Erfreulicherweise widmet sich das neue JahrBuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung auch der US-amerikanischen Arbeiterbewegungsgeschichte, deren historische Erforschung in den europäischen Ländern noch ein stiefmütterliches Dasein führt. Zu den wenigen Ausnahmen gehört der Historiker Philipp Reick von der FU Berlin, dem es ein wichtiges Anliegen ist, hier Abhilfe zu schaffen. In der Rubrik „Information“ vermittelt er einen Überblick über die amerikanische Archivlandschaft zur Geschichte der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung der USA. Außerdem vergleicht er in einer Studie die Erwerbslosenpro-teste in Berlin und New York während der Weltwirtschaftskrise in den frühen 1930er-Jahren. Sehr deutlich werde, dass der Widerstand in beiden Großstadtmetropolen dann erfolgreich war, wenn er als unmittelbare oder flankierende Aktion die lokalen Verwaltungsbehörden adressierte, da jene untere Ebene aufgrund ihres verwaltungsrechtlichen Aufbaues anfällig für Formen des direkten, außerparlamentarischen Widerstandes war. In einer weiteren Studie untersucht Alexandre Froidevaux, wie unterschiedlich die verschiedenen Strömungen der spanischen Arbeiterbewegung an die Revolution und an den Spanischen Bürgerkrieg von 1936 bis 1939 in den darauffolgenden Jahrzehnten erinnerten und sie verarbeiteten. Zwei weitere Beiträge beleuchten wiederum Aspekte aus dem Problemkreis zum Ersten Weltkrieg. Jens Ebert weist nach, das die proletarischen Feldpostbriefe im Gegensatz zu den „offiziellen“ Feldpostbriefen die Wirklichkeit des imperialistischen Krieges widerspiegelten und deshalb in den Sammlungen und Publikationen während der Kriegszeit und in den Jahrzehnten danach kaum beachtet wurden. Heinz Niemann analysiert die Debatte um Kriegsursachen und Kriegs-schuld in der deutschen Sozialdemokratie zwischen 1914 und 1924. Deren Selbstverständnis, die eigentliche Staatspartei der Weimarer Republik gewesen zu sein, habe die weitgehende Leugnung der besonderen aggressiven Rolle und Verantwortung Deutschlands für das Völkermorden und für die eigene Mitverantwortung impliziert. Weiterhin enthält das inhaltsreiche JahrBuch einen Diskussionsbeitrag von Michael Brie über das ungelöste Jahrhundertproblem: die Demokratisierung der Wirtschaft, 2 bemerkenswerte biografische Skizzen über kaum bekannte jüdische Protagonisten (Kay Schweigmann-Greve über den Revolutionär und kritischen Intellektuellen Chaim Zhitlowsky; Mario Kessler über den Mitbegründer der Kommunistischen Partei Palästinas und Opfer Stalinschen Terrors Joseph Berger), den Bericht von Jürgen Hofmann über die 50. Tagung der ITH sowie zahlreiche Buchbesprechungen.
Rainer Holze
JahrBuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung 2015/I, 205 S. Postadresse der Redaktion: Weydingerstr. 14-16, D-10178 Berlin. Email-Adresse: Redaktion(ädd)arbeiterbewegung-jahrbuch.de.
Rainer Holze ist Redakteur der Mitteilungen des "Förderkreises Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung".