Nachricht | Div. (Hg.): 1968 im Sport. Eine historische Bilderreise; Hildesheim 2018

Als der Spitzensport politisch wurde

Walter Ulbricht und Erich Honecker lächelnd und händeschüttelnd mit breitkrempigen Sombreros auf dem Kopf – dieses seltsame Foto ist im Bildband «1968 im Sport» zu sehen. Die Hüte waren ein Mitbringsel des Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees der DDR, gefeiert wurde das erfolgreiche Abschneiden der DDR-SportlerInnen bei den Olympischen Spielen in Mexiko.

Heute werden verschiedene weltweite Strömungen, die seit Mitte der 60-er Jahre gegen überkommene politische, kulturelle und soziale Verhältnisse und Normen protestierten, unter dem Begriff der «68er-Bewegung» zusammengefasst. Bei der Rückschau spielt der vermeintlich unpolitische Sport meist eine untergeordnete Rolle.

Der Hildesheimer Arete Verlag hat mit einem Bildband einen schlaglichtartigen, kenntnisreichen Blick auf die wenig beachteten Umbrüche im Bereich der Leichtathletik-Stadien, Sporthallen, Fußballplätze, Rennstrecken und Boxarenen geworfen. Mit symbolträchtigen Fotos und kurzen, prägnanten Texten wird auf sportliche Eckpunkte des Ausnahmejahres eingegangen.

Die beiden US-amerikanischen 200-Meter-Läufer Tommie Smith und John Carlos demonstrierten im Oktober bei der Olympischen-Siegerehrung für die Black-Power-Bewegung. In langen schwarzen Strümpfen und hochgezogenen Trainingshosen standen sie auf dem Siegertreppchen, blickten starr nach unten und reckten ihre Faust, die in einem schwarzen Handschuh steckte, gen Himmel. Für ihren Protest wurden sie suspendiert und mussten das Olympische Dorf sofort verlassen.

Auch Arthur Ashe – der erste afroamerikanische Tennisspieler, der in ein US-Daviscup-Team berufen wurde und der erste schwarze Sieger eines Grand-Slam-Turnieres in Wimbledon – hatte Rassismus erlebt. Als Jugendlicher musste er auf öffentlichen Plätzen trainieren, weil ihn der örtliche Tennis-Club nicht aufnahm. Gemeinsam mit anderen gründete Ashe die erste Tennisspielergewerkschaft, bekämpfte das Apartheid-Regime in Südafrika und setzte sich für schwarze Jugendliche im weißen Tennissport ein.

Im Sommer hatte der Langstreckenläufer und mehrfache Goldmedaillengewinner Emil Zátopek das «Manifest der 2000 Worte», ein Reformpapier des Prager Frühlings, unterzeichnet. Als im August russische Panzer die tschechoslowakische Reformbewegung niederschlagen, gehört auch Zátopek zu den Demonstranten. Sein Engagement kostete ihn seine Arbeitsstelle und er muss sich anschließend mit Hilfsarbeiten durchschlagen.

Bob Beamon gelang mit der Weite von 8,90 Metern der Sprung seines Lebens. Der Weitsprung-Weltrekord konnte über zwei Jahrzehnte nicht überboten werden. Dick Fosbury revolutionierte die Hochsprungtechnik, indem er die Latte lässig und ästhetisch rückwärts überquerte. Bislang hatten sich die Hochspringer immer bäuchlings über die Latte gerollt.

In Europa wurden Johan Cruyff und George Best zu den ersten Popstars auf dem grünen Rasen, für deren Leben und Eskapaden sich auch Unterhaltungsmagazine interessierten. Boxer Muhammad Ali verkörperte mit seinem Widerstand gegen staatliche Autoritäten und den Vietnam-Krieg ähnliche Ziele wie die antiautoritäre Bewegung. Im Dezember 1968 musste Ali eine einwöchige Haftstrafe wegen Fahrens ohne gültigen Führerschein antreten.

Sieben Essays von Zeitzeugen und Sportwissenschaftlern und ein Ausblick auf die Folgejahre erweitern und runden die kurzweilige Zusammenstellung ab und belegen: Die Leitbilder und das Lebensgefühl der 68er haben deutliche Spuren auch im Leistungssport hinterlassen.

Kai Böhne

Christian Becker, Margret Beck und Brigitte Berendonk (Hg.): 1968 im Sport. Eine historische Bilderreise; Arete Verlag, Hildesheim 2018, 124 Seiten, 18 EUR