Nachricht | Rassismus / Neonazismus - Afrika - Nordafrika - Südliches Afrika - Westafrika - Ostafrika Fremdenfeindlichkeit oder Hoffnungslosigkeit?

Ausschreitungen und Proteste gegen sexuelle Gewalt verdeutlichen die strukturelle Krise in Südafrika.

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Antirassistischer Protest 2010 in Kapstadt CC BY 2.0, Janah Hattingh

Die Ursachen der Krise Südafrikas, zuletzt sichtbar in den xenophobischen Ausschreitungen und Protesten gegen sexuelle Gewalt, liegen tief. Sie sind nicht nur darin zu suchen, dass das Land wirtschaftlich nicht in der Lage ist, die grundlegenden Bedürfnisse der Mehrheit der am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen durch die Schaffung von Arbeitsplätzen zu decken. Wäre dies der Fall, wären viele der benachbarten Länder wie Mosambik sicherlich in der gleichen oder einer ähnlichen Situation. Angriffe auf Ausländer*innen und die Plünderung ihres Vermögens, die als fremdenfeindliche Angriffe bezeichnet werden, sind Ausdruck weit umfangreicherer strukturellerer Probleme. Sie stehen für eine Krise um Würde, die durch eine anhaltende Schwäche der politischen Führung nach der Apartheid noch verschärft wird, die sich als unfähig erwiesen hat, die dringend benötigte Würde ihres Volkes konsequent wiederherzustellen. Diese gewalttätigen und abstoßenden Ereignisse zeigen einen tiefen und anhaltenden Pessimismus der Mehrheit der schwarzen Bevölkerung Südafrikas gegenüber ihrer eigenen Zukunft.

Vorurteile von und die Schwierigkeit für Südafrikaner*innen, mit Ausländer*innen, insbesondere aus anderen afrikanischen Ländern, auszukommen, ist kein neues Phänomen. Schon während der Apartheid gab es viele Ursachen für lokale fremdenfeindliche Unzufriedenheit, die vor allem in Bergbaugebieten zu finden waren.

Es ist jedoch auch richtig, dass sich diese Auseinandersetzung seit dem Ende der  Apartheid in Form von weit verbreiteter aktiver Gewalt radikalisiert hat. Der derzeitige Trend geht zu mehr Vorfällen und Gewalt, je weiter wir uns vom historischen Meilenstein, dem Ende der Apartheid, entfernen. Aber warum eigentlich?
Der Prozess der Kolonialisierung und insbesondere das Apartheid-Regime waren von extremer Gewalt geprägt. Die Institutionalisierung der «Rassentrennung» implizierte besonders unterschiedliche Strategien und eine massive Anwendung von Gewalt durch den rassistischen Staat gegen die eigene Bevölkerung. Obwohl auch in anderen Ländern wie Mosambik der Prozess der Degradierung von Kolonisierten in Objekte gewalttätig war, war diese Gewalt im südafrikanischen Fall besonders ausgeprägt und länger anhaltend. Weil sie noch stärker rassistisch aufgeladen war, verletzte sie die Würde der Bevölkerung zutiefst. Das Apartheid-Regime basierte weitgehend auf Gewalt. Der Kampf gegen das Regime war ebenso gewalttätig, legitimierte vor allem die Anwendung von Gewalt als wirksames Mittel, um Frustrationen, politische Ziele und Hoffnungen der Bevölkerung gegenüber den Herrscherden zu kommunizieren. Darüber hinaus wurde der (extrem gewalttätige) Kampf gegen die Apartheid im Vergleich zu vielen anderen afrikanischen Ländern wie Mosambik auf der Straße geführt und war nicht das (ausschließliche) Monopol einer bestimmten Gruppe von Bürger*innen, die mit Waffengewalt eine entsprechende Ideologie verfolgten (Befreiungsbewegung). Während in Mosambik der portugiesische Kolonialismus im Wesentlichen mit Waffengewalt beendet wurde, brach die Apartheid als Folge gewalttätiger Proteste der Bevölkerung zusammen. Die Geschichte schuf, legitimierte und kristallisierte in der südafrikanischen Gesellschaft eine enorme Akzeptanz der Gewalt. Buchstäblich jeden Tag gibt es heftige Proteste für mehr und besseren Zugang zu soziale Dienstleistungen für die Bevölkerung. Alle drei Stunden wird in Südafrika eine Frau ermordet, und täglich werden nach offiziellen Angaben der südafrikanischen Polizei fast 60 gewaltsame Todesfälle registriert. Allein im vergangenen Jahr wurden offiziell 20.336 Morde erfasst, von denen die meisten sehr brutal waren. Die somalische Gemeinde in Südafrika begräbt, laut einem Vertreter, täglich ein aus fremdenfeindlichen Gründen getötetes Mitglied ihrer Community.

Nun muss man verstehen, dass das Ende der Apartheid in der Vorstellung der schwarzen Bevölkerung nicht nur ein historisches Wahrzeichen darstellte. Es stellte auch und vor allem ihren Aufstieg vom Objekt zum Subjekt dar. Das Ende der Apartheid wurde, in diesem Sinne, von der schwarzen Bevölkerung als Zeichen der Rettung ihrer Würde verstanden, derer sie lange Zeit gewaltsam beraubt wurde. Damit einher ging die Erwartung nicht nur gesellschaftlich als vollwertige Menschen akzeptiert zu werden, sondern auch einen Anspruch auf eine bessere Zukunft. Das Ende der Apartheid wird als die Beseitigung aller Hindernisse für den gleichberechtigten Zugang zu menschenwürdiger Arbeit, Wohnraum, Ernährung und Sicherheit und allen anderen Aspekten eines würdevollen Lebens interpretiert.

Doch auch 25 Jahre nach dem Ende des Apartheid-Regimes und der Etablierung einer demokratischen Regierung mit schwarzer Mehrheit ist die sozioökonomische Geographie der Apartheid immer noch vorherrschend. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt praktisch immer noch an den gleichen Orten, an denen sie gezwungen waren, sich niederzulassen - wenn auch der Zwang dazu jetzt ökonomisch bedingt ist. Der Großteil der Bevölkerung ist immer noch rassistischer Diskriminierung ausgesetzt, wenn auch nicht vom Staat. Soziale Ungleichheit, Armut, Unsicherheit, Arbeitslosigkeit und andere Aspekte stehen nach wie vor einem menschenwürdigen Leben für die Mehrheit der Bevölkerung in einem hochmodernen Land im Weg. Zugleich hat diese Modernisierung in Südafrika einen Komplex der Überlegenheit gegenüber anderen Afrikaner*innen geschaffen. Im besonderen Fall der Arbeitslosigkeit, an dem sich ein Großteil der Opposition gegen ausländische Arbeitnehmer*innen manifestiert, glaube ich, dass es nicht unbedingt das Fehlen von Arbeitsplätzen als solche ist, sondern das Fehlen von Arbeit, die von den Südafrikaner*innen als «würdig» angesehen wird. Mit anderen Worten: die Art der Arbeit, die im demokratischen Südafrika im Überfluss vorhanden ist, ist nach wie vor genau die, auf welche sie während der Apartheid beschränkt wurden und sich in ihrer Würde verletzt sehen: Gartenarbeit, Hausarbeit, Tischlerei, Kellnern in Restaurants und andere Tätigkeiten. In diesen Arbeitsbereichen ist zudem die Konkurrenz durch Beschäftigte aus anderen ärmeren afrikanischen Ländern besonders hoch. Im Gegensatz zur Vergangenheit, in der die Tätigkeit von Ausländer*innen in den Minen (teilweise) unsichtbar blieb, sind die heutigen Einwander*innen eine viel sichtbarere Gruppe. Obwohl der Anteil von Einwander*innen, mit etwa 3 Prozent der Gesamtbevölkerung, statistisch irrelevant ist, sind sie durch ihre Konzentration in großen Wirtschaftszentren (47,7 Prozent in Gauteng) sowie durch ihre selbstständigen wirtschaftlichen Aktivitäten, insbesondere im Handel, sehr präsent. In diesem Sinne wäre eine der Lösungen für Südafrika nicht nur die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen, sondern insbesondere die Schaffung von Arbeitsplätzen, die die Würde der Bevölkerung retten.

Die seit 25 Jahren andauernde tiefe Erniedrigung wird verstärkt durch die permanente Krise  der politischen Führung,  die mit Hoffnung startete und dann versandete. Mit Ausnahme des hoch charismatischen Nelson Mandela, der nur eine Amtszeit (1994-1999) absolvierte, konnten seine beiden Nachfolger aufgrund politischer Krisen ihre Amtszeit nicht vollständig erfüllen. Zuerst der ehemalige Präsident Thabo Mbeki und dann sein Nachfolger Jacob Zuma. Beide waren gezwungen, vor Ablauf ihrer zweiten Amtszeit zurückzutreten. Einige Monate nach seiner Wahl, kämpft der derzeitige Präsident Cyril Ramaphosa bereits mit endlosen Krisen, die mit den tiefen internen Spaltungen im ANC und der Schwierigkeit verbunden sind, auf die sozioökonomischen Herausforderungen des Landes schnell und effektiv zu reagieren. Im Ergebnis übermittelt dieser politische Kontext die Botschaft von großer Hilflosigkeit an die Bevölkerung. Es herrscht ein weit verbreitetes Gefühl der Verzweiflung über die Rettung einer Würde, die seit Jahrhunderten und nach wie vor abgelehnt aber ständig für sich in Anspruch genommen wird.

Fredson Guilengue ist Projektmanager der Rosa-Luxemburg-Stiftung im Büro Johannesburg. Sein Artikel erschien zuerst im mosambikanischen Jornal Savana am 13. September 2019.