Nachricht | International / Transnational - Globalisierung - Afrika - Gesellschaftliche Alternativen - Ernährungssouveränität Welternährungstag 2019: Die Zahl der Hungernden steigt zum dritten Mal in Folge

Afrikanische Initiativen wie CAADP brauchen mehr Druck von links für eine andere Agrarpolitik

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Jan Urhahn,

Sturmwolken über einem Bauerndorf nahe Iringa, Tansania
Sturmwolken über einem Bauerndorf nahe Iringa, Tansania UN Photo/Wolff

Artenschwund, Verlust der Bodenfruchtbarkeit, die Folgen des Klimawandels, Landraub, Bauernfamilien unter dem Existenzminimum und Hunger trotz globaler Überproduktion –  das «moderne» Agrarsystem steckt in vielerlei Hinsicht in der Krise. Im dritten Jahr in Folge sind die Hungerzahlen in 2018 auf aktuell mehr als 820 Millionen Menschen weltweit gestiegen. Das entspricht in etwa elf Prozent der Weltbevölkerung. Sogar zwei Milliarden Menschen gelten nach neuer FAO-Definition als von «moderater Ernährungsunsicherheit» betroffen. Als Ursachen werden oft die Folgen des Klimawandels oder kriegerische Konflikte genannt. Weit bedeutender sind jedoch soziale Ungleichheiten weltweit und extrem ungleiche Machtverhältnisse, die subalterne Gruppen aus vielen Entscheidungs- und Verteilungsprozessen ausschließen. Aktuelle internationale Agrardebatten fokussieren stark auf die vermeintlich armutsmindernden Investitionen transnationaler Konzerne und berücksichtigen kaum, wie durch das Agenda-Setting von privaten und staatlichen Gebern die Handlungsspielräume für Regierungen im globalen Süden beschnitten werden. Dabei müssten Initiativen afrikanischer Regierungen gefördert werden, die versuchen Wege aus der Hungerkrise zu finden. Sozial gerechte und ökologische nachhaltige Ernährungssysteme sind gerade für den afrikanischen Kontinent von Bedeutung: zwischen 60 und 70 Prozent der Arbeitskräfte des Kontinents sind in der Landwirtschaft beschäftigt – entweder als kleinbäuerliche Erzeuger*innen oder Landarbeiter*innen. Gleichzeitig hungern dort rund 20 Prozent der Bevölkerung.

CAADP – Afrikas Programm zur Agrartransformation

Jan Urhahn ist Programmleiter Ernährungssouveränität der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Das mit Abstand bekannteste und weitreichendste panafrikanische Agrarprogramm ist das Comprehensive Africa Agriculture Development Programm (CAADP). Entstanden ist CAADP auf Bestreben der Afrikanischen Union im Jahr 2003 in der mosambikanischen Hauptstadt Maputo. In der Maputo-Erklärung bekennen sich bislang 44 Staaten des Kontinents (von insgesamt 54) zu einem breiten Zielkanon. Unter anderem sollen jährlich zehn Prozent des Staatshaushalts für den Agrarsektor bereitgestellt werden. Außerdem streben sie für den Sektor ein jährliches Wachstum von sechs Prozent an. Die Umsetzung soll mit nationalen Investitionsplänen für Landwirtschaft und Ernährungssicherheit gelingen (National Agriculture and Food Security Investment Plans, NAIPs). Die Maputo-Erklärung wurde im Jahr 2014 von der Malabo-Erklärung abgelöst. Lag der Fokus bei Maputo sehr stark auf der Rolle öffentlicher Investitionen und des Staates, wie dem Aufbau ländlicher Infrastruktur oder die Stärkung von Forschung, so wird mit Malabo die Grundidee von Maputo untergraben. Der Staat ist primär dafür da die Rahmenbedingungen zu Gunsten des Privatsektors zu verändern. Hierzu wurde eigens das Country Agribusiness Partnerships Framework (CAP-F) aufgelegt. Unter Beteiligung des Privatsektors sollen politische Reformvorhaben entwickelt und neue (internationale) Wertschöpfungsketten aufgebaut werden. Dazu zählen zum Beispiel die Aufhebung von Import- und Exportbeschränkungen, die heutzutage noch die Agrarbereiche afrikanischer Länder vor Dumpingexporten aus reichen Ländern schützen oder den Export von Grundnahrungsmitteln unter bestimmten Voraussetzungen verbieten. Cap-F bezieht sich explizit positiv auf große öffentlich-private Partnerschaften wie die Neue Allianz für Ernährungssicherung der G7-Staaten. Diese wurde von einer Vielzahl afrikanischer NGOs aufs Schärfste kritisiert. Zu den großen Partnern von CAADP gehören neben staatlichen Institutionen wie USAID und der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) auch die Bill und Melinda Gates-Stiftung sowie die Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (Alliance for a Green Revolution in Africa, AGRA). In AGRA-Vorhaben wird das Konzept der Grünen Revolution propagiert und die Initiative hat seit ihrer Entstehung in den letzten 13 Jahren großen Einfluss auf die Agrarpolitiken vieler afrikanischer Länder genommen. Mit AGRA wollen große Stiftungen wie die Gates-Stiftung die Transformation der afrikanischen Landwirtschaft hin zu einer inputintensiven und kommerziellen Landwirtschaft vorantreiben. Ähnlich wie in CAADP sollen private Investitionen gefördert und Investoren angelockt werden. Große Agrar- und Ernährungsunternehmen, wie Bayer-Monsanto, Cargill oder Yara sind an den AGRA-Vorhaben entweder direkt als «Entwicklungspartner» beteiligt oder über personelle Überschneidungen auf Führungsebene eng damit verflochten. Aktuell fließen durchschnittlich 6,7 Prozent der Länderhaushalte der CAADP-Länder in den Agrarbereich. Es ist ein großer Verdienst von CAADP, dass nach vielen Jahren der Vernachlässigung das Agrarthema sehr hoch auf afrikanischen und internationalen politische Agenden steht. Neben der Höhe der Ausgaben, ist vor allem entscheidend, für was die Gelder ausgegeben werden und welche strukturellen Veränderungen damit bezweckt werden. Sowohl deutsche als auch internationale Organisationen der Zivilgesellschaft haben sich damit bislang nur wenig beschäftigt.

Das Beispiel Sambia

Sambia ist ein Beispiel dafür, welchen (Entwicklungs)-Paradigmen staatliche Agrarpolitiken im subsaharischen Afrika aktuell folgen und welche Spielräume den Staaten zur Verfügung stehen. In Sambia ist der Anteil des Agrarsektors am Gesamthaushalt zwischen 2018 und 2019 von 8,3 Prozent auf 6,1 Prozent zurückgegangen. Das liegt unter anderem daran, dass der sambische Staat wegen seiner hohen Schuldenlast kaum fiskalische Spielräume hat. Für die Schuldentilgung sieht der Staatshaushalt 2019 einen größeren Anteil vor als für Landwirtschaft, Gesundheit und soziale Sicherung zusammen. In Sambia werden mehr als die Hälfte des Agrarbudgets für zwei Programme verwendet: Einmal für ein Regierungsprogramm, das zu festen Preisen in erster Linie Mais aufkauft (Food Reserve Ageny Purchase, FRA) und ein Subventionsprogramm für Saatgut und Düngemittel (Farmer Input Subsidy Programme, FISP). Damit bäuerliche Erzeuger*innen von FISP profitieren können, müssen sie Mitglied in einer Kooperative sein. Die Mitgliedschaft in diesen Kooperativen ist allerdings mit Kosten verbunden, die sich marginalisierte kleinbäuerliche Erzeuger*innen oftmals nicht leisten können. Somit bleibt ihnen der Zugang verwehrt, obwohl gerade sie auf staatliche Unterstützung angewiesen wären.

In Sambia beziehen mehr als 70 Prozent der kleinbäuerlichen Erzeuger*innen (der weltweite Durchschnitt liegt bei rund 40 Prozent) über FISP Hybridsaatgut, das oft von internationalen Konzernen stammt. In vielen Debatten der Entwicklungszusammenarbeit wird so getan als werde in Ländern wie Sambia kaum Kunstdünger eingesetzt. Dabei zeigen die Zahlen, dass der Austrag von 80 kg bis 100 kg Kunstdünger pro Hektar in Sambia sehr hoch ist. Damit schafft der sambische Staat direkt neue und lukrative Märkte, von denen im Saatgutbereich in den meisten Fällen weder kleinere und mittlere Züchter noch das bäuerliche Saatgut der lokalen Erzeuger*innen profitieren können. Hybridsaatgut funktioniert immer nur im Paket mit Dünger und Pestiziden. Sind die Bauern und Bäuerinnen erst einmal auf Hybridsaatgut umgestiegen und ist das bäuerliche Saatgut verloren, ist eine Abhängigkeit gegenüber (transnational) agierenden Agrarkonzernen und bestimmten sambischen Eliten unausweichbar. In einer ausführlichen Studie hat die südafrikanische NGO AC Bio die negativen Auswirkungen von FISPs in der gesamten Region des südlichen Afrikas nachgewiesen.

Mehr Druck von links und eine andere Agrarpolitik

Mit der Abkehr weg von einer Initiative, die vor allem öffentliche Investitionen und Interventionen unterstützt, hin zu einer auf den Privatsektor setzenden neoliberalen Agenda, hat sich die Ausrichtung von CAADP grundlegend verändert. Gerade subalterne Gruppen werden davon nur wenig profitieren können. Setzen Staaten eine Politik um, die beispielsweise bäuerliches Saatgut benachteiligt und zugleich die Einführung von «Konzernsaatgut» unterstützt oder auf den Aufbau einer exportorientierten inputintensiven Agrarpolitik konzentriert, dann bedient sie damit die Interessen einer kleinen nationalen und internationalen Agrarelite und gefährdet eine sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Transformation der afrikanischen Agrarsysteme zum Wohle der Bauern und Bäuerinnen und Landarbeiter*innen. Gerade über AGRA und andere Initiativen ist der Privatsektor mehr als gut aufgestellt, um die Regierungen afrikanischer Staaten mit Lobbykampagnen zu überziehen und damit die ehemals hehren CAADP-Ziele zu konterkarieren. Was es braucht ist zum einen eine starke (pan)afrikanische Zivilgesellschaft, die Druck auf Regierungen aufbauen kann, damit Reformen zugunsten subalterner Gruppen umgesetzt werden. Dazu müssen von Bewegungen auch die starken Narrative der Gegenseite aufgebrochen werden. Die sozialen und ökologischen Krisen werden eben gerade nicht mit mehr Markt und Privatsektor gelöst. Stattdessen braucht es mehr öffentliche Investitionen, deren Ausrichtung von den Organisationen der Bauern und Landarbeiter*innen, von Frauengruppen und anderen Subalternen kontrolliert werden. Dazu können zum Beispiel auf verschiedenen Ebenen in einem Land Ernährungsräte als Instrumente des Austauschs und der Politikgestaltung aufgebaut werden. Brasilien hat mit seinem «Nationalen Rat für Ernährungssicherheit» (Conselho de Segurança Alimentar e Nutricional – CONSEA) in Zeiten vor der Machtübernahme des rechtsradikalen Präsidenten Bolsonaro gute Erfahrungen gemacht. Außerdem ist ein Ausbau staatlicher Investitionen in öffentliche Infrastrukturen, wie zum Beispiel den Aufbau von Lagerhäusern, den Ausbau von Transportkapazitäten oder mehr Investitionen in staatliche Agrarforschung notwendig. Des Weiteren sollte eine wirklich unabhängige Agrarberatung von staatlicher Seite gefördert werden, in deren Fokus die Bedürfnisse kleinbäuerlicher Erzeuger*innen stehen. Zuguterletzt müssen bäuerliche Saatgutsysteme gefördert werden. Aktuell passiert in vielen Ländern, so auch in Sambia das Gegenteil. Bäuerliche Saatgutsysteme brauchen Raum sich zu entwickeln und dürfen nicht durch enge Regulierungen und scharfe (geistige) Eigentumsrechte in Keim erstickt werden. Die Handlungsspielräume von Staaten müssen gegenüber den neoliberalen Agenden von Initiativen wie AGRA verteidigt werden. Es ist Aufgabe linker Akteure staatliche Politiken im Agrarbereich zugunsten der Subalternen zu verschieben.