Nachricht | Autoritarismus Vom Bonapartismus zur Postdemokratie

Marx und Luxemburg, Gramsci und Crouch: Kurze Geschichte linker Krisendebatten.

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Die Antwort auf die Frage, wie es um die Demokratie bestellt ist, hängt von mindestens zwei weiteren Fragen ab: Was ist mit «Demokratie» gemeint und was hat das alles mit dem Kapitalismus zu tun?

Das Thema bewegt seit über 150 Jahren die linke Diskussion; sie greift dabei auch auf frühere Erklärungsansätze zurück. So sieht Micha Brumlik in Donald Trump einen Wiedergänger Louis Bonapartes und knüpft damit an die von Karl Marx 1852 in «Der achtzehnte Brumaire» formulierte Kritik an. Herbert Marcuse hat später von einer «vorbildlichen Analyse der plebiszitären Diktatur» gesprochen. Der «Bonapartismus», bisweilen auch «demokratischer Cäsarismus» genannt, zeichne sich dadurch aus, dass das Bürgertum als «herrschende Klasse» auf unmittelbare Regentschaft oder politische Repräsentation zugunsten einer autoritären Herrschaft verzichte, die sie begünstigt.

Auch der gegenwärtige Rechtsruck wird oft durch Führerpersönlichkeiten verkörpert, die auf Basis demokratischer Legitimation durch Wahlen einen antidemokratischen Umbau des Staates anstreben und sich dabei auf den Alleinvertretungsanspruch eines angeblichen «Volkswillens» berufen. Nicht selten wird das mit sozial klingenden Parolen verbunden, deren Problem aber nicht nur die nationalistische, ethnozentristische oder rassistische Ausschlusslogik ist, sondern auch, dass hier die private Aneignung des gesellschaftlich produzierten Reichtums in Wahrheit unangetastet bleibt.

Marx hat mit seiner Schrift schon die Frage nach der Dialektik von Demokratie und Kapitalismus aufgeworfen, eine Frage, die mit der Durchsetzung parlamentarisch-demokratischer Systeme nicht obsolet wurde, im Gegenteil: Inwieweit fallen soziale und politische Herrschaft auseinander, was bedeutet das für die Stellung der Linken gegenüber bürgerlichen Rechten und dem Parlamentarismus?

Der jüdische Staatsrechtler Hermann Heller hat in dieser «Trennung des politischen und ökonomischen Kommandos» in den 1930er Jahren den Ausgangspunkt des «für die gegenwärtige Situation der kapitalistischen Demokratie charakteristischen Spannungszustandes» gesehen. Der marxistische Rechtstheoretiker Franz Neumann verwies damals auf die Rolle der sich emanzipierenden Arbeiterklasse, die im Parlament immer stärker ihren Interessen Hebelwirkung verschaffen konnte, worauf «das Bürgertum seinen Glauben an die Herrschaft des Gesetzes» verwerfe, wie es in einem lesenswerten Überblick der Politikwissenschaftlerin Sonja Buckel heißt.

Auch August Thalheimer analysierte den Faschismus unter Rückgriff auf Marx’ Bonapartismustheorie, und er kam zu dem Schluss, die bürgerliche Demokratie als «den besten Kampfboden für den Sozialismus» gegen ihre Zerstörung zu verteidigen. Rosa Luxemburg hatte einige Jahre zuvor dafür argumentiert, die parlamentarischen Kämpfe nicht als die Zentralachse des politischen Lebens anzusehen, und noch auf die Überwindung der «bürgerlichen Demokratie» gesetzt. Anders argumentierte später Wolfgang Abendroth, der auf eine soziale Demokratie setzte, die das Auseinanderfallen des «politischen und ökonomischen Kommandos» überwindet.

Das waren Gedanken, die nach dem Zweiten Weltkrieg weithin populär waren. Doch im Prinzip bestand das alte Modell kapitalistischer Vergesellschaftung fort. Bei neuen ökonomischen Krisen wurde staatsinterventionistisch gegengesteuert, das aber ließ die Legitimationskrisen nicht kleiner werden.

Jürgen Habermas und Claus Offe setzten hier an und versuchten zu zeigen, dass das administrative System «gegenüber der limitierenden Willensbildung hinreichend autonom» geworden sei, sodass sich die Frage der Legitimation ganz neu stelle: An die Stelle der Partizipation trete eine inhaltlich diffuse Massenloyalität, die einen Passivbürger erzeuge, dessen Entpolitisierung durch «systemkonforme Entschädigung» befeuert werde – es werden sozusagen im Gegenzug Konsum, Karriere, Freizeit etc. geboten.

Eine wachsende Rolle in den Debatten gewannen auch die Arbeiten von Antonio Gramsci. Die Normalform der demokratischen Institutionen gerate ins Wanken, wenn die bürgerliche Hegemonie instabil werde – Ausnahmestaaten stellen dann gewissermaßen Antworten auf Krisen der Hegemonie dar. Auch Nicos Poulantzas und Bob Jessop haben sich mit diesen Krisen auseinandergesetzt. Da, wo ein autoritärer Etatismus als Reaktion in Stellung gebracht werde, werde einerseits «die Staatsmacht auf Kosten der liberalen repräsentativen Demokratie» gestärkt, so Jessop, andererseits die Fähigkeit zusätzlich geschwächt, ebendiese bürgerliche Hegemonie zu sichern.

In der neueren Zeit haben sich linke Debatten unter anderem um den von Colin Crouch formulierten Begriff der «Postdemokratie» gedreht, der demokratische Verfahren als entleert ansieht, ein bloßes Spektakel, hinter dem technokratische Eliten die eigentliche Macht ausüben. Auch die Dominanz der ökonomischen Imperative ist diskutiert worden, etwa von Wolfgang Streeck. Lukas Oberndorfer hat auf den Charakter von Entscheidungen etwa in der Finanzkrise – Austeritätsregeln, Fiskalpakt, die faktische Entmachtung der Regierung in Griechenland – hingewiesen, die Elemente formaler Demokratie aushebeln.

Eine lineare oder gar unabänderliche Entwicklung der Entdemokratisierung ist damit aber nicht behauptet. Immer wieder haben sich Menschen gegen autoritäre Zurichtungen, für soziale Demokratie und persönliche Freiheit eingesetzt – und waren damit erfolgreich. «Der Kapitalismus scheint sich selbst von der Demokratie zu trennen», heißt es in einem von Alex Demirović herausgegebenen kritischen Sammelband. Eine Antwort auf Gefährdungen der Demokratie bleibt aktuell: die Suche nach neuen, vertieften Formen der Beteiligung und Selbstbestimmung.
 

Zum Weiterlesen

  • Wolfgang Abendroth: Gesammelte Schriften, herausgegeben und eingeleitet von Michael Buckmiller, Joachim Perels und Uli Schöler, Hannover 2006 ff.
  • Martin Beck, Ingo Stützle (Hrsg.): Die neuen Bonapartisten. Mit Marx den Aufstieg von Trump & Co. verstehen, Berlin 2018
  • Lia Becker, Mario Candeias, Janek Niggemann und Anne Steckner: Gramsci lesen – Einstiege in die Gefängnishefte, Hamburg 2013
  • Sonja Buckel: Dialektik von Kapitalismus und Demokratie heute, in: Oliver Eberl und David Salomon (Hrsg.), Perspektiven sozialer Demokratie in der Postdemokratie, Staat – Souveränität – Nation, Wiesbaden 2017
  • Alex Demirović (Hrsg.): Transformation der Demokratie – demokratische Transformation, Münster 2016

Dieser Text ist zuerst erschienen in maldekstra #4, Juni 2019.