Nachricht | Afrika - Westafrika Malis Krise verstehen

Eine Diskussion sucht Antworten

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Knapp 50 Teilnehmer*innen kamen am 24. Juni 2019 zur Diskussionsrunde an die Universität Dakar, um mit Alex Thurston (Miami University of Ohio/USA), Bakary Sambe (Timbuktu Institute, Dakar/Senegal) und Ibrahim Ag Ibaltanat (Temedt, Bamako/Mali) die Lage im Nachbarland Mali zu diskutieren.

2012 kam es im Norden Malis zu einem bewaffneten Aufstand von Tuareg-Rebell*innen gegen die Zentralregierung in Bamako. Ziel der Rebellion war die Unabhängigkeit der Region AZAWAD. Diesem jüngsten Aufstand gingen andere Tuareg-Rebellionen in den 1960er und 1990er Jahren und zwischen 2007 und 2009 voraus. Beim Aufstand 2012 waren auch islamistische Gruppen involviert, die zunächst mit den Tuareg-Rebell*innen verbunden waren. Zu Beginn des Jahres 2013 verdrängten die verschiedenen islamistischen Terrorgruppen (Ansar Dine, AQMI etc.) die Tuareg-Rebell*innen der MNLA. Als dann die islamistischen Kämpfer*innen nach Süden vordrangen, stimmte der UN-Sicherheitsrat einer UN-Militärmission in Mali zu. Französischen und malischen Truppen gelang es, die islamistischen Kämpfer*innen zurückzudrängen und die besetzten Städte, wie Timbuktu, zu befreien. (Eine gute Analyse der Gründe für die Konfliktsituation in Mali ist von Chauzal/van Damme 2015).

Darüber hinaus kam es in den vergangenen zwei Jahren vor allem in Zentralmali zu bewaffneten Auseinandersetzungen. In dieser Region des Landes stehen sich verschiedene Gemeinschaften feindlich gegenüber. Unabhängigkeitsbestrebungen und islamistischer Terror spielen hier keine oder kaum eine Rolle. Wie im Norden des Landes herrscht aber auch in Zentralmali weitgehend Gesetzlosigkeit. Der malische Staat ist korrupt und zerrüttet, es fehlt ihm an gesellschaftlicher Verankerung. Dies gilt auch für die malische Armee, der immer wieder Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Angesichts dessen bildete sich in den lokalen Gemeinschaften eine Vielzahl von bewaffneten Gruppen, die ihre Verteidigung und ihre Interessen in die eigene Hand nehmen und durchaus mit islamistischen Gruppen in Kontakt sind. Letztere stellten sich immer wieder, so Bakary Sambe, als Verteidiger des Islam dar. Die Religion diene aber nur als Legitimations- und Mobilisierungsinstrument, im Kern gehe es um Zugang zu Land und Wasser. Neben Verbindungen zu internationalen islamistischen Gruppen gebe es auch Kontakte zur organisierten Kriminalität (Waffen- und Drogenschmuggel).

Auch für Alexander Thurston, der in einer Studie für die RLS und in einem Interview die Situation in Mali genauer analysierte, geht es bei den Auseinandersetzungen in Zentralmali, zwischen Angehörigen der nomadischen Peul und sesshaften Dogon, um einen Konflikt um knappe Ressourcen. Vor allem die Auswirkungen des Klimawandels erschwerten, so Thurston, für immer mehr Malier*innen den Zugang zu Land und Wasser. Dieser Konflikt um Ressourcen habe sich aber in den letzten Monaten zusehend ethnisiert. Für viele Menschen in Zentralmali gehe es deshalb heute um einen Konflikt zwischen Dogon und Peul.

Für Ibrahim Ag Ibaltanat, der 2014 den Unesco-Madanjeet Singh Preis für seine Arbeit zu Toleranz und Gewaltlosigkeit erhielt, liegt die Hauptverantwortung für die desolate Lage im Land beim malischen Staat. Die Menschen hätten aus guten Gründen kein Vertrauen in den Staat, doch ohne Staat bleibe ein dauerhafter Frieden aus, so Ibrahim Ag Ibaltanat. Es stelle sich deshalb die Frage nach der Staatsform. Dabei gehe es um die Forderungen der Tuareg nach Autonomie, der Zukunft des Zentralstaates, aber vor allem um die Natur des Staates. Die Krise des malischen Staates liegt laut Ag Ibaltana in seiner fehlenden gesellschaftlichen Verwurzelung, da der moderne Staat als Kolonialstaat der Gesellschaft fremd geblieben sei. Ibrahim Ag Ibaltanat fordert daher ein Nachdenken über Alternativen zum bisherigen Staat und sieht diese durchaus in der staatlichen Organisation Malis vor der Kolonialzeit.

In der Diskussion mit den zahlreich anwesenden Student*innen ging es schließlich auch um die internationale Dimension des Konflikts. Angesprochen wurde der Einfluss Frankreichs und der USA. Beide weigern sich bislang, mit den islamistischen Gruppen zu verhandeln. Thurston fordert einen solchen Dialog, auch wenn er sich selbst skeptisch zeigt, ob die islamistischen Gruppen zu einer friedlichen Beilegung des Konflikts bereit sind. Diskutiert wurde auch die Rolle Algeriens. Die dortigen Machthaber hätten vor allem ihre eigenen Sicherheitsinteressen, die Befriedung des Südens, im Blick, stünden aber einer kooperativen Vorgehensweise mit Mali und den anderen internationalen Akteuren reserviert gegenüber. Und auch die Rolle der UN-Mission MINUSMA wurde kritisch bewertet. Sambe sprach von einer Kriegsökonomie, die sich um die Mission gebildet habe. Der Nutzen der Mission sei immer weniger zu erkennen.

Abschließend waren sich alle weitgehend einig, dass eine Lösung der Krisen nur die Malier*innen selbst erreichen könnten, wie aber dieser eigene Weg aussehen könnte, müsse sich erst noch erweisen. Eine wesentliche Voraussetzung wäre aber eine Erneuerung der politischen Klasse in Bamako, die bislang auf sich warten lässt.