Nachricht | Hüttner / Leidenberger (Hg.): 100 Jahre Bauhaus; Berlin 2019

Lesenswert: Kritische Beiträge zu verschiedenen Aspekten

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100 Jahre Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts, 100 Jahre Frauenwahlrecht, 70 Jahre Grundgesetz, 50. Todestag von Theodor W. Adorno: Das Jahr 2019 bot eine Vielzahl an Gedenkmöglichkeiten für historische Ereignisse, die sich (auch) dem linken politischen Spektrum zuordnen lassen. Die 100. Wiederkehr des Gründungstages des Bauhaus bot Anlass für ein weiteres Jubiläum. Hierzu legten nun Bernd Hüttner und Georg Leidenberger ein Buch vor, das sich explizit kritisch mit diesem Jahrestag auseinandersetzen möchte, da «angesichts des Bauhaus-Rummels» (S. 9) bereits ausreichend verherrlichende Publikationen erschienen seien.

Riccardo Altieri ist Mitglied des Gesprächskreises Geschichte der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Von den 16 Beiträgen, die hier nicht im Einzelnen vorgestellt werden können, hebt besonders derjenige von Dina Comisarenco Mirkin (S. 38-50) einen vielfach vergessenen Aspekt der Bauhaus-Forschung in den Vordergrund, nämlich die Rolle der Frauen. Zwar wollte gerade Walter Gropius keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern machen, wie er in seiner Eröffnungsrede bekannte (S. 39), doch in einem Brief an die Studentin Annie Weil schrieb er dann im Februar 1921, dass es nicht ratsam sei, Frauen in den körperlich anstrengenden Workshops wie Zimmerei oder Schreinerei auszubilden (S. 40f.). Gerade Gropius wird im Band einer zurecht sehr kritischen Betrachtung unterzogen.

In Abgrenzung zu bekennend sozialistischen Kollegen wie Hannes Meyer stellte sich Gropius selbst gerne als «Vertreter der ›freien Welt‹» (S. 15) dar. Überhaupt hat Vieles von dem, wie man den bekanntesten Direktor des Bauhaus heute betrachtet, mit seiner Selbstdarstellung zu tun. Sicherlich kam in Erzählungen, die auf seine Eigenaussagen rekurrierten, nicht zwingend vor, dass Gropius selbst und Mies van der Rohe sich aus unterschiedlichen Gründen später durchaus mit den Nationalsozialisten zu arrangieren versuchten (S. 81). Diese unheilige Allianz gipfelte unter anderem in der Arbeit des Bauhaus-Absolventen Fritz Ertl, eines Schülers Wassily Kandinskys, der die Baracken von Auschwitz ›designed‹ hat. Heute ist bekannt, dass Ertl 1942 an Besprechungen zum Bau von Gaskammern und Krematorien beteiligt war – er wusste also genau, wofür er die roten Backsteinbauten entworfen hatte.[1] Kandinskys angeblich unpolitische Lehre am Bauhaus wird von Valerija Kuzema (S. 206-218) vorgestellt.

Mit der komplexen Situation des Bauhaus zwischen Anpassung, Schließung und Verfolgung in der NS-Zeit befasst sich Laura Rosengarten sehr fundiert (S. 73-86). Sie kommt zu dem Fazit, dass eine unkritische Haltung gegenüber der Rolle des Bauhaus zu einem einseitigen Geschichtsverständnis beitrüge, in dem der «Nationalsozialismus als unglückliche[r] Sonderfall aus der Geschichte Deutschlands» (S. 86) herausgelöst werde. Rosengartens Aufsatz sticht überhaupt im Sammelband besonders positiv hervor. Anschließend skizziert Lars Breuer, wie sich das Bauhaus im durchaus erfolgreichen Kulturkampf der Nationalsozialisten von 1926 bis 1932 über Wasser hielt (S. 87-101). Gegenwärtig zeigt die Neue Rechte auf diesem Feld wieder starke Ambitionen, woraus geschlossen werden könnte, dass sie an diese Erfolgsgeschichte der NS-Kulturpolitik am Ende der Weimarer Republik anknüpfen will. Dem gilt es von links wie auch von Staatsseite entschieden entgegenzutreten.

Dass das Bauhaus architektonisch wie innenarchitektonisch unerwartet transnationalen Erfolg hatte, zeigen die Beiträge von Luis Rodríguez Morales zum Bauhaus in Mexiko und von David Maulen de los Reyes für ganz Lateinamerika (S. 105-132). Der immense Einfluss des Bauhaus auf die Architektur der «weiße Stadt» in Tel Aviv, die mit ihren rund 4.000 Wohnhäusern im Bauhaus-Stil heute zum «Weltkulturerbe» der UNESCO zählt, wird im Sammelband nicht thematisiert.[2] Sie ist ein Produkt der Auflösung des Bauhaus durch die Nationalsozialisten sowie die anschließende Vertreibung und Emigration ihrer jüdischen Architekten nach Palästina.

Abschließend widmen sich Julia Meer, Florian Walzel, Leah Hsiao und Felicita Reuschling den Aktualitätsbezügen zu 100 Jahren Bauhaus. Gerade Reuschling sieht in Bauhaus-Konzepten wie dem 1930 von Gropius in Paris vorgestellten «Großhaushalt» oder in Lilly Reichs «Boardinghouse», einer Art zehnstöckigem Wohnhotel im Stil eines Luxusdampfers (S. 262), innovative Lösungsvorschläge für den Mangel an preiswertem Wohnraum in Großstädten weltweit. Hierin verbirgt sich einer der Aspekte des wahren Werts der Bauhaus-Idee für eine progressive Adaption in Gegenwart und Zukunft. Nicht Designlampe und weiße Hauswandfarbe sind der Schlüssel des Bauhaus für ein sozialeres Leben, sondern Innovation und Emanzipation im Wohnungsbau einer Welt, die durch Landflucht, Armut und Wassermangel in ihren Städten vor immer größere Herausforderungen gestellt wird. Hüttners und Leidenbergers Sammelband leistet einen entscheidenden Beitrag dazu, wie aus der Geschichte Handlungsanweisungen für Politik und Gesellschaft erwachsen können.

Bernd Hüttner / Georg Leidenberger (Hrsg.): 100 Jahre Bauhaus. Vielfalt, Konflikt und Wirkung; Metropol Verlag Berlin 2019, 272 Seiten, 22 EUR


[1] Vgl. Hans-Ulrich Dillmann, Ein Kandinsky-Schüler baute Auschwitz. Der Bauhaus-Absolvent Fritz Ertl plante die bauliche Gestaltung des Lagers Auschwitz-Birkenau, in: Jüdische Allgemeine, 7.7.2019, www.juedische-allgemeine.de/kultur/ein-kandinsky-schueler-baute-auschwitz/ (Zugriff 23.8.2019).

[2] Vgl. Christian Gampert, 100 Jahre Bauhaus. Die «weiße Stadt» in Tel Aviv, in: SWR 2, 8.4.2019, www.swr.de/swr2/kunst-und-ausstellung/Die-weisse-Stadt-in-Tel-Aviv-bauhaus-100,article-swr-17766.html (Zugriff 23.8.2019).