Nachricht | Parteien / Wahlanalysen - Rassismus / Neonazismus In der Repräsentationslücke

THEMA Die AfD versucht sich als parlamentarische Sammlung für rechte soziale Bewegungen und sieht sich als Vertreterin reaktionärer, wohlstandschauvinistischer Teile der Mittelschichten

Die »Alternative für Deutschland« (AfD) kann es auch in das Landesparlament einer westdeutschen Großstadt schaffen. So lautet ein Ergebnis der Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft vom 15. Februar.

Erledigt haben dürften sich damit alle Kommentare, die die AfD nach den vorangegangenen Erfolgen bei den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen sowie den Pegida-Demos auf ein Phänomen der ostdeutschen Politik-Landschaft begrenzen wollten. Die AfD war von Anfang an eine Sammlungsbewegung der rechten Opposition gegen die Politik der Merkel-Union.

Ein Blick zurück auf die beiden nationalen Wahlen 2013 und 2014, die Bundestagswahl und die Wahl zum Europäischen Parlament, zeigt die Breite dieses Protestverhaltens. Bei der EP-Wahl blieb knapp eine Million AfD-Wähler der Bundestagswahl fern, gut elf Prozent wählte wieder eine »etablierte« Partei. Dennoch erreicht die AfD bei der EP-Wahl etwas mehr Stimmen als bei der Bundestagswahl. Diesen Erfolg realisierte die AfD vor allem in den süd-westdeutschen Ländern Baden-Württemberg, Reinland-Pfalz und Saarland. Hier liefen, weitgehend unbeobachtet von der medialen Aufmerksamkeit, scharenweise ältere CDU-Wähler zur AfD über. Bei den beiden nationalen Wahlen erreichte die AfD insgesamt die Stimmen von etwa 3,35 Millionen Personen. Ein Viertel dieser Bürger wählte davor die Union 25 Prozent, ein Sechstel die FDP und ein weiteres Sechstel kleine Parteien, die es nicht ins Parlament schafften. Fast 60 Prozent der AfD-Stimmen stammt aus dem bürgerlichen Parteienspektrum. Jeweils 14 Prozent der AfD-Wähler wählte zuvor SPD oder DIE LINKE; acht Prozent stammten von vorherigen Nichtwählern und -wählerinnen, vier Prozent von den Grünen und drei Prozent waren Erstwähler und Erstwählerinnen.

Dass die AfD erstmals in ostdeutschen Ländern den Einzug in Landesparlamente schaffte, verdankt sich eher den Zufällen der Wahltermine. Wäre im Herbst 2014 etwa in Baden-Württemberg gewählt worden, so wären sie wohl dort erfolgreich gewesen. Allerdings wären dann die innerparteilichen Auseinandersetzungen vermutlich etwas anders verlaufen. Klerikal-religiöse Themen hätten wohl eine größere Rolle gespielt Zuwanderung, »Grenzkriminalität« und »Islamisierung«. Längst hat die AfD ihr Gründungsterrain, die Geld- und Währungspolitik, verlassen und versucht sich als parlamentarische Sammlung für rechte soziale Bewegungen, die gegen »Islamisierung«, »Abtreibung«, »sexuelle Vielfalt im Schulunterricht« oder »Flüchtlingswohnheime« auf die Straße gehen. Sie sieht sich zugleich als Vertreterin reaktionärer, wohlstandschauvinistischer Teile der Mittelschichten, die sich mit ihren Besitzstandsängsten in einer von globalen Krisen geprägten Medien-Welt nicht mehr verstanden und verteidigt sehen. Schließlich hat die AfD einen starken Rückhalt unter Selbstständigen, Freiberuflern, »Familienunternehmen«, jenen, die weniger auf europäische oder globale Märkte schauen, sondern mehr auf regionale oder lokale Wirtschaftsbeziehungen setzen.

Nach den drei Landtagswahlerfolgen rückten vor allem Alexander Gauland aus Brandenburg und Frauke Petry aus Sachsen verstärkt ins öffentliche Rampenlicht. Differenzen zum Europa-Abgeordneten Bernd Lucke, etwa in Fragen der Sanktionen gegen Russland oder der Freihandelsabkommen, wurden deutlich. Vor dem Bundesparteitag Ende Januar in Bremen spitzten sich die inhaltlichen und persönlichen Auseinandersetzungen zwischen dem Führungspersonal an der Frage, wie viele Zungen an der Spitze für die Partei sprechen dürfen, zu. Der Streit endete mit einem für Sammlungsbewegungen typischen Burgfrieden: Zunächst bleibt es bei mehreren Sprechern, die Zeit ohne Wahlen nach der Bremer Wahl im Mai soll zur programmatischen Klärung genutzt werden, am Ende soll es dann nur noch einen oder eine Vorsitzende geben – nach dem Stand der Dinge wohl Bernd Lucke, nicht Frauke Petry.

Denn Bernd Lucke ist in der Partei zwar umstritten, beschränkt seinen vermeintlichen Liberalismus aber auf wirtschaftspolitische Fragen und betätigt sich ansonsten aber als klassischer Zentrist, der die verschiedenen Fraktionen zusammenhält. Unterschiedliche Kräfte zusammenhalten und sich den regionalen Stimmungen anschmiegen zu können – das dürften die beiden entscheidenden Kompetenzen sein, die über den weiteren Weg der AfD entscheiden werden. Denn der Hamburger Wahlausgang brachte zwar den ersten Einzug in ein westdeutsches Landesparlament, aber bei Lichte betrachtet war er ein Schuss vor den Burg. 6,1 Prozent der Stimmen in einer Stadt zu holen, in der seit mehr als 20 Jahren rechtsbürgerliche, populistische Parteien (STATT-Partei, Schill-Partei) bis zu einem Fünftel der Stimmen erhielten, sind kein wirklicher Durchbruch. Hinzu kommt eine Platzierung hinter der FDP.

Zudem war der Wahlerfolg der AfD erstmals nicht mit einer Schwächung der Parteien links der Union verbunden, Linke und Grüne gewannen mehr Stimmenanteile hinzu als die alleinregierende Scholz-SPD verlor.
Unabhängig vom Wahlausgang in Bremen werden sich die Zukunftsaussichten der AfD bei den Landtagswahlen im Frühjahr 2016 in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz aufklären. Für die Union gilt es hier, zwei Landesregierungen aus SPD und Grünen ablösen zu wollen. Kann sie dabei noch auf eine wieder erfolgreiche FDP setzen oder schafft die AfD auch unter der Bedingung, dass die Union als stärkste Partei und aus der Opposition heraus antritt, den Einzug in das Landesparlament? In diesem Falle stände der »Merkelismus« vor einer Wegscheide.

Dem »Merkelismus« ist es gelungen, bundesweit die SPD ins 25%-Ghetto zu bannen. Der Preis dafür ist nachlassende Bindekraft gegenüber wert- und nationalkonservativen Ideologien und reaktionären Einstellungen, und schließich - nach der Selbstzerstörung der neoliberalen Westerwelle-Rösler-FDP -  das Aufkommen einer neuen Partei rechts von der Union. Damit kann die Union im Bund so lange gut leben, wie eine rechnerische Mehrheit links von der Union nicht politisch wirksam wird und Koalitionen mit SPD oder Grünen wirkmächtig die »Mitte der Gesellschaft« repräsentieren. Wie lange aber ehrgeizige Landespolitiker der Union darauf verzichten, eine sich behauptende AfD koalitionsfähig zu machen, wenn es um den eigenen Machterwerb geht, wird sich spätestens nach der Bundestagswahl 2017 klären. Bis dahin gilt für die AfD: Durchhalten, den Laden zusammenhalten. Ein Selbstläufer ist das nicht.

Die Neuformierung der extremen Rechten in Deutschland ist Schwerpunktthema der Ausgabe 1-2015 des Stiftungsjournals RosaLux. Das Heft mit dem Titel «Bieder und brutal» erscheint Mitte April.