Nachricht | Staat / Demokratie - Parteien / Wahlanalysen - Afrika - Südliches Afrika Südafrika hat gewählt: Stabile Seitenlage für den ANC

Eine erste Einschätzung von Jörn Jan Leidecker

Information

Wahlplakate des ANC, der EFF und der DA (Rechte: Graham Robert Pote)

Am 8. Mai 2019 hat Südafrika ein neues Parlament und parlamentarische Versammlungen in den neun Provinzen des Landes gewählt. 26,7 Millionen Südafrikaner*innen hatten sich zur Stimmabgabe registrieren lassen. Über 22.000 Wahllokale waren für die sechsten freien Wahlen seit dem Ende der Apartheid geöffnet.

Da Meinungsumfragen für Südafrika notorisch unzuverlässig sind – es gibt auch keine Wahltagsbefragungen (Exit Polls) – gab es weder eine gesicherte Prognose, noch können bis zum aktuellen Zeitpunkt einige der wichtigsten Fragen sicher beantwortet werden. Würde der African National Congress (ANC) erstmals unter 60 Prozent fallen und wenn ja, würde der erst seit einem Jahr amtierende Präsident Cyril Ramaphosa das bisher schlechteste Ergebnis, 54 Prozent bei den Kommunalwahlen 2016, unter- oder überbieten? Würde die Democratic Alliance (DA) in der Lage sein, mit deutlichem Abstand zweitstärkste Partei zu bleiben und dem ANC Stimmen abzunehmen? Und wie würden die Economic Freedom Fighter (EFF) abschneiden? Während auf der nationalen Ebene eine Mehrheit des ANC sicher ist, würde es der Opposition gelingen, neben dem Western Cape eine oder weitere Provinzparlamente zu übernehmen?

Auch wenn aktuell (Stand Freitag, 10.5.19, 13:00 Uhr) noch nicht alle Fragen final beantwortet werden können, sind zumindest einige wesentliche Trends bereits erkennbar:

  • Der ANC wird mit einem Ergebnis von etwa 57 Prozent deutlich stärkste politische Kraft mit einer klaren Mehrheit im Parlament. Er wird jedoch etwa fünf Prozentpunkte abgeben. Eine eigene verfassungsändernde Mehrheit ist damit nicht mehr gegeben. Die Verluste sind jedoch in einem Rahmen geblieben, der die innerparteiliche Unterstützung für Präsident Ramaphosa nicht gefährden wird. Im Wesentlichen verliert der ANC an die EFF, vor allem aber an die Nichtwähler*innen. Besonders stark sind die Verluste in der Provinz KwaZulu-Natal, der Hochburg des ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma, welcher durch Ramaphosa aus dem Amt verdrängt wurde.
  • Die DA erleidet leichte Stimmenverluste und wird mit knapp über 20 Prozent zweitstärkste Kraft. Es gelingt der DA trotz Verlusten die Mehrheit in der Provinz Western Cape zu halten. In Johannesburg  und Pretoria, wo die DA seit 2016 auf kommunaler Ebene Koalitionen führt, erleidet die DA zum Teil deutliche Verluste an den ANC.
  • Die EFF  gewinnen etwa 3,5 Prozentpunkte hinzu und etabliert sich mit etwa 10 Prozent als drittstärkste nationale Partei. In einigen Provinzen, insbesondere in KwaZulu-Natal und Gauteng sind sie der Hauptgewinner der Wahl. Trotz allem halten sich die Gewinne in Grenzen, einige Prognosen gingen von deutlich höheren Zuwächsen aus.
  • Von den vielen zur Wahl angetretenen kleineren Parteien gelingt es nur der in KwaZulu-Natal traditionell starken Inkatha Freedom Party (IFP) und der Freedom Front Plus (FF+), einer rechts-konservativen Partei, die im Wesentlichen weiße Wähler*innen im ländlichen Raum anspricht, signifikante Zugewinne zu erzielen. Beide Parteien könnten mit 2 bis 4 Sitzen im Parlament vertreten sein. FF+ gelang es teilweise, der DA Stimmen aus dem weißen Wählerblock abzunehmen.
  • Auf der Ebene der Provinzen gibt es zwar Verschiebungen, aber in acht von neun Provinzen bleiben die bestehenden Mehrheiten erhalten. Spannend bleibt das Ergebnis in Gauteng, der wirtschaftlich wichtigsten Provinz rund um die Metropole  Johannesburg: Hier liegt der ANC nach etwa der Hälfte der ausgezählten Wahllokale bei knapp unter 50 Prozent. Da er im Parteiensystem keine Bündnispartner hat, könnte nach dem Vorbild der Städte Johannesburg und Pretoria eine Anti-ANC-Koalition mit EFF Tolerierung gebildet werden. Dies hatte die EFF im Vorfeld als ein strategisches Ziel ausgegeben.
  • Als ein neuer Trend zeigt sich außerdem, dass Wähler*innen ihre Stimmen auf nationaler und Provinzebene auf unterschiedliche Parteien verteilen. Bewegt sich der ANC bei den Provinzwahlen in Gauteng wie beschrieben um die 50 Prozent Marke, liegt er bei den Wahlen zum nationalen Parlament in Gauteng deutlich weiter vorne.

Zusammengefasst etabliert sich in Südafrika mit dieser Wahl ein Drei-Parteien–System, welches der ANC  weiterhin als unangefochtene Mehrheitspartei dominiert. Mit einer Wahlbeteiligung von 65 Prozent und einer hohen Zahl, von vor allem jungen, nicht-registrierten Wähler*innen, nimmt die Beteiligung am politischen Prozess jedoch deutlich weiter ab.

Inhaltlich wird nun entscheidend sein, wie es Präsident Ramaphosa gelingt die unterschiedlichen Flügel und Regionen innerhalb des ANC in die Bildung der Regierung einzubeziehen und wie die juristische Aufarbeitung der Ära Zuma vorangeht. Ramaphosa selbst hat das schwächere Ergebnis des ANC mit der Korruption erklärt. Hochrangigen ANC-Führern drohen nach der Wahl Strafverfahren. Politisch stehen durch den katastrophalen Zustand der staatlichen Unternehmen Auseinandersetzung um die Teilprivatisierung dieser an, von denen insbesondere der staatliche Energieversorger ESKOM das Land an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gebracht hat. Eine Landreform ist zumindest angekündigt.

Offen ist weiterhin die Frage, ob die populistische und autoritär geführte EFF als eine linke politische Kraft einzuordnen ist. Unbestreitbar ist, dass sich im EFF wesentliche Teile des Protestpotentials, auch aus sozialen Bewegungen und der Studierendenbewegung, organisieren. Das uniformierte und aggressive Auftreten und die Verachtung für die demokratischen Institutionen lassen an einem demokratisch-sozialistischen Charakter des EFF Zweifel aufkommen; weniger jedoch an der Fähigkeit, offensiv die soziale Frage deutlich ins Zentrum der politischen Auseinandersetzung zu stellen.

Andere linke Kräfte sind bei dieser Wahl krachend gescheitert: das Parteiprojekt der Metallarbeitergewerkschaft NUMSA, die „Socialist Revolutionary Workers Party“ kann mit etwa 20.000 Stimmen landesweit nur als Fehlschlag bezeichnet werden. Es rächt sich immer noch, dass die linken Kräfte im ANC mit Zuma zu lange eine nun vollständig diskreditierte Führungsfigur unterstützten. So steht Südafrika in den kommenden Jahren wohl weiterhin in einer Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Flügeln einer pro-kapitalistischen neoliberalen Elite – und ohne eine echte emanzipatorische Alternative im Parlament.

Jörn Jan Leidecker ist Büroleiter der RLS in Südafrika.