Nachricht | Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Geschlechterverhältnisse - International / Transnational - Cono Sur - Feminismus für alle «Trotz alledem»

Das Encuentro Nacional de Mujeres: Ein feministisches Mega-Event in Zeiten der Krise

Information

Autorin

Alex Wischnewski,

34. Encuentro Nacional de Mujeres, 11.-14.10.2019
Das 34. Encuentro Nacional de Mujeres in Argentinien übertraf nicht nur alle bisherigen Ausmaße, es war wohl das bisher größte feministische Treffen, das es weltweit gegeben hat.

Über 250.000 Frauen und Queers kamen vom 11.-14. Oktober in der argentinischen Stadt La Plata zusammen. Damit war das 34. Encuentro Nacional de Mujeres (dt. Nationales Frauentreffen) nicht nur das größte in seiner Geschichte, sondern wohl auch das größte feministische Treffen, das es weltweit jemals gegeben hat. Vor dem Hintergrund einer tiefen ökonomischen Krise, in der die Regierung jüngst einen Ernährungsnotstand ausgerufen hat, um dem wachsenden Hunger in der Bevölkerung zu begegnen, schreitet die feministische Bewegung weiter voran.

Alex Wischnewski arbeitet für die Rosa-Luxemburg-Stiftung zu transnationalen feministischen Bewegungen. Sie hat das Netzwerk Care Revolution und die Plattform #keinemehr mitgegründet und ist aktiv in der Partei Die LINKE. 

Keine ist mehr dieselbe, wenn sie einmal an den Workshops und der abschließenden Demonstration des Nationalen Frauentreffens in Argentinien teilgenommen hat – so lautet das geflügelte Wort und es kommt nicht von ungefähr. Seit 1986, kurz nach dem Ende der Diktatur, schaffen feministische Bewegungen in möglichst autonomer und basisdemokratischer Weise einmal jährlich diesen ganz besonderen Raum der Debatte, des Streits, der politischen Bestimmung, der Zusammenkunft, des Kennenlernens, der gegenseitigen Stärkung und des gemeinsamen Ausdrucks. Begannen die Treffen mit 1000 Frauen, so nahmen im 34. Jahr über eine Viertelmillion teil. Für die weltweit bekannt gewordenen Mobilisierungen der letzten Jahre waren die Treffen zentrale Momente der Vervielfältigung. Sei es der Aufschrei «Ni una menos, vivas nos queremos» (dt. «Keine weniger, wir wollen lebendig sein»), der seit 2015 Hunderttausende gegen Femizide auf die Straße brachte, sei es die Organisation feministischer Streiks ab 2016 oder die Kampagne für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, die im vergangenen Jahr eine sehr knappe Niederlage im Senat hinnehmen musste.

Es sind aber nicht nur die großen Mobilisierungen, die das Treffen so besonders machen, es sind auch die persönlichen Begegnungen über gewöhnliche Organisierungsgrenzen hinweg und der politische Austausch zu einer Vielfalt von Themen. In etwa 130 Schienen wurde dieses Jahr über zwei Tage hinweg diskutiert – über Gewalt gegen Frauen und Trans, Armut, Landwirtschaft, Rassismus, Leben mit Behinderung, Gewerkschaften, Kunst oder Fußball. Bisher war die Regel, dass jeder Workshop höchstens 40 Menschen fassen soll, damit tatsächlich intensiv miteinander diskutiert werden kann. Gibt es weitere Interessierte an einem Thema, finden diese sich in eigenen Workshops zum gleichen Thema zusammen. Das ist möglich, weil es keine Vorträge, keine ausgesprochenen Expert*innen oder vorgegebene Schwerpunkte gibt. Diejenigen, die anwesend sind, bestimmen gemeinsam die Inhalte. So wird jeder Workshop zu einer ganz eigenen Welt und das eine große Treffen zu tausenden kleinen.

Und doch führt alles zusammen. Abschließende Forderungen werden im Konsens formuliert, im Zweifelsfall werden Minderheitsmeinungen mit aufgenommen. Jede Stimme soll zählen. Bei der zentralen Abschlussveranstaltung werden schließlich alle Ergebnisse vorgelesen und später in Schriftform veröffentlicht. Gemeinsame Entscheidungen, wie etwa über den nächsten Austragungsort, werden bei den zentralen Veranstaltungen traditionell per «Applausometer» getroffen. Wer am lautesten klatscht und johlt, gewinnt. Angesichts des großen Zulaufs stehen die Verfahren, die ursprünglich für eine viel kleinere Zahl an Teilnehmer*innen gedacht war, jedoch zur Debatte.

Und auch anderweitig entwickelt sich das Treffen weiter. Forderungen indigener Gemeinschaften und queerer Aktivist*innen folgend, wird seit rund zwei Jahren über eine Umbenennung des Nationalen Frauentreffens diskutiert und gestritten. Auf der einen Seite steht das bekannte Argument, dass wer nicht genannt wird, auch nicht mitgedacht wird und die Zurückweisung einer Nation, deren Gründung auch über die Auslöschung indigener Gemeinschaften durchgesetzt wurde und bis heute auf kolonialistischen Strukturen beruht. Die im vergangenen Jahr gegründete Kampagne #SomosPlurinacional (dt. Wir sind plurinational) forderte deshalb die Anerkennung der indigenen Bevölkerungen in den Bewegungen und darüber hinaus, sowie ihr territoriales Selbstbestimmungsrecht. Auf der anderen Seite steht ein Festhalten an Traditionen und einer beschworenen Einheit, nicht nur in Bezug auf das feministische Treffen, sondern auch auf die Geschichte der argentinischen Arbeiter*innen-Bewegung, in der die Begriffe «national» und «popular» zentrale Bezugspunkte waren und sind.

Gut organisierte Akteure in der prinzipiell für alle offenen Vorbereitungskommission versuchten eine finale Entscheidung mit unlauteren Methoden abzuwenden. Fürsprecherinnen wurden so weit gestört, dass es bei der zentralen Abschlussveranstaltung sogar zu Gerangel auf der Bühne kam. Darin zeigte sich jedoch allem voran ein verzweifelter Akt, denn ein Treffen mit 250.000 Aktivist*innen lässt sich nicht mehr autoritär kontrollieren. Trotz aller Hürden haben sich die Anwesenden nun selbst einen neuen Namen gegeben, so schreiben es wichtige Medienportale. Nächstes Jahr soll in San Luis zum 35. Plurinationalen Treffen von Frauen, Lesben, Travestis, Trans, Bisexuellen und Nicht-Binären Menschen eingeladen werden. Die Vorbereitungen dafür laufen bereits.