Nachricht | Soika, Hoffmann (Hrsg.): Die Künstler der Brücke im Nationalsozialismus; München 2019

"zu begrüßen, dass sich die offizielle Brücke-Forschung dem Thema stellt und es an prominenter Stelle präsentiert"

Information

Diese Publikation bietet viele neue Einsichten in das «Spätwerk» der (ehemaligen) «Brücke»-Maler und vor allem in ihr Handeln und ihre Handlungsspielräume während des Nationalsozialismus. Als aktiver Zusammenschluss hatte die «Brücke» ja nur von 1905 bis 1913 in Dresden und danach in Berlin existiert. Dann trennten sich die Wege der expressionistischen Maler im Streit.

Da Kirchner 1918 in die Schweiz verzog und 1938 Suizid verübte, Mueller bereits 1930 verstarb und Nolde als NS-Sympathisant extra zu betrachten ist, geht es in diesem gewohnt gut ausgestatteten Band vor allem um Heckel, Pechstein und Schmidt-Rottluff. Sie wurden bis 1945, dem Hauptuntersuchungszeitraum dieser Ausstellungspublikation auch nicht mehr als «Brücke»-Künstler adressiert und agierten auch nicht (mehr) als Gruppe.

Die einer chronologischen Struktur folgenden Texte zeigen, dass die Künstler nach 1933 noch ausstellen und verkaufen, und dass sie immer produzieren konnten, sofern sie Räume und Material hatten, und damit die allermeisten Behauptungen von Mal- oder Berufsverboten eher falsch sind. Bis 1937 hat der Expressionismus Gegner und Fürsprecher im NS-Apparat, viele Künstler hoffen auf Anerkennung, mussten dann aber einsehen, dass sie maximal eine Duldung erreichen konnten. Der Vorsatz, den Expressionismus als «deutsch» und «geistig» gegen den «französischen» Impressionismus aufzubauen, war gescheitert. Viele Autoren und Künstler dieser Zeit argumentierten arrogant, wenn nicht rassistisch, mit der angeblichen Überlegenheit deutscher «Kultur» über die «westliche» Zivilisation». Selbst Kirchner, der sich - dank seiner geografischen Position – am kritischsten äußern kann, und dies einige Male auch tut, schreibt im Mai 1933: «Ich bin weder Jude noch Socialdemokrat noch sonst politisch gewesen und habe auch sonst ein reines Gewissen». Dabei waren viele Expressionisten, vor allen anderen Pechstein, um 1918 Sympathisanten, wenn nicht Mitstreiter der Novemberrevolution (und etwa Mitglied im ´Arbeitsrat für Kunst`) gewesen.

Am 17. August 1934 unterzeichneten Heckel, Nolde, Ernst Barlach, Georg Kolbe, Mies van der Rohe und andere einen im «Völkischen Beobachter» publizierten «Aufruf der Kulturschaffenden», der unverblümt Hitler huldigt. Die mangelnde Distanz der genannten zum Nationalsozialismus ist ernüchternd, und es ist zu begrüßen, dass sich die offizielle Brücke-Forschung dem Thema nun stellt und es an prominenter Stelle präsentiert.

Der Band reicht bis in die Nachkriegszeit und erzählt von ersten Ausstellungen, von den Bemühungen der Kulturverwaltungen in Berlin und der SBZ und auch von denen der Künstler ihre Werke wiederzufinden und zusammenzutragen. Pechstein stirbt 1955, während Heckel 1949 noch eine Professur in Karlsruhe annimmt. Kunst ist nun (wieder?) ein Instrument der Volksbildung, die ästhetische Bildung vermitteln und popularisieren soll. Eine Vorstellung, die auch unter den Reformer_innen der Weimarer und selbst der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg verbreitet war und auf die viele Künstler ansprechbar waren. Aber ging es nicht auch einmal um die Unabhängigkeit und «Freiheit der Kunst», statt sich, egal in welchem politischen System, instrumentalisieren zu lassen?

In den 1950er Jahren wird «die Brücke» in Westdeutschland als Zusammenhang konstruiert, und 1967 schließlich das Brücke-Museum in Berlin eröffnet. Die expressionistischen Maler sind endgültig Bestandteil des Kanons, wenn nicht «Staatskünstler» geworden. Ob das ihr Ziel war, wäre eine spannende Frage, die hier offen bleiben soll.

Die Ausstellung ist noch bis 11. August 2019 im Brücke-Museum zu sehen.

Aya Soika, Meike Hoffmann (Hrsg.): Flucht in die Bilder? Die Künstler der Brücke im Nationalsozialismus; Hirmer Verlag, München 2019, 288 Seiten, 244 Abbildungen in Farbe, 45 EUR