Nachricht | International / Transnational - Europa Helsinki war nur eine Zwischenetappe

Konferenz zum Jubiläum der Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki

Aus Anlass des 40. Jahrestages der Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki trafen sich in Moskau auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Politiker, Wissenschaftler und Vertreter gesellschaftlicher Organisationen Russlands, Deutschlands und anderer Staaten zu einer zweitägigen Konferenz. Ehrengast war Walentin Falin (89), ehemaliger Botschafter der UdSSR in der Bundesrepublik.

Vor den rund 100 Teilnehmenden bezeichnete Tiina Fahrni (Leiterin des Moskauer Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung) als besonders wichtiges Ziel der Veranstaltung, gerade in dem gegenwärtig durch den Ukraine-Konflikt belasteten Verhältnis zwischen dem Westen und Russland im Sinne einer «Diplomatie des Volkes» Möglichkeiten für die Rückkehr zu einem vertrauensvollen Miteinander, wie es die Schlussakte von Helsinki vorsieht, aufzuzeigen.

Der Mitorganisator der Konferenz, Rainer Braun, Co-Präsident des Internationalen Friedensbüros (IPB) machte deutlich, dass nie vergessen werden dürfe, wie viel die Sowjetunion unter gewaltigen Opfern für die Befreiung Deutschlands vom Faschismus geleistet habe, auch wenn es Versuche gebe, diese historische Tat herunterzuspielen. Das IPB, das bereits 1910 mit dem Friedens-Nobelpreis ausgezeichnet worden war, setze sich dafür ein, den ins Stocken geratenen Entspannungsprozess durch Abrüstung unumkehrbar zu machen, so dass die jährlich für Waffen vergeudeten rund 1,8 Billionen Dollar für das Wohl der Kinder, für Bildung und Gesundheitsfürsorge zur Verfügung gestellt werden können. Für die Bekräftigung dieses Anliegen sei die Konferenz eine öffentlichkeitswirksame Tribüne.

Der Direktor des Europa-Institutes bei der Russischen Akademie der Wissenschaften (RAN), Alexey Gromyko, Enkel des ehemaligen sowjetischen Außenministers, unterstrich, dass das Ziel der Konferenz nicht nur die Würdigung eines Jahrestages sei, sondern heute wie damals dieselben Fragen auf der Tagesordnung stehen. «Wenn noch im Jahre 2015 eine Konferenz den Titel trägt ‘In welchem Europa leben wir?’, dann bedeutet das, dass die Schlussakte von Helsinki eigentlich nur eine Zwischenetappe kennzeichnete.» Er schlug den Bogen vom Westfälischen Frieden über den Wiener Kongress vor 200 Jahren, die Konferenzen von Jalta und Potsdam vor 70 Jahren, die KSZE bis zur zweiten Minsker Vereinbarung und fasste zusammen: «Das alles sind Steine für den Bau eines sicheren europäischen Hauses.»

Die Altmeister der Entspannungspolitik mahnen

In einer Video-Botschaft an die Teilnehmenden der Konferenz erinnerte Egon Bahr (93), Architekt der «neuen Ostpolitik» von Willy Brandt, daran, dass das Treffen des damaligen Bundeskanzlers und des sowjetischen Partei- und Staatsführers Leonid Breschnew im September 1971 auf der Krim ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zum Erfolg der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa war. «Damals verständigten sich die Beiden auf eine Formel zur konventionellen Abrüstung, in der Überzeugung, dass dies im Interesse aller ihrer Bündnispartner war.» Allerdings sei die Einigung, die zu der Schlussakte von Helsinki geführt habe, ohne eine Abstimmung zu diesem Thema zwischen beiden Großmächten, die über strategische Atomwaffen verfügen, nicht möglich gewesen. Daran habe sich bis heute nichts geändert, unterstrich Bahr seine Sicht auf die Rolle Russlands in der Welt. «Russland ist und bleibt unser Nachbar in Europa, mit dem wir in jedem Fall auf verschiedene Weise zusammenarbeiten müssen, wollen und werden, auch wenn das im Einzelfall den USA nicht gefällt», sagte Bahr. Sein Gesprächs- und Verhandlungspartner über Jahrzehnte, Valentin Falin, verwies auf seine Erfahrung, wonach die USA immer dann zu Vereinbarungen bereit waren, wenn sie auf anderem Wege, auch auf militärischem, ihre Ziele nicht durchsetzen konnten. Der Helsinki-Prozess habe aus diesem Grund die Chance geboten, in Europa einen großen Schritt in Richtung eines dauerhaften Friedens zu tun. Allerdings habe es seither immer wieder Bestrebungen der USA gegeben die Kontrolle über die Entwicklung auf der Welt zu erreichen. Der Zerfall der Sowjetunion und die politischen Veränderungen in Osteuropa haben die geostrategischen Verhältnisse in Europa grundlegend verändert. Da Deutschland nun mit einer Stimme spreche, sei ein konstruktiver Dialog mit Russland für den gesamten Kontinent von großer Bedeutung.

Der Zeigefinger ist nicht besser als der Mittelfinger

Egon Bahr und Valentin Falin seien Mitbegründer der neuen Sicherheitsstruktur gewesen, die im Abschlussdokument von Helsinki fixiert wurde und dass auch die Unterschriften von Helmut Schmidt und Erich Honecker trägt, hob der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Partei ‘Die Linke’ im Bundestag, Wolfgang Gehrcke, hervor. Damals seien wichtige Voraussetzungen geschaffen wurden, um «die Androhung der Gewalt durch die Androhung von Frieden» zu ersetzen. Heute sei jedoch der Kalte Krieg wieder traurige Realität. Und als habe man nichts aus der eigenen Geschichte gelernt, erhebe die deutsche Regierung schulmeisterlich den Zeigefinger gegenüber Russland und auch Griechenland, versuche sogar, ökonomische Gewalt auszuüben. «Dabei hätten Deutschland und Russland genügend gemeinsame Aufgaben zu lösen», meinte der Linken-Politiker. Wenn die europäischen Regierungen nicht souverän genug seien, um dem Druck der USA standzuhalten, müssten die Bevölkerungen dieser Länder, wie sie es in der Vergangenheit immer wieder getan haben, ihrerseits Druck auf ihre Führungen machen, um Frieden und Verständigung durchzusetzen. In diesem Zusammenhang regte er eine Weltfriedenskonferenz an.

Auf die Rolle der Medien in den gegenwärtigen Spannungen zwischen Ost und West ging die Journalistin und einstige Kandidatin der Linken für das Amt des Bundespräsidenten, Luc Jochimsen, ein und kritisierte die oft unausgewogene Berichterstattung über Russland und den Ukraine-Konflikt sowohl in der privat geführten, wie auch in den öffentlich-rechtlichen Medien. Die Gründe dafür sieht sie in diesem Zusammenhang zum einen in fehlender Kenntnis von Tatsachen und Zusammenhängen, aber auch in vorgegebenen Tendenzen und vermeintlichen marktpolitischen Zwängen. «Die Darstellung von Gewalt und Schrecken verkauft sich besser und könnte auch der eigenen Karriere förderlicher sein, als langweiliger Frieden», meinte sie.

In speziellen Diskussionsrunden und Arbeitsgruppen wurden auf der Konferenz neben dem Leitthema Sicherheit und Abrüstung auch Fragen der Zusammenarbeit in der Kultur, der Bildung, der Umwelt, von Wissenschaft und Technik, des Tourismus besprochen.

Auf der Abschlussveranstaltung wurden die Eckpunkte eines Ergebnisdokuments erörtert, das in Kürze veröffentlicht werden soll. Auf die Frage von Pressevertretern nach einer möglichen Konferenz «Helsinki II», zeigte sich Rainer Braun, IPB, überzeugt, dass es eine Fortsetzung geben werde. «Es gibt heute hinsichtlich der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa immer noch und wieder Probleme, die nur gemeinsam gelöst werden können und die Übereinkunft von vor vierzig Jahren hat gezeigt, dass bei gutem Willen aller Beteiligten konstruktive Lösungen erreicht werden können.» Sehr gut könne er sich eine Fortsetzung der Moskauer Konferenz des IPB und der Rosa-Luxemburg-Stiftung im kommenden Jahr, möglicherweise in Berlin, vorstellen.

Abschließender Höhepunkt der Konferenz war eine Tanz-Performance des Ensembles «Chto delat`?» mit dem Titel «Leere Blätter», die verdeutlichen sollte, dass Worte wieder vom Papier gelöscht werden, auf dass sie geschrieben sind, wenn ihnen keine Taten folgen.

Hartmut Hübner/russland.RU

Der Text erschien zunächst unter Russland/ru.

Siehe dazu auch Interview mit Tiina Fahrni zur Konferenz und Interview mit Alexander Neu, Die Linke.