisch-Deutsche, so bezeichne ich mich seit etwas zwei Jahren. Anfangs war das für mich schwierig und irritierend, da kämpfte ich mit mir selbst, als ich mich mit hybdriden Identitäten beschäftigte. Dann habe ich das Buch «Asiatische Deutsche» von Kien Nghi Ha gelesen und diese passende Selbstbezeichnung für mich gefunden. Ich identifiziere mich auch als queer und benutze kein Pronomen. Ich würde mich außerdem als akademisiert bezeichnen, habe aber mit akademischen Strukturen zu kämpfen.

Welche Fremdrepräsentation von asiatischen Menschen herrscht in Deutschland?

Sina: Es gibt viele koloniale Narrative, in denen Menschen als koloniale Subjekte wahrgenommen werden. Es gibt bestimmte Arten, wie Geschichten immer wieder erzählt und Personen immer wieder auf die gleiche Art und Weise dargestellt werden. Sagen wir, bei Menschen, die als asiatische Frauen gelesen werden, – später können wir auch noch darüber reden, was genau asiatisch bedeuten soll - findet häufig eine Hypersexualisierung statt. Die asiatische Frau wird als sehr feminin und unterwürfig dargestellt, besonders im Bezug zum weißen Mann. Dann gibt es diese Geschichten wie «Madame Butterfly» oder «Miss Saigon», wir finden das sogar ein bisschen bei Harry Potter. Das reicht sehr weit in die heutige Pop-Kultur und bestimmt immer noch, wie bestimmte Menschen gesehen werden. Beim TedTalk von Chimamanda Ngozi Adichie zu «A Single Story» wird sehr gut erklärt, dass Leute sich gar nicht andere Lebensrealitäten vorstellen können, weil immer wieder auf die gleichen Geschichten zurückgegriffen wird. Da sehen wir wieder das Problem von Repräsentation: Wer darf berichten und wem wird zugehört? Und wer wird damit unsichtbar gemacht?

Cuso: Ich würde noch auf asiatisch markierte Männlichkeiten eingehen, die sehr unterschiedlich sind. Braun-asiatische Männlichkeiten existieren quasi gar nicht, die werden noch nicht einmal fremdrepräsentiert, vor allem im deutschen Kontext. In den USA findet man oft das Bild von Männern, die ihre sexuellen Triebe nicht unter Kontrolle hätten und sehr animalisiert werden. Auf der anderen Seite finden wir diese Demaskulinisierung besonders bei ostasiatisch gelesenen Personen. Sie werden als sehr wenig männlich dargestellt, als ganz klein und schwach, oder auch als lustige, gruselige, übergriffige Witzfigur.

Thao: Das ist interessant. Ich nehme häufig wahr, dass es einerseits dieses stark exotisierende Bild gibt und andererseits einfach gar kein vorherrschendes Bild, besonders in Deutschland. Asiat*innen werden entweder unsichtbar gemacht oder nur als die überaus «erfolgreichen und fleißigen» Asiat*innen gesehen, deshalb «mögen wir sie». So werden insbesondere Ostasiat*innen als Vorzeige-Migrant*innen innerhalb deutscher Integrationsdiskurse instrumentalisiert.

Wie ist eure Meinung zu dieser Idee von Vorzeige-Migrant*innen, auch «Model Minority» genannt?

Sina: Das ist ein Konzept, das wie viele Konzepte durch US-amerikanische Populärliteratur mit nach Deutschland gekommen ist. Die Kontexte sind oft sehr unterschiedlich, was zum Beispiel das US-amerikanische Bild von «Rich Asians» angeht. Ich habe eher das Gefühl, Asiat*innen leiden in Deutschland finanziell viel mehr, sind oft viel stärker prekarisiert. Diese unterschiedliche Stereotype bringen Spaltungen mit sich, bezogen auf die Solidarität und Zusammenarbeit unter Personen of Colour, und haben gleichzeitig den Effekt, Asiat*innen stummzuschalten. Kämpfe und Rassismuserfahrungen werden dann gar nicht erst gesehen. Zusätzlich greift hier ein Anders-Machen von Gruppen. Ich sehe das selbst viel in der Generation meiner Eltern, dass Leute diese Mechanismen internalisieren und meinen: «Wir sind ja die guten Migranten.» Damit findet eine Abgrenzung nach oben statt. Es muss aber klar sein, dass du zwar in einem Moment Vorzeige-Migrant*in bist, im nächsten Moment allerdings wieder «zu dreckig, zu laut, zu ungepflegt.»

Cuso: Ich glaube, Model Minority ist ein hegemoniales Konzept und stammt vor allem aus einer weißen Dominanzgesellschaft, die denkt: «Asiat*innen sind leise und assimilieren sich gut». Das ist nicht unser Narrativ. Wenn wir Rassismus ansprechen, ist es ganz wichtig darauf hinzuweisen, dass auch positive Rassismen Teil von Rassismus sind - ohne die funktioniert auch abwertender Rassismus nicht.

Wir haben nun viel über asiatische Stereotype gesprochen. Jetzt können wir auch die Begriffe «asiatisch» oder «asiatisch-deutsch» diskutieren. Was bedeutet das überhaupt, wer ist damit inkludiert? Gibt es so etwas wie eine «asiatische Identität» oder eine «pan-asiatische Identität»?

Sina: «Asiatisch» als zusammenfassende Kategorie ist zunächst kolonial und problematisch konnotiert, dadurch entstehen aber wiederum postkoloniale Erfahrungen. Durch diese Bezeichnung gibt es Möglichkeiten für Solidarität, Austausch und Vernetzung, die über diese Fremdzuschreibung hinausgehen. Aber wir müssen gleichzeitig aufpassen, wer mit diesem Begriff unsichtbar gemacht wird, weil es so vielfältige Unterschiede gibt.

Cuso: Ich glaube, eine pan-asiatische Identität gibt es nicht. Dass ich mich als asiatisch sehe, ist vor allem eine Zuschreibung von außen und jetzt brauche ich die, um Bündnisse zu schließen, handlungsfähig zu werden und Leute zu mobilisieren. Besonders mit dem Podcast können wir mit diesen Kategorien arbeiten und kollektive Erfahrungen aktivieren, das ist eine Stärke. Aber es gibt keine Essenz von Asiatisch-Sein, wir konstruieren sie. Ohne diesen Mechanismus würde es das in dieser Form auch gar nicht geben. Es ist eine Waffe – nicht, wer ich bin.

Euer Podcast ist eine Form des Widerstandes. Wie kann Widerstand gegen weiß-deutsche dominante Diskurse über das eigene "Asiatisch-Sein" noch aussehen?

Sina: Ich glaube, ich möchte gar nicht festlegen, wie Widerstand aussehen kann. Menschen sind individuell unterschiedlich. Ich möchte das eine gar nicht als widerständig einordnen und das andere nicht, weil ich nicht möchte, dass es nur eine Kategorie gibt.

Cuso: Widerstand kann alles sein, wenn sich Menschen bewusst sind, dass Ungerechtigkeit und Chancenungleichheit existieren, insbesondere wenn es um Race geht. Dieses Bewusstsein ist die Grundlage für Widerstand und kann sich unterschiedlich ausdrücken: Ein Kommentar nicht einfach so stehen zu lassen oder aber auch sich zurückzuziehen und sich um sich selbst zu kümmern. Dieses Gefühl tragen besonders People of Colour in sich. Von außen wird einem nämlich eingeredet, dass das alles mit einem selbst zu tun hätte – der widerständige Akt ist dann, diesem internalisierten Rassismus etwas entgegenzusetzen und nicht zu ignorieren.

Sina: Widerstand bedeutet auch, einfach man selbst sein zu können, und nicht dem weißen Dominanzbedürfnis «wie du sein sollst» nachzugehen.

Wie erklärt ihr euch diese Gratwanderung zwischen erschöpfendem Aktivismus, der gleichzeitig Ermächtigung bedeutet und der Notwendigkeit, sich um sich selbst zu kümmern?

Sina: Wichtig für unsere Arbeit ist, dass wir ressourcenorientiert arbeiten. In den letzten Folgen unseres Podcasts wird deutlich, dass wir das selbst manchmal nicht so gut hinbekommen. Wenn wir nicht auf uns selbst Acht geben, dann kommen wir an einen Punkt, an dem wir nicht mehr handlungsfähig sind.

Cuso: Für mich ist auch noch wichtig, anzusprechen, dass dieser Akt aus dem Kontext radikaler, Schwarzer, lesbischer Feminist*innen aus den USA stammt und vor etwa vierzig Jahren als politisches Konzept namens «Self Care» vorgestellt wurde. Das ist ein Akt politischen Widerstands, eine Organisationsform in einem System, was uns versucht, fertig zu machen - also passen wir gegenseitig auf uns auf. Self Care ist die Grundlage für nachhaltigen Aktivismus.

Die im vergangenen Jahr von Vicky Truong organisierten Veranstaltungen «I Am Not A Fortune Cookie» und «We Are Not Same Same» in Berlin haben eine große Bandbreite an Menschen angesprochen. Ihr wart auch Teil der Veranstaltung «We are Not Same Same». Inwiefern geben euch solche Community-Veranstaltungen Inspirationen für weitere Formen von Selbstpräsentation?

Sina: Für mich war das sehr ermächtigend und schön. Alle haben sich gegenseitig unterstützt und eine unausgesprochene Ebene miteinander geteilt, trotz Diversität innerhalb der so genannten Community – das hat ein starkes Gemeinschaftsgefühl hervor gebracht.

Cuso: All das, was wir besprochen haben, wurde in diesem Event materiell und greifbar. Das, was wir auf der Online-Ebene in virtuellen Räumen versuchen zu machen, wurde dort mit viel Aufwand und Liebe in einem realen Raum manifestiert.

Wie können wir Unterstützung zeigen?

Cuso: Der erste Schritt ist, die eigene politische Position zu reflektieren und sich bewusst machen, wann man selbst von Ungleichheiten profitiert. Wenn ich beispielsweise auf den Philippinen bin, profitiere ich von Colorism – Diskriminierung aufgrund des Hauttons -  und muss einen Modus finden, mit dieser anderen sozialen Stellung umzugehen. Es ist auch wichtig, zu reflektieren, auf welche Wissensressourcen man zurückgreifen kann, ob man zum Beispiel akademische Sprache verwendet oder welche finanziellen Möglichkeiten offen stehen. Diese Privilegien und Chancen habe mich mir durch einen sozialen Aufstieg erkämpft und jetzt muss ich mich bewusst mit ihnen auseinandersetzen.

Sina: Außerdem sind finanzielle Mittel das Fundament für nachhaltigen Aktivismus, für Ideen, die man umsetzen möchte. Wichtig ist, dass es diese Mittel gibt, damit wir weitermachen können und aus finanziellen Ängsten rauskommen.

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