Inmitten einer extremen Hitzewelle mit Temperaturen bis zu 45°C kamen Schüler*innen, Jugendliche und andere engagierte Zivilist*innen zu verschiedenen Protestaktionen für mehr Klimagerechtigkeit zusammen. Fridays for Future – eine von jungen Menschen angeführte Bewegung, die von der 17-jährigen schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg ins Leben gerufen wurde – organisierten einen Protestmarsch in Aachen, an dem 40.000 Demonstrant*innen aus 17 Ländern teilnahmen. Dadurch wurde diese Demo quasi zum ersten internationalen Klimastreik. Einen Tag später unterstützten rund 6.000 Aktivist*innen die Bewegung Ende Gelände, indem sie das rheinländische Braunkohlerevier blockierten.
Parallel zu diesem eindringlichen Aufruf, das Überleben heutiger und zukünftiger Generationen zu sichern, trafen sich Regierungsvertreter*innen zur Klimakonferenz in Bonn. Bei den Zwischenverhandlungen (SB50) der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) ging es darum, eine Reihe ungeklärter Punkte zur Umsetzung des Pariser Abkommens auszuhandeln. Das Abkommen von 2015, das bis dato 185 Staaten ratifiziert haben, verpflichtet zu folgenden Punkten: (a) Maßnahmen zu ergreifen, die die Erderwärmung auf 1,5 °C begrenzen, (b) die Anpassungsfähigkeit der Länder an die Folgen des Klimawandels zu verbessern und (c) Ressourcen für die Umstellung auf klimaresiliente Entwicklungspfade bereitzustellen.
Das Ergebnis der knapp zweiwöchigen Verhandlungen könnte man als «vorsätzliche Ignoranz» bezeichnen – ein gewolltes und offensichtliches Ausblenden der empirischen Beweislage, da sie den Ansichten einiger Klimaverhandler*innen offensichtlich widerspricht. Betrachtet man die Ergebnisse der SB50 aus kritischer Distanz, scheint sich das Leugnen des Klimawandels auch innerhalb des wichtigsten klimapolitischen Forums zu verbreiten. Hier die Höhepunkte der Verhandlungen:
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Der Sonderbericht zum 1,5 °C-Ziel des Weltklimarats (IPCC) ist der «maßgebliche, wissenschaftliche Leitfaden für Regierungen» zum Umgang mit dem Klimawandel. Er berücksichtigt über 6.000 wissenschaftliche Referenzen, wurde von 91 Autor*innen aus 40 Ländern erstellt und nach einem ausführlichen Begutachtungsprozess veröffentlicht. Schlussendlich konnten sich die Staaten aber nicht darauf einigen, welche Rolle der Bericht in den Verhandlungen spielen soll. Vor allem Saudi-Arabien und die USA widersprachen den Ergebnissen und Methoden des Berichts. Angesichts der wirtschaftlichen Interessen beider Länder an der fossilen Brennstoffindustrie (insbesondere der Ölindustrie), wundert es nicht, dass die beiden weltweit größten Umweltverschmutzer Zweifel an der Glaubwürdigkeit und Dringlichkeit des Sonderberichts säen Kurz gesagt: Status und Macht von Ländern wie den USA und Saudi-Arabien beruhen auf dem ,buisiness as usual’ des fossilen Kapitalismus. Für beide Länder ist es in der Klimapolitik also eine wichtige Waffe, die Wissenschaft in Verruf zu bringen – und damit auch die allgemein bekannte Tatsache, dass es einen Systemwandel braucht, wenn Menschheit und Erde die drohende Klimaapokalypse überleben sollen.
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Bei dem 24. UN-Klimagipfel in Katowice erklärten sich die Regierungen dazu bereit, einen ab 2030 gültigen «gemeinsamen Zeitrahmen» für die Umsetzung ihrer national festgelegten Beiträge (NDCs) zu bestimmen. In Bonn konnte man sich allerdings nicht auf einen genauen Zeitrahmen einigen und scheiterte selbst daran, eine konkrete Frist für die Entscheidung festzulegen. Trotz der erhöhten Dringlichkeit nationale Klimaschutzpläne zu entwickeln, nutzte man diesen Punkt aus, um das Pariser Abkommen neu zu verhandeln. Die vorsätzliche Ignoranz zeigte sich auch verschärft darin, dass die NDCs größtenteils auf die Abmilderung von Klimafolgen abzielen, Industriestaaten aber trotzdem auf einen gemeinsamen Zeitrahmen zur Reduktion von Treibhausgas-Emissionen pochen, was letztlich dem UNFCCC-Prinzip «gemeinsamer, aber unterschiedlicher Verantwortung und Kompetenzen» widerspricht. Unberücksichtigt blieb dabei auch, dass die Aufforderung zur Ausweitung von Anpassungsmaßnahmen vor allem zulasten des globalen Südens geht, also jenen Ländern, die den Klimawandel am wenigsten verursacht haben.
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Die Finanzierung des Klimaschutzes war schon immer ein heikles Verhandlungsthema. Diesmal ging es dabei um folgende Aspekte: (a) die Einigung auf ein neues langfristiges Finanzierungsziel ab 2025; (b) die Wiederaufstockung des Green Climate Funds im Jahr 2019; (c) die Anpassung aller Zahlungsströme an eine CO2-arme und klimaresiliente Entwicklung. Es wird jedoch auch immer stärker darauf gedrängt, dass multilaterale Entwicklungsbanken eine größere Rolle in der Klimafinanzierung spielen. Zudem wird gefordert, den Privatsektor (sprich: Konzerne) durch Mischfinanzierungskonzepte einzubinden, d.h. öffentliche Gelder sollen als «Hebel» für private Investitionen in den Klimaschutz genutzt werden.
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Die zivilgesellschaftlich und von einigen Regierungen lancierte Forderung nach einer «Interessenkonflikts»-Regelung wurde mehrfach abgelehnt. Eine solche Regelung soll verhindern, dass die für den Klimawandel verantwortlichen Industrien unzulässigen Einfluss auf die Klimaverhandlungen nehmen. Derzeit verfolgt UNFCCC bei den Klimakonferenzen eine «Willkommenspolitik» gegenüber Vertreter*innen der fossilen Brennstoffindustrie. Ironischerweise konzentrierte die Diskussionen über mehr öffentliche Beteiligung sich darauf, wie man Privatunternehmen, die als angebliche Wegbereiter*innen für Klimalösungen gelten, an Bord holen kann.
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Es gab eine Einigung über die Kriterien zur Evaluierung des Internationalen Mechanismus für Verluste und Schäden (WIM) im Zusammenhang mit Auswirkungen des Klimawandels. Der 2013 in Warschau eingeführte Mechanismus soll auf extreme und langsam einsetzende Klimafolgen eingehen. Auf die Kriterien konnte man sich erst eine Stunde vor Verhandlungsende einigen, da Industriestaaten darauf beharrten, die Verantwortung für die Entschädigung von Gemeinden, die Verluste und Schäden erleiden, nicht übernehmen zu müssen.
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Uneinigkeit zwischen den Regierungen gab es auch über die langfristige Zusammenarbeit beim Klimaschutz. Vor allem entzweite man sich über «marktbasierte und nicht-marktbasierte Lösungen». Industriestaaten forderten mehr Flexibilität im Hinblick auf Marktinstrumente, was im Grunde auf CO2-Kompensation oder andere falsche Lösungen hinausläuft. «Entwicklungsländer» forderten derweil konkrete nicht-marktbasierte Maßnahmen, um die Auswirkungen des Klimawandels zu bewältigen, sowie Unterstützung beim Übergang zu einer CO2-armen Wirtschaft. Ob solche Mechanismen aber auch Garantien für den Schutz von Menschenrechten und für Nachhaltigkeit beinhalten, ist weiterhin unklar.
Doch das vielleicht wichtigste Indiz für die vorsätzliche Ignoranz ist die Tatsache, dass Großbritannien, Irland, Kanada und Frankreich allesamt einen Klimanotstand ausgerufen und sich dem Ziel verschrieben haben, bis 2050 CO2-Neutralität zu erreichen – während sie die fossile Brennstoffindustrie im In- und Ausland weiterhin mit Milliarden subventionieren. Kanada hat einen Tag nach Ausrufung des Klimanotstands sogar den Ausbau einer Pipeline bewilligt. Und vergessen wir nicht: Während der ersten Verhandlungswoche in Bonn scheiterte die EU beim Gipfeltreffen in Brüssel daran, sich über das Ziel der CO2-Neutralität bis 2050 zu einigen.
Gegen Ende der Bonner Zwischenkonferenz sprach der UN-Sonderberichterstatter für extreme Armut und Menschenrechte Philip Alston in einem beunruhigenden Statement davon, dass die Welt mehr und mehr auf eine «Klima-Apartheit» zusteuert. Alston warnte vor einer globalen Situation, in der nur die Reichen der Hitze und dem Hunger entkommen können, die durch eine eskalierende Klimakrise verursacht werden – und zwar einfach nur, weil sie die finanziellen Mittel dazu haben – während der Rest der Welt leiden muss.
In einem Monat mit höllisch heißen Temperaturen in ganz Europa – ein deutliches Warnsignal für die Klimakrise – lieferten viele Staatsoberhäupter Bekenntnisse zum Klimaschutz, die nichts als heiße Luft zu sein scheinen. Im Dezember wird in Santiago de Chile das 25. Jubiläum der Aufnahme der internationalen Klimaverhandlungen begangen. Die letzte Verhandlungsrunde in Bonn hat gezeigt, wie unempfänglich die internationale Klimadiplomatie für die Tatsache geworden ist, dass es dringend nötig ist, auf die Klimanotlage zu reagieren – und das wiederum befeuert die globale soziale Krise. Der Klimawandel fügt bestehender Ungerechtigkeit eine weitere Ebene hinzu und gefährdet weltweit die Menschenrechte. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die chilenische COP-Präsidentschaft den nötigen Neustart bringen wird, denn schon im Vorfeld heißt man den Wirtschaftssektor willkommen und kündigt freudig eine neoliberale Tagesordnung in Sachen Klimaschutz an.
All dies stellt einen eindeutigen Aufruf zum Handeln dar – soziale Bewegungen und Klimagerechtigkeits– Aktivist*innen weltweit müssen ihre Regierungen weiter unter Druck setzen und zwar sowohl im Rahmen der UNFCCC-Verhandlungen als auch außerhalb davon. Aus gediegenen Konferenzsälen ist schließlich noch nie ein echter Wandel hervorgegangen.