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Promotionskolleg der Stiftung fördert historische Forschungsprojekte

Die Geschichte linker Politik, zumal der Arbeiterbewegung, schien nach 1990 aus deutschen Universitätsseminaren zu verschwinden. Wer akademisch oder politisch Karriere machen wollte, wandte sich erbaulicheren Erfolgsgeschichten des Bürgertums oder des Adels zu.

Doch auch unter Linken nahm das Interesse an der Arbeitergeschichte spürbar ab: Hatten die Arbeiter nicht als geschichtsmächtige Klasse ausgedient, nachdem sich so viele von ihnen das einzige Mal im Leben politisch hervortaten, indem sie den DDR-Sozialismus hinwegdemonstrierten, um Helmut Kohl als ihren Erlöser zu feiern? Dass die Dinge nicht so einfach lagen und differenzierte Antworten nötig waren, sah nur eine Minderheit historisch und politisch Interessierter. Doch gehen Anstöße zum Nachdenken oft von Minderheiten aus. Wirksam werden können sie aber nur, wenn diese Minderheiten im demokratischen Meinungsbildungsprozess um die Mehrheit ringen. Unter jüngeren linken Historikerinnen und Historikern ist die Debatte über den Platz der klassischen Arbeiterbewegung und ihrer Fortentwicklung als Teil der modernen sozialen Bewegung in vollem Gang. Das neue Promotionskolleg der Rosa-Luxemburg-Stiftung möchte dazu beitragen, diese Debatte im akademischen Bereich zu verankern. Das Thema des Promotionskollegs ist programmatisch. Es geht um «Geschichte linker Politik in Deutschland jenseits von Sozialdemokratie und Parteikommunismus ». Die Historiographiegeschichte der Linken leidet noch immer daran, dass sie jahrzehntelang eingeklemmt war zwischen der Parteigeschichtsschreibung im Osten und einer zu wenig selbstkritischen sozialdemokratischen Hegemonialperspektive im Westen. Das Kolleg wendet sich auch deshalb verstärkt den Organisationen linker sozialer Bewegungen jenseits von Sozialdemokratie und Kommunismus zu. Schwerpunkte der Ausschreibung waren der Syndikalismus, Rätekommunismus und Trotzkismus der Zwischenkriegszeit, unorthodoxe Kommunisten in Westdeutschland bis 1990, die Neue Linke in der Bundesrepublik, linke Dissidenten in der DDR, Ost- und Ostmitteleuropa sowie die Linke nach dem Ende der DDR, einschließlich der PDS und der Wahlalternative Arbeit & Soziale Gerechtigkeit (WASG). Dabei stehen folgende Fragen im Zentrum: Welche Parteien und andere Institutionen dieser Art gab oder gibt es? Wer war oder ist in ihnen aktiv? Welche Traditionslinien greifen diese Akteure auf, und was unterscheidet sie von sozialdemokratischen und kommunistischen Traditionslinien? Welche Bündnisse gehen linke soziale Bewegungen mit Sozialdemokraten und Kommunisten, aber auch mit linksbürgerlichen Kräften, mit Gewerkschafts-, Genossenschafts- und neuen sozialen Bewegungen ein? Es wird Wert darauf gelegt, die deutschen Themen im transnationalen Kontext zu behandeln.

Bisher konnten drei Promotionsstipendien und das bislang erste und einzige Habilitationsstipendium vergeben werden. Das Habilitationsstipendium wurde an Ralf Hoffrogge verliehen, ehemaliger Promotionsstipendiat der Stiftung. Sein Projekt untersucht Krisendeutungen und -politik deutscher und britischer Gewerkschaften (siehe Interview). An der Universität Göttingen hat David Bebnowski die Arbeit an einer historisch-politikwissenschaftlichen Dissertation zum Thema «Die Neue Linke und die Theorie: Anziehungskraft und Niedergang politischer Ideen im Spiegel der Zeitschriften Prokla und Das Argument» aufgenommen. Die geplante Arbeit sucht durch die Analyse zweier wichtiger linker Publikationsorgane die Bedingungen, unter denen bestimmte Ideen ihre Attraktivität entfalten. Das Vorhaben wird ebenso durch ein Promotionsstipendium unterstützt wie zwei weitere Projekte: Sarah Langwald schreibt über Protestgruppen gegen staatliche Repression in der Bundesrepublik 1949 bis 1989, Richard Stoenescu fertigt eine vergleichende Studie über den Syndikalismus in Deutschland und den USA in der Zwischenkriegszeit an. Die Betreuung aller Arbeiten verantworten die Leiter des Kollegs, die Professoren Stefan Berger von der Ruhr- Universität Bochum und Mario Kessler von der Universität Potsdam.

Mario Kessler ist Vertrauensdozent der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Historiker an der Universität Potsdam.

Das Kolleg wird am 3. Juni mit einer Festveranstaltung am Institut für soziale Bewegungen / Haus der Geschichte des Ruhrgebiets (Ruhr-Universität Bochum eröffnet. Vor einer Diskussionsrunde der StipendiatInnen hält der Amsterdamer Professor Marcel von der Linden (IISG) einen Vortrag über den Anarchismus. (mehr)

Dieser Text erschien zuerst in RosaLux, Ausgabe 1/2015. RosaLux kann umsonst abonniert, oder als PDF heruntergeladen werden.