Nachricht | Cepl-Kaufmann: 1919 – Zeit der Utopien. Zur Topographie eines deutschen Jahrhundertjahres, Bielefeld 2018

Aufbruch, Esoterik und Sozialismus

Information

Cover des Buches (Ausriss), Copyright transcript-Verlag, Bielefeld, CC BY-ND 4.0

Mit 1918/19 beginnt, trotz der Fortexistenz der alten, reaktionären Eliten, ein langes Jahrzehnt des Aufbruchs und der Reformen. Ideen, die es schon vorher gibt, werden nun breiter diskutiert, oder umgesetzt. Die Literaturwissenschaftlerin Cepl-Kaufmann beschreibt in 17 Beiträgen Orte und Regionen Deutschlands, die stellvertretend für diese Prozesse stehen: Berlin, Breslau, Darmstadt, Dresden, Hannover, München, Rheinland, Weimar, Worpswede und einige andere. Die Aufzählung zeigt dass, es um die Orte geht, an denen sich «neue» Gedanken in Kunst und Kultur materialisieren und verdichten, wenn nicht in Praxis umsetzen.

Cepl-Kaufmann schreibt nun keine Sozial- oder Politikgeschichte, sondern will eine «Topografie» reformerischer Gedanken erstellen, indem sie die am jeweiligen Ort angesiedelten Akteur_innen und Querverbindungen ideeller und auch personeller Natur vorstellt: die Räterepublik und die einschlägigen Künstlergruppen, Esoterik und Sozialismus, Pädagogik und Industrie, Schwärmereien, Literat_innen und innovative Adlige. Der Adel war als Auftraggeber für Kunst seit Ende des 19. Jahrhunderts zusehends weggefallen und das durch die Industrialisierung entstandene Bürgertum tritt an seine Stelle, auch die beginnende Industriegesellschaft stellt an die Kunst und das Kunsthandwerk nun neue Anforderungen.

Die leichtfüßige Vorgehensweise der Autorin ist Vor- und Nachteil zugleich. So liest sich das Buch leicht und informativ. Jeder der Beiträge steht auch für sich. Gleichzeitig wirkt einiges auch sprunghaft und willkürlich (ausgewählt). Wer also eine soziologisch-materialistische Untersuchung der politischen und ökonomischen Verhältnisse dieser Periode erwartet, wird enttäuscht werden. Makro-Tendenzen, wie etwa die Republikgründung oder die Rätebewegung, werden zwar erwähnt, aber nicht weiter vertieft. Hingegen wird ungewohntes zusammengedacht und -bracht, auch transnational.

Ein Personenverzeichnis erleichtert die Nutzung des Buches.

Gertrude Cepl-Kaufmann: 1919 – Zeit der Utopien. Zur Topographie eines deutschen Jahrhundertjahres, transcript Verlag, Bielefeld 2018, 382 Seiten, 39,99 EUR