Nachricht | Kommunikation / Öffentlichkeit - Kunst / Performance - Westasien - Westasien im Fokus «Satire ist ein gutes Mittel, um sich über Diktaturen lustig zu machen.»

Interview mit dem Satiriker Karl reMarks über Orientalismus und die Arbeit mit Stereotypen

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Daniel Walter, Karl Sharro,

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Die einigende Macht des Humors veranschaulichen Wenige so gut wie der libanesische Satiriker Karl Sharro, besser bekannt als @KarlreMarks. Vor einigen Monaten war er zu Gast bei der Gründungsfeier des Vereins dis:orient in Berlin. Dort gab er eine Auswahl seiner Tweets über den arabischen Raum und Stereotype in den Medien zum Besten. Ein Gespräch über Orientalismus, Jürgen Todenhöfer und die besten Bücher über den Libanon.
  

Daniel Walter: Westeuropa durchlebt gerade turbulente Zeiten. Länder wie Deutschland, Italien und Großbritannien stehen am Scheideweg. Was hat die aktuelle Situation in Europa mit dem Zerwürfnis zwischen Katholiken und Protestanten zu tun?

Daniel Walter ist Vorstandsmitglied bei dis:orient e.V. und freier Journalist. Er promoviert am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF). 

Karl reMarks: Ich habe mich intensiv mit dem Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten beschäftigt. Dabei gibt es Konflikte, die noch weiter zurückreichen. In Großbritannien zum Beispiel haben wir es ganz klar mit einem historischen Bewusstsein zu tun, das durch und durch von der Feindseligkeit zwischen Angelsachsen und Normannen bestimmt ist. Darüber hören wir von Experten relativ wenig.

Genauso steht es in Frankreich seit Napoleon, der Revolution und der Einführung des metrischen Systems mit dem Konflikt zwischen Stadt und Land. Diese Feindschaft wird in Analysen auch nirgends berücksichtigt.

Im Falle Deutschlands gibt es mehrere nennenswerte Spaltungen. Da wäre die historische Rivalität zwischen Preußen und Bayern. Zwischen Deutschland und Frankreich, die Frage um das Erbe Karl des Großen – das sind alles ausschlaggebende Punkte an diesem historischen Scheideweg Westeuropas, von denen man nur wenig in den Nachrichten hört. Zum Glück beschäftigen wir uns am Institut für Westeuropa und Nordamerika (WENA) aktiv mit diesen historischen und archaischen Konflikten und deren Auswirkungen auf die aktuelle Geopolitik.

Macht es dir der Brexit schwer, Westasien-Witze zu parodieren?

Das klingt jetzt vielleicht egoistisch, aber der Brexit war sehr gut für meine Karriere als Satiriker. Er erlaubt es mir, meine Aufmerksamkeit voll und ganz der WENA-Region zu widmen. Er bietet mir auch sehr viel Material für Witze. Zum Beispiel konnte ich eine Karte anfertigen, die Großbritannien zwischen Remainia und Leavia unterteilt. Die ist echt hilfreich, wenn man die Parallelen aufzeigen will.

Aber mal ganz im Ernst: Meiner Meinung nach war die herablassende Art Westeuropas, dieser ständige erhobene Zeigefinger, wie man sich demokratischer verhalten und funktionalere Demokratien entwickeln könne, ziemlich arrogant. Jetzt zeigt sich aber, wie schnell diese Instanzen selbst an den Rand des Kollapses geraten. Das hat mir in puncto Satire echt weitergeholfen, egal was das für eine tatsächliche Auswirkung auf Gesellschaft und Wirtschaft hat (lacht).

Gab es einen besonderen Anstoß oder Anlass, der dich dazu bewegt hat, Satire zu machen?

Ich wollte schon immer Komiker sein oder humoristisches Zeug schreiben. Ich habe jahrelang ernste Sachen über den Nahen Osten geschrieben und konnte damit nur ein sehr kleines Publikum ansprechen. Der Anstoß kam dann mit den Aufständen in arabischen Ländern und der orientalistischen Berichterstattung seitens einiger westlicher Expert*innen. Mir wurde klar, dass ich mit einem guten satirischen Ansatz ein viel größeres Publikum erreichen kann, als es mir je mit einem 10.000-Wörter-Essay möglich wäre – das ist nicht grundsätzlich so, solche Essays kann man natürlich immer noch schreiben, aber für mich ist das nichts. Und nicht nur das: Satire war auch ein gutes Mittel, um mich über Diktaturen und reaktionäres Denken lustig zu machen.

Manchmal wirkt es so, als würde ich mich nur mit westlichen Journalist*innen beschäftigen, aber das stimmt nicht. Meine Arbeit war den Regimes und ISIS gegenüber auch sehr kritisch. Das ist generell meine Art, mich mit diesen historischen Ereignissen auseinanderzusetzen.

Sind dir seitdem Veränderungen in der Berichterstattung aufgefallen?

Sie hat sich auf jeden Fall verbessert. Aber der Markt setzt dem auch Grenzen. Wir sollten deshalb nicht allzu wertend sein. Das Problem liegt nicht unbedingt bei Korrespondent*innen oder Reporter*innen. Ich glaube, es gibt auf Redaktionsseite eine gewisse Nachfrage nach einer bestimmten Darstellung des Nahen Ostens. Letztlich geht es dabei nicht wirklich um den Nahen Osten.

Ich finde, die Brexit-Berichterstattung in Europa und den USA zum Beispiel zeugt auch von viel Denkfaulheit. Die Leute wollen das Ganze nur durch die Klischeebrille betrachten. Ich glaube, das Problem des Journalismus beschränkt sich nicht auf die Nahost-Berichterstattung. Dabei hat sich die Berichterstattung besonders auf diesem Feld sehr verbessert und es gibt ein paar richtig gute Journalist*innen. 

Würdest du trotzdem sagen, dass es bestimmte Topoi gibt, die die Westasien-Berichterstattung prägen, sagen wir mal im Vergleich zur China-Berichterstattung?

Ich denke ehrlich gesagt nicht, dass der Nahe Osten irgendeine Sonderstellung hat. Ich glaube nicht an diese Opferrolle à la «der Westen versteht uns nicht». Meiner Meinung nach gibt es im journalistischen Feld viel größere Probleme. Dann gibt es leider auch Tendenzen, die durch die Verbreitung kulturalistischen Denkens verstärkt werden. Das führt dazu, dass Leute am Anfang oft hehre Ziele haben, aber letzten Endes ein miese Berichterstattung machen.

Lass mich den historischen Kontext etwas erklären. Ich finde, wir müssen eine Linie ziehen: Wir befinden uns nicht im 19. Jahrhundert am Höhepunkt des Kolonialismus. Viele kommen zu mir und sagen Sachen wie «Oh, du erinnerst mich so sehr an Edward Said». Ich finde, das ist ein Missverständnis, weil die historische Situation anders ist. Das Verhältnis von Osten und Westen mag weiterhin von Ungleichheit geprägt sein, aber wir haben es nicht mit dem Kolonialismus von früher zu tun. Es gibt keine Institutionen, die den Kolonialismus rechtfertigen. Da gibt es verschiedene Ebenen, die sich überschneiden.

Ein Beispiel: Denken wir mal an so etwas wie westliche Interventionen in Nahost. Vielerorts gibt es dazu eine Art liberale Haltung, nach dem Motto: «Es ist unsere Verantwortung, im Nahen Osten einzugreifen, um bestimmten Menschen zu helfen». Und eine Menge liberaler manchmal auch links-liberaler Leute finden das gut so. Meiner Meinung nach führt das zu ungleichen Machtverhältnissen und einer problematischen Repräsentation, die auf dem Bild der Nahost-Bevölkerung als Opfer basiert, als Menschen, die hilfsbedürftig und nicht handlungsfähig sind – das hängt alles zusammen.

Hier zeigt sich: Die Lage ist eben nicht wie in der Hochphase des Kolonialismus im 19. Jahrhundert, sondern viel komplizierter und vielschichtiger. Du magst zwar gute Absichten haben, aber tatsächlich bekräftigst du das Zerrbild des Nahen Ostens.

Welche Rolle spielen die verinnerlichten Orientalismen, über die du dich auch lustig machst?

Mich interessiert die Abwendung vom Universalismus hin zu einem gängigeren Kulturalismus und identitätsorientierter Politik. Das beschäftigt mich auf einer intellektuellen Ebene sehr. Ich glaube, man hat sich von traditionellen Arten des Sektierertums zwar entfernt, doch nimmt es dafür andere, sehr aktuelle Formen an.

Das hat sich insbesondere in den letzten zehn Jahren mit dem Aufschwung der sozialen Medien gezeigt. Du kannst eine virtuelle Identität entwickeln, eine Rolle spielen, die von deinen tatsächlichen und materiellen Handlungen total losgelöst ist. Früher war Politik stärker an eine materielle Position geknüpft. Jetzt kannst du dank digitaler Medien diese Fantasierollen entwickeln. In Hinblick auf den Nahen Osten heißt das: Du kannst heutzutage eine beliebige Identität wählen und ihr ein historisches Fundament geben. Du kannst eine osmanische, assyrische oder panarabische Identität annehmen – aber all das ist vorgefertigt und fügt sich in einen fast hobbymäßig betriebenen Identitätswahn ein.

Mein Verständnis solcher Identitäten war schon immer, dass sie durch die Beschaffenheit unserer sozio-ökonomischen und politischen Beziehungen bedingt und nicht naturgegeben sind. In meinem Humor kommt das vielleicht nicht immer rüber, aber genau das ist die eigentliche Motivation dahinter.

Gibt es Ausdrücke, Schlagzeilen usw., die dich tatsächlich aufregen oder die du gefährlich findest?

Nicht unbedingt gefährlich, aber wie hieß der Typ nochmal, der ISIS interviewt hat …

… Jürgen Todenhöfer …

Genau, Herr Todenhöfer. Da wurde ein Riesending daraus gemacht, dass er als «erster Journalist» ISIS interviewt hat. Was mich echt aufgeregt hat, war, dass man darum so ein Trara gemacht hat, dass er der erste westliche Journalist war, der mit ihnen gesprochen hat. Obwohl es so viel tolle Berichterstattung von Reporter*innen aus der Region gibt, schien es, als könne der erste verlässliche Bericht nur von einem westlichen Journalisten kommen. Wenn Glaubwürdigkeit so offensichtlich an den Westen gekoppelt ist, dann macht mich das sauer.

Stößt du mit deiner Arbeit auch auf Kritik?  

Es ist irgendwie seltsam: Ich werde zwar kritisiert, aber die Leute teilen ihre Kritik nicht direkt mit mir (lacht). Da war zum Beispiel dieser krasse Postkolonialist, der meine Satire dekonstruiert hat … Ich verstehe nicht ganz, warum die Leute das nicht direkt mit mir teilen. Manchmal schicken mir andere Leute dann Screenshots. Es ist irgendwie schade, dass Leute stundenlang Tausende Wörter über etwas schreiben, das mich eine halbe Stunde gekostet hat, und mich dann nicht einmal öffentlich damit konfrontieren.

Ich nutze in meiner Arbeit viele Stereotypen, aber ich mache das, um die Konstruktionsweise dieser Bilder und Stereotypen zu untergraben – dafür muss ich sie nun mal in meine Satire einbeziehen. Manche meinen, dass meine Arbeit diese Stereotype eher stärkt, als sie infrage zu stellen. Das kann man so sehen und ist auch legitim. Aber keiner hat mich dazu je direkt kritisiert – immer nur auf heimlichen Kanälen, was ich total absurd finde. Eine Zeit lang kursierte auf Twitter das bescheuerte Gerücht, ich würde für die CIA arbeiten und Satire sei das Opium des Volkes. Kein Witz, das haben die Leute ernst gemeint. Ihrer Ansicht nach zerstören Leute wie ich jede Grundlage für Solidarität und stehen der weltweiten Revolution im Weg. Sie sagen, mein durchweg satirischer Ton sei ein Fluch für den internationalen Arbeiterkampf.

Robert Fisk, Thomas Friedman … Was würdest du solchen Experten mitgeben wollen, wenn du ihnen mal im Aufzug begegnest?

Robert Fisk habe ich in den 90ern mal getroffen. Er hat irgendwelche US-Senatoren in Beirut herumgeführt. Ein ganz freundlicher Typ, der aber nicht gerade so wirkte, als sei er für Vorschläge offen. Dafür war er schon viel zu abgeklärt. Und ich glaube, so ähnlich ist es auch mit Thomas Friedmann, der so fest an seinen eigenen Bullshit über Globalisierung und nichtlineare Entwicklung und den ganzen Käse glaubt ... Sollte ich denen im Aufzug begegnen, würde ich sie eher mit einem One-Liner verspotten, als ihnen irgendwelche Ansichten anzudrehen.

Welche drei Bücher empfiehlst du uns als Gegenmittel zu stereotyper Berichterstattung?

Ich würde nicht ein bestimmtes Buch empfehlen, weil ich glaube, man braucht vielseitiges Wissen, um diese Zerrbilder zu entkräften. Aber gewisse Bücher kann ich aufgrund ihrer materialistischen Ansätze empfehlen. Zum Beispiel Theodor Hanf, ein deutscher Forscher, der eines der besten Bücher zum Bürgerkrieg im Libanon geschrieben hat: «Koexistenz im Krieg. Staatszerfall und Entstehen einer Nation im Libanon». Oder Hana Batatus Buch zur Kommunistischen Partei Iraks.

Ich denke, ein wirkliches Mittel gegen die gesamte Schieflage ist der Materialismus. Jede Bemühung, Stereotype zu widerlegen, läuft sonst Gefahr, einem repräsentationellen Idealismus zu erliegen und die materiellen Wirklichkeiten auszublenden. Dann neigt man dazu, zu sagen, «wir sind so toll und super» und landet wieder beim Essentialismus – egal, ob es sich nun auf den Nahen Osten oder Araber*innen oder Kurd*innen oder wen auch immer bezieht. Ich glaube, bewusste Anstrengungen, Stereotypen etwas entgegenzusetzen, können manchmal in sehr reduktionistischen Perspektiven münden, die im Grunde nichts Materialistisches haben – und daher kontraproduktiv sind.
 

Übersetzung: Charlotte Thießen und Utku Mogultay für Gegensatz Translation Collective