Nachricht | Wolf (Hrsg.) Protest und Aufbruch. «68» in Osnabrück; Oldenburg 2018

Beispiel für Politisierung (in) der Provinz

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Die Literatur zu «68» und seinen Folgen ist mittlerweile unüberschaubar. Selbst kleinere Großstädte wie Bielefeld, Oldenburg oder Münster sind in Ausstellungen und Publikationen untersucht. Eine Veröffentlichung beleuchtet nun die Politisierung in der Provinz, wenn man Osnabrück, damals immerhin die drittgrößte Stadt in Niedersachsen, so bezeichnen mag. Das stark katholisch geprägte Osnabrück hat, wie viele andere Städte, wie z.B. selbst Bremen, 1968 noch gar keine Universität, sondern nur Ingenieurschulen und eine Pädagogische Hochschule. Die Universität nimmt erst 1974 ihren Lehrbetrieb auf.

Die Hälfte des Buches besteht aus eher analytischen Texten, die verschiedene Milieus und Themen darstellen, wie es im Kontext von «68» immer wieder geschieht: Gewerkschaften, SPD, linke Pastoren und Jugendarbeit. Selbstredend werden auch die Politikfelder von «68» in ihrer lokalen Ausprägung präsentiert: Beispiele sind hier die Frauenbewegung, die «Aufarbeitung» des Nationalsozialismus oder öffentliche Nahverkehr. Ein Artikel berichtet über «Institutionen» der «neuen Nach-68er-Linken» in Osnabrück. Hier bildete sich nach dem gleichnamigen Vorbild in den Metropolen der Studierendenbewegung ein «Republikanischer Club». Nach dessen Zerfall entstand daraus «Rote Osnabrücker Zentrum» (ROZ), das aber auch nur bis 1971 existiert.

Die allermeisten AutorInnen entstammen der Generation der zwischen 1947 und 1954 geborenen, also jener, die wie die 1950 geborenen im Jubiläumsjahr 2018 68 Jahre alt waren. Sie bieten zum einen über zwei Dutzend persönlich geprägte Schilderungen und Rückblicke. Es sei nicht verschwiegen, dass mit Cora Stephan und Gerd Held zwei dieser, sogar in Osnabrück geborenen Aktiven heute AutorInnen in rechten Publikationen sind.

Die Publikation enthält viele zeitgenössische Fotos und Faksimiles. Sie bietet für außerhalb Osnabrücks lebende LeserInnen vergleichsweise wenig wirklich neues. Sie zeigt aber anschaulich, wie die Verhältnisse in der 140.000 EinwohnerInnen zählenden Stadt damals waren, und wie aus Brüchen ein Aufbruch wurde. Was in den Texten immer wieder auftaucht, ist die immense Bedeutung von Popkultur als identitätsstiftender und -stabilisierender Faktor.

Reiner Wolf (Hrsg.) Protest und Aufbruch. «68» in Osnabrück; Isensee Verlag, Oldenburg 2018, 192 Seiten, 19,80 EUR