Nachricht | Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Rassismus / Neonazismus - International / Transnational - Asien - Südasien Sri Lanka – ein gespaltenes Land

Muslimische Minderheit nach Anschlägen unter Generalverdacht

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Autorin

Natalie Mayroth,

Menschen erinnern das Attentat am St. Athony’s Shrine in Colombo.
Menschen erinnern das Attentat am St. Athony’s Shrine in Colombo. Die römisch-katholische Kirche war am Ostersonntag 2019 ein Ziel der Anschlagsserie mit mehr als 250 Toten. Foto: Natalie Mayroth

Nach den Terroranschlägen Ende April versucht Sri Lanka zur Normalität zurückzukehren. Doch die Lage ist auch Monate später noch angespannt. Radikale Gruppierungen machen Stimmung gegen Minderheiten. Vor allem Muslim*innen bekommen das zu spüren. Bei den in diesem Winter anstehenden Präsidentschaftswahlen wird ein Erstarken radikal-buddhistischer Kräfte in dem südasiatischen Inselstaat und eine weitere Polarisierung der Gesellschaft befürchtet.
 

Die Autorin ​​​​​​​Natalie Mayroth ist freie Journalistin. Sie lebt und arbeitet in Mumbai.

Als die ersten Fotos der zerstörten Kirchen in den sozialen Medien auftauchen, wollen es viele nicht glauben. Sind die Bilder wirklich aktuell? Oder stammen sie aus der Zeit des Bürgerkriegs, der in Sri Lanka so viele Jahrzehnte Leben und Alltag der Menschen prägte? Doch die Bilder sind echt. Am Ostersonntag 2019, dem 21. April, hatten mutmaßlich srilankische Selbstmordattentäter mit Verbindungen zur Terrororganisation Islamischer Staat mehrere Kirchen und Luxushotels in der Hauptstadt Colombo und in anderen Landesteilen angegriffen. Insgesamt kamen dabei mehr als 250 Menschen ums Leben, etwa 500 weitere wurden verletzt. Die meisten Opfer waren Angehörige der christlichen Minderheit Sri Lankas, aber auch Menschen aus Europa und den Vereinigten Staaten kamen zu Schaden. Bis zu diesem Tag galt das Land als weitgehend sicher. Seitdem hat sich das gesellschaftliche Klima verändert.

Ruki Fernando von der Organisation INFORM ist besorgt. Seine Arbeit ist es, Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren. «Natürlich waren von den Anschlägen in erster Linie Christ*innen betroffen», sagt der Aktivist. Doch seitdem gerieten vor allem Angehörige der muslimischen Minderheit in den Fokus. Vor allem radikale Buddhist*innen machten Stimmung. Der Vorwurf: Die Muslim*innen seien für die Anschläge mitverantwortlich. Im mehrheitlich buddhistischen Sri Lanka stellen sie etwa zehn Prozent der rund 21 Millionen Bewohner*innen.

Wenige Wochen nach den Anschlägen kommt es in der Nähe der Hauptstadt zu antimuslimischen Ausschreitungen. Auf Boykottaufrufe gegen muslimische Restaurants und Händler folgen Angriffe auf Moscheen und Wohnhäuser. Der Computerspezialist Mohammed Naflan hat einen dieser Überfälle miterlebt: «600 Menschen sind in mein Dorf gekommen. Die meisten hatte ich vorher noch nie gesehen. Sie wussten genau, in welchen Häusern Muslim*innen wohnten, und haben diese in Brand gesteckt.» Viele Menschen seien bei dem Angriff verletzt worden.

Das ist nur ein Beispiel für die zunehmende Gewalt. «Bisher haben die Menschen im Dorf friedlich zusammen gelebt», sagt Naflan. Und er ist überzeugt, dass der Angriff keine von Christ*innen geplante Racheaktion war, sondern von radikalen Buddhisten ausging. Ihre Häuser konnten die Überlebenden wiederaufbauen, doch auf Hilfe des Staates warten sie bislang vergeblich.

Fernando schätzt, dass die Lage für Muslim*innen zunächst schwierig bleiben wird. Lange waren die sogenannten tamilischen Befreiungstiger (Liberation Tigers of Tamil Eelam, LTTE) das Feindbild buddhistischer Extremist*innen. Sie hatten ein Vierteljahrhundert mit Waffengewalt für einen eigenen Staat im Norden und Osten Sri Lankas gekämpft. Der Bürgerkrieg war 2009 unter Präsident Mahinda Rajapaksa beendet worden und hat nach Schätzungen rund 100.000 Menschen das Leben gekostet. Bis heute sind die Verbrechen dieser Zeit nicht vollständig aufgearbeitet.

Seit dem Sieg des Militärs über die LTTE geraten andere Minderheiten in den Fokus. Mitverantwortlich für die neuerliche Verschärfung der Spannungen ist nach Ansicht von Beobachter*innen die radikal-buddhistische Bewegung Bodu Bala Sena oder BBS (sinngemäß: buddhistische Streitmacht). Die Organisation vertritt einen Nationalismus, der andere ethnische und religiöse Gruppen ausschließt. Die singhalesische Sprache und der buddhistische Glaube werden zu Ausschlusskriterien. Von dieser Ideologie angestachelt, kam es in den letzten Jahren immer wieder zu antimuslimischen Gewaltausbrüchen.

Der nach den Anschlägen verhängte Ausnahmezustand wurde erst Ende August aufgehoben. Polizei und Geheimdienste hatten in den vier Monaten erweiterte Rechte bei der Durchsuchung wie Verhaftung von Verdächtigten. Überall im Land gab es verstärkte Sicherheitskontrollen. Nach Ansicht des in Colombo ansässigen Think Tanks Centre for Policy Alternatives (CPA) haben darunter vor allem Minderheiten gelitten. Aus dem Norden und Osten Sri Lankas wurde von Überwachung und Schikanen berichtet.

Vor dem Hintergrund der angespannten Lage im Land bereiten sich die Parteien unterdessen auf die Präsidentschaftswahlen vor. Amtsinhaber Maithripala Sirisena wird wahrscheinlich wieder als Kandidat der United People's Freedom Alliance (UPFA) antreten, doch das Vertrauen der Bevölkerung hat er verloren. Denn aus Medienberichten wurde klar, dass die Regierung vor Terroranschlägen gewarnt wurde, aber anscheinend untätig blieb. Schon länger belastete ein Machtkampf zwischen Sirisena und Premierminister Ranil Wickremesinghe von der United National Party (UNP) die Politik des Landes. Nachdem es im Oktober 2018 zu einer Eskalation des Streits kam, stürzte das Land in eine Staatskrise. Sie wurde vom Obersten Gericht beendet, aber die offene Feindschaft zwischen den Politikern blieb.

Inzwischen mischt auch Ex-Präsident Mahinda Rajapaksa wieder mit im politischen Geschehen. Er war nach innerparteilichen Machtkampf in der UPFA bei den Wahlen 2015 von Sirisena aus dem Amt gedrängt worden. Rajapaksa hat inzwischen seine eigene Partei gegründet, die Sri Lanka Podujana Peramuna (SLPP), die offen radikal buddhistische Gruppen wie BBS unterstützt. Kritiker*innen werfen Rajapaksa vor, die antimuslimische Gewalt im eigenen Interesse gesteuert zu haben, um wieder an die Macht zu kommen. Ein buddhistischer Mönch, der sich im Gespräch eigentlich nicht politisch äußern möchte, lobt trotzdem den Hardliner Rajapaksa: «Er hat viel für die Buddhisten getan, und wir sind nun mal die Mehrheit im Land.» Selbst antreten darf der Ex-Präsident allerdings nicht mehr. Daher geht sein Bruder und politischer Weggefährte, der frühere Verteidigungsminister Gotabhaya Rajapaksa, ins Rennen.

Bei den Wahlen 2015 konnte sich Amtsinhaber Sirisena auch auf die Stimmen der tamilischen und muslimischen Minderheiten stützen. Diesmal werden sie wohl nicht für ihn stimmen. Zu groß ist die Enttäuschung über sein Nicht-Handeln nach den Terroranschlägen Ostern. Der Journalist Ashwin Hemmathagama glaubt, dass radikale Kräfte es wegen der schwach aufgestellten UPFA leicht haben werden. Und er fürchtet die Rückkehr Mahinda Rajapaksas. In dessen zehnjähriger Amtszeit von 2005 bis 2015 habe es keine Pressefreiheit gegeben. Journalist*innen und politisch Andersdenkende seien schikaniert und unter Druck gesetzt worden. Das könnte sich wiederholen, wenn sich dessen Bruder bei den Präsidentschaftswahlen durchsetzen sollte.

Auch wirtschaftlich lief es in Sri Lanka unter Mahinda Rajapaksa nicht sonderlich gut. Nach der Machtübernahme Sirisenas ging es dann wieder schrittweise bergauf. Vor allem der Tourismus wurde wieder zu einer wichtigen Einnahmequelle. Nach den Anschlägen am Ostersonntag hat sich das geändert. Urlauber*innen verließen die Insel, Flüge wurden gestrichen. Die srilankische Regierung schätzt den Verlust für die Tourismusbranche allein in den ersten drei Monaten nach den Anschlägen auf umgerechnet fast acht Millionen Euro. Nun gibt es Bemühungen, die Tourist*innen wieder in das Land zu locken – durch kostenfreie Visa und niedrige Steuern für Fluggesellschaften.

Ungeachtet dessen steht die Bevölkerung Sri Lankas vor großen Herausforderungen: Um friedlich zusammenzuleben, muss sie die gesellschaftliche Spaltung entlang von Religion und Ethnien überwinden. «Sri Lanka ist singhalesisch, muslimisch, buddhistisch und christlich – wir wollen alle friedlich zusammenleben», sagt eine Besucherin bei der Wiedereröffnung der bei den Anschlägen schwer beschädigten Sankt-Antonius-Kirche in Colombo. In Zeiten, in denen Nationalismus weltweit auf dem Vormarsch ist, wird das eine schwierige Aufgabe. Menschenrechtler wie Ruki Fernando blicken deshalb skeptisch in die Zukunft.