Nachricht | Geschlechterverhältnisse - Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Globalisierung - USA / Kanada - Amerikas Diversität der Stimmen als Kraft zur Veränderung

Katharina Pühl, in der Rosa-Luxemburg-Stiftung Ansprechpartnerin für feministische Gesellschafts- und Kapitalismusanalyse, berichtet im Interview mit Ulrike Hempel von der 59. Frauenrechtskommission in New York.

Information

 

1.    Wie war der Besuch in New York?
Sehr spannend! Leider kann ich die Atmosphäre schwer in einem Satz beschreiben. Wir haben ja als Rosa-Luxemburg-Stiftung in der Kooperation zwischen Berlin und dem Büro New York eine Delegation von acht Frauen aus den Ländern Kenia, Kolumbien, Kambodscha, Kroatien, Nepal und Bolivien empfangen und begleitet. Zugleich wurden zwei Veranstaltungen angeboten, die sehr gut besucht waren und auf große Resonanz gestoßen sind. Die erste war ein Parallel Event als Teil des NGO-Programmstreams mit dem Thema „Wie hilfreich wird das Nachhaltigkeitsziel zu Ungleichheit für Frauen sein?“ in Kooperation mit dem „Global Policy Forum“ und „Development Alternatives with Women for a New Era“ (DAWN). Die zweite Veranstaltung – ein offizielles Side-Event im UN-Konferenzprogramm – fand in Kooperation mit dem UN-Forschungsinstitut  für Soziale Entwicklung (UNRISD) statt. Dabei stand im Mittelpunkt, wie die Beteiligung von Frauen an geschlechtergerechten Politikwechseln in unterschiedlichen Regionen der Welt einzuschätzen ist. Diese Frage stellt sich zwanzig Jahre nach der Weltfrauenkonferenz in Peking drängend.

2.    Hat sich die Rosa-Luxemburg-Stiftung schon häufiger in diesem Zusammenhang engagiert?
Es war das zweite Mal, dass sich die Rosa-Luxemburg-Stiftung in der Kooperation Berlin-New York entschieden hat, an der Frauenrechtskommission gestaltend mitzuwirken, diesmal aber mit deutlich umfangreicherem Einsatz. Ein Empfang für die Konferenz-Delegation des Bundestages - veranstaltet gemeinsam mit  dem Global Policy Forum und UNRISD und DAWN - diente der Vernetzung. Die Delegation wurde von Cornelia Möhring geleitet. Diesen Abend besuchten Vertreter_innen von UN Women, dem deutschen Frauenrat, Mitglieder des Bundestags der Linken und von SPD und Grünen sowie Vertreter_innen aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), aber auch viele NGO-Vertreterinnen. Nach dem ersten Eindruck waren diese Veranstaltungen ein voller Erfolg und die Rosa-Luxemburg-Stiftung wurde als Akteurin wahrgenommen, die auch kritische Stimmen in den UN-Prozess einbringen kann.

3.    Woran macht ihr den Erfolg fest?
Wir haben Plenarsitzungen des UN-Frauenkonferenzprozesses besucht. Beeindruckend!  Zunächst war ich selbst auch etwas überwältigt. Es war wichtig, dass wir uns alle zusammen organisiert und vorbereitet haben. Mich hat die kollektive Arbeit sehr bereichert, denn im Großen und Ganzen haben wir versucht, uns auf einige wenige Schwerpunkte zu konzentrieren. Vor allem auf die Arbeit mit den Delegationsteilnehmerinnen. Geschäftiges Tun lief parallel zu intensiven Gesprächen. In vielen internen Reflexionstreffen stellte sich die Frage, wie die Teilnehmerinnen den Besuch in New York am besten für sich nutzen können. Denn darum ging es ja vor allem: Den Delegationsteilnehmerinnen eine Bühne zu bieten, um sich für die Durchsetzung ihrer eigenen Anliegen vernetzten zu können.

4.    Welche Erwartungen wurden nach New York getragen?
Die Delegationsteilnehmerinnen wollen das, was sie vor Ort in ihren Ländern in sozialen Bewegungen tun, auch weiter vorantreiben. Die Motivation ist sehr hoch.  Da hat der vorab veranstaltete Einführungsworkshop „Zur Weltfrauenkonferenz und den Sustainable Development Goals“ mit Barbara Adams vom Global Policy Forum geholfen. Sie macht schon über viele Jahre eine sehr kritische Begleitforschung des UN-Frauenkonferenzprozesses. Durch ihre Ausführungen hat sie uns eine Art Arbeitshaltung ermöglicht, die mit den Partizipationsbeschränkungen des Prozesses umgeht und trotzdem mögliche Eingriffspunkte – im Nachgang und auf nationaler Ebene - verdeutlicht.

5.    Wofür war das notwendig?
Die kritische, politische, feministische Einschätzung des UN-Prozesses zeigt, dass die auf geschlechtergerechte Entwicklung von Politik und Frauenbelange bezogene Situation global heute real nicht viel besser aussieht als vor 20 Jahren. Das betrifft vor allem, was die Implementierung von damaligen Zielen anbelangt, weil die neoliberalen Umstrukturierungen manchen fortschrittlichen Politikansätzen von damals im Wege stehen.  Aber welche anderen Ansatzpunkte für globale Politik gibt es, wenn eine der UN vergleichbare Arbeitsebene bislang nicht existiert?  Der Ansatz ist von dem strukturierenden Regierungskonsensen interessengeformt und kompromisshaft gemainstreamt. Offenbar ist nach Eindruck auch anderer kritischer feministischer Expertinnen die NGO-Struktur als paralleler Teil der Arbeit der UN-Frauenkonferenz inzwischen auch technisch durchorganisiert mit Methoden der Mitarbeit. Damit ist ihre eigenständige Formierung ebenfalls von oben gerahmt. Die doppelte Moral steckt in der  starken neoliberalen Überformung solcher Prozesse auch auf nationaler Ebene, die durch die Regierungen in den Ländern selbst vorangetrieben wird. Die Regierungen öffnen sich für Investoren gegen den Willen der Menschen, die dann vom Land vertrieben werden, und nicht nur Frauenrechte spielen dann keine prominente Rolle mehr. Aber gerade weil das so ist, muss man trotz der Rückschläge versuchen, in diesen Strukturen weiter mitzuarbeiten bzw. sie parallel auch kritisch zu begleiten. Das hat uns klar gemacht: Nicht auf der Konferenz selbst passiert das, was sich politikrelevant mitgestalten lässt. Da ist der Keks gewissermaßen schon gegessen. Und das ist im Nachgang zur Konferenz auch eine formulierte Kritik aus NGO-Zusammenhängen. Nein, die wirkliche Arbeit findet in den Netzwerken statt, die sich aus den New Yorker Begegnung im Nachhinein  entwickeln und sich an linken, feministischen Inhalten orientieren. Da kann etwas Sinnvolles wachsen.

6.    Welchen Einfluss hat das auf deine weitere Arbeit?
Die Tatsache, dass ich mit zur 59. Frauenrechtskommission gereist bin, hat damit zu tun, dass wir uns im Rahmen feministischer Gesellschafts- und Kapitalismusanalyse in der Rosa-Luxemburg-Stiftung  fragen, auf welcher inhaltlichen und politischen Grundlage wir Genderarbeit – wenn man das mal so nennen möchte – in der Stiftungsarbeit weiter vernetzen können und wollen. Denn auch wir müssen vernetzten:  Zwischen einzelnen Arbeitszusammenhängen in der Stiftung sowie im In- und Ausland. Wie reagieren wir mit einem kritischen Genderkonzept angemessen auf globale Umstände? Mit einem Konzept, das den nationalen Rahmen kritisch denkt und gleichzeitig übersteigt? Das mit Intersektionalität ausgestattet ist und Konflikte komplex denken sowie Interessenformulierung  wahrnehmen kann?  Was ich persönlich von der Delegationsteilnehmerin aus Bolivien mitnehme, ist, dass sie als Indigene für ihre Community gesagt hat, es komme darauf an, uns zu dekolonialisieren. Auch in der eigenen Arbeit: Dabei geht es darum zu reflektieren, wie Wissenshierarchien auch in linken Diskursen produziert und reproduziert werden. Wie gehen wir mit der Diversität der vielen Stimmen so um, dass eine Kraft zur Veränderung entstehen kann? Das konzeptionell weiter mitzudenken, fordert mich  heraus, und das will ich mit den Kolleginnen und Kollegen auch helfen umzusetzen.

Vielen Dank für das Gespräch.