Nachricht | Wirtschafts- / Sozialpolitik - Südostasien Vietnam im Scheinwerferlicht

Doppelte Verantwortung im UN-Sicherheitsrat und ASEAN

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Celine Burke,

Gruppenbild der Außenminister der ASEAN-Staaten (Verband Südostasiatischer Nationen) in Nha Trang, Vietnam, 17. Januar 2020
Gruppenbild der Außenminister der ASEAN-Staaten (Verband Südostasiatischer Nationen) in Nha Trang, Vietnam, 17. Januar 2020 picture alliance/AP Photo

Das Jahr 2020 wird verheißungsvoll für Vietnam. Seit dem 1. Januar 2020 nimmt das Land eine Doppelfunktion ein, die für die gesamte Region von großer Bedeutung sein kann und die Möglichkeit bietet, entscheidende Akzente zu setzen. Mit dem Vorsitz der Staatengemeinschaft ASEAN und einem Sitz im UN-Sicherheitsrat hat es die Chance, regionale mit globalen Themen zu verknüpfen, und die Kooperation zwischen beiden Institutionen zu stärken. Besonders der Konflikt im Südchinesischen Meer dürfte dabei eine entscheidende Rolle spielen.

Zwischen regionalen und globalen Herausforderungen

Gemäß dem Rotationsprinzip übernimmt Vietnam in diesem Jahr den Vorsitz des Verbundes Südostasiatische Nationen (kurz ASEAN), der 1967 von anfänglich fünf Staaten gegründet wurde, und mittlerweile zehn Südostasiatische Nationen umfasst. Ziel von ASEAN ist dabei grundsätzlich die Verbesserung der Kooperation zwischen den Staaten bezüglich politischer, wirtschaftlicher und sozialer Themen. Mit neuen regionalen sowie globalen Herausforderungen haben sich jedoch auch die Themenfelder im Fokus von ASEAN gewandelt, sodass Fragen rund um Konfliktmanagement und Sicherheitspolitik eine zunehmend verstärkte Rolle spielen.

Vietnam trat der Staatengemeinschaft 1995 bei, und feiert somit in diesem Jahr zusätzlich das 25. Jubiläum seines Beitritts. Gleichzeitig wurde es mit 192 von 193 Stimmen für 2020 in den UN-Sicherheitsrat gewählt. Während der jeweils einjährigen Amtsperiode könnte sich Vietnam nun unter anderem für eine verbesserte Kooperation zwischen den beiden Institutionen einsetzen.

ASEAN werde weiterhin Frieden und Stabilität sowie wirtschaftlichen Wohlstand in der Region fördern und die auf die ASEAN-Staaten ausgerichtete regionale Architektur weiter stärken, betonte Generalsekretär Lim Jock Hoi Anfang Dezember auf dem siebten ASEAN-UN Workshop in Hanoi. Vietnams Vize-Außenminister Nguyễn Quốc Dũng forderte eine engere Zusammenarbeit zwischen ASEAN und den Vereinten Nationen, um die politische und sicherheitspolitische Zusammenarbeit bei der Konfliktprävention zu verbessern.[1]

Im Zentrum einer Region, die als besonders dynamisch, wandelbar und aufstrebend bezeichnet wird, geht es jetzt folglich zunehmend darum, institutionelle Strukturen zu stärken und kohärente Positionen zu entwickeln. Die komplexe Aufgabe, regionale und globale Themen zu adressieren und Kooperation zu stärken fällt in diesem Jahr Vietnam zu.

Regionale Herausforderungen für ASEAN

Die Koordination und Ausarbeitung gemeinsamer Positionen in ASEAN stellt sich aufgrund von verschiedenen Faktoren jedoch als besonders herausfordernd dar. Die kulturelle, politische und wirtschaftliche Diversität der Staatengemeinschaft und die daraus resultierenden unterschiedlichen nationalen Interessen machen die Entscheidungen in einem übergeordneten Gremium wie ASEAN grundsätzlich schwierig. Dazu kommt die zunehmende Komplexität von Wirtschaftsbeziehungen und Interdependenzen, die zusätzlich zu einem fehlenden Konsens führen. Da die Entscheidungsfindung in ASEAN jedoch nach dem Einstimmigkeitsprinzip erfolgen muss, gestaltet sich die Einigung auf ein gemeinsames Vorgehen, dass für eine Stärkung der Institution wichtig wäre, äußerst kompliziert.

Besonders deutlich zeigt sich die Uneinigkeit im Bereich von sicherheitspolitischen Themen, während sich die Lage im territorialen Konflikt um das Südchinesische Meer weiter zuspitzt. Nächstes Jahr beginnt die kritische Phase der insgesamt dreijährigen Verhandlungen um einen «Code of Coduct» (COC), der in 2021 die «Declaration of Conduct of Parties in the South China Sea» (DOC) von 2011 ablösen soll. Dabei verhandeln die ASEAN Nationen mit China unter anderem Verhaltensregeln, Verantwortlichkeiten und Methoden für das weitere Vorgehen im Konflikt um die strittigen Gewässer.

Verschiedene Herangehensweisen an Konflikte, fehlende Mechanismen zur Streitbeilegung, und der unklare rechtliche Status des COC lassen jedoch die Vermutung zu, dass ähnlich wie von der Vorgängerversion DOC nicht mehr als eine rein symbolische Wirkungskraft ausgehen wird. Dafür spricht vor allem die als wahrscheinlich angenommene fehlende Bereitschaft Chinas, sich auf ein rechtlich bindendes Abkommen einzulassen. Dabei gibt es durchaus eine starke Verhandlungsgrundlage für die  ASEAN Staaten. Im Juli 2016 entschied das ständige Schiedsgericht in Den Haag zugunsten der von den Philippinen vorgebrachten Klage, und gegen chinesische Hoheitsansprüche im Südchinesischen Meer. Die fehlende Einigkeit innerhalb von ASEAN in Kombination mit der Konsensregel macht es jedoch nahezu unmöglich, in den Verhandlungen ein Gegengewicht zu China darzustellen. Daher entwickeln sich verstärkt Diskussionen darüber, inwiefern die Konsensregeln noch zeitgemäß und in der Lage dazu sind, eine angemessene Antwort auf die vorhandene Sicherheitslage darzustellen.

Als Alternative wird häufig ein flexibler Konsens ins Spiel gebracht, die sogenannte «ASEAN minus X» Formel (A – X), die bisher meistens in Bezug auf wirtschaftliche Abkommen angewendet wurde, jedoch auch im Rahmen der ASEAN-Konvention zur Terrorismusbekämpfung Verwendung fand. Im Rahmen des A-X-Verfahrens können sich mehrere gleichgesinnte Staaten zunächst auf einen bestimmten Modus Vivendi verständigen, um anschließend die schrittweise Ratifizierung aller Mitglieder anzustreben. Dahinter steckt die Überlegung, dass einige Staaten früher als andere dazu in der Lage sind, sich beispielsweise ökonomisch zu öffnen. In Bezug auf die anstehenden Verhandlungen um die Zukunft im Südchinesischen Meer würde es eine Ausweitung der A – X Formel auf bestimmte Sicherheitsbereiche  in der Theorie möglich machen, eine verstärkte Reaktion nach Peking zu senden, ohne das Konsensprinzip generell auszuhöhlen. Nationale Prioritäten wie das Grundprinzip der nationalen Souveränität und territorialen Integrität würden dabei unangetastet bleiben, nicht aber ohne das Risiko einzugehen, die Staaten weiter auseinanderzubringen, anstatt sie anzunähern.

Vietnam könnte sich während seines Vorsitzes darauf fokussieren, die Grundlage für eine harmonisierte Konsensbildung in ASEAN zu schaffen. Durch die Vereinigung von ASEAN Küstenstaaten werden Initiativen zur vertieften Zusammenarbeit in Bezug auf maritime Sicherheit auch ohne die ausdrückliche Unterstützung aller Mitgliedsstaaten möglich. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Anliegen von Fischergemeinden gestärkt werden, die als Betroffene vom Konflikt in den Verhandlungen mit China um einen COC bisher kein Gehör finden.

Globale Herausforderungen im UN-Sicherheitsrat

Dass Vietnam 2020 zusätzlich zum ASEAN Vorsitz auch einen Sitz im UN-Sicherheitsrat einnimmt, symbolisiert die besondere Stellung einer Nation, die immer öfter als regionaler Koordinator fungiert. Die Stabilität in der Region ist wichtig für das rasante wirtschaftliche Wachstum Vietnams, dass durch die Aushandlung von Freihandelsabkommen immer weiter ausgereizt wird. Zu den neuesten Abkommen gehört das transpazifische Partnerschaftsabkommen CTPPT und das Handelsabkommen EVFTA mit Europa. Letzteres soll 2020 ratifiziert werden, und könnte Hochrechnungen zufolge allein für eine weitere Steigerung des Bruttoinlandsprodukts um bis zu 4.3% bis 2030 sorgen [2].

Die wirtschaftliche Öffnung hat Vietnam zu einem Land mit niedrigem bis mittlerem Einkommen gemacht, Tendenz weiter steigend. Um sein Wirtschaftswachstum auch weiterhin sicherzustellen, nimmt Vietnam zunehmend eine Vermittlungsfunktion ein.

«Mit den beiden ASEAN-Mitgliedstaaten Indonesien und Vietnam, die 2020 im UN-Sicherheitsrat sitzen, kann ASEAN mehr tun, um die regionalen Bemühungen von ASEAN mit von den Vereinten Nationen geführten globalen Anliegen zu bündeln und sicherzustellen, dass der internationale Frieden und die internationale Sicherheit inmitten schnelllebiger und komplexer Entwicklungen gesichert und aufrechterhalten werden» [3] betonte Vietnams Vize-Außenminister Nguyễn Quốc Dũng. Politische Stabilität und Frieden sind unabdingbar, um die Region unter Einbezug globaler Angelegenheiten zu stärken.

Im Hinblick auf Vietnams Entwicklungskurs zeichnet sich jedoch ein deutliches Spannungsfeld ab: Die Vereinbarkeit von Wirtschaftswachstum und einem entsprechend steigenden Energiebedarf mit der Notwendigkeit, dringend Emissionen zu reduzieren, stellt das Land vor große Probleme. Eine neue Studie von Climate Central, einer Wissenschaftsorganisation mit Sitz in New Jersey, sagt voraus, dass mehr als 20 Millionen Menschen in Vietnam in Gebieten leben, die 2050 überflutet sein werden. Dazu gehören auch weite Teile des wirtschaftlichen Zentrums Ho Chi Minh City [4].

Die finanziellen Ressourcen zur Bekämpfung des Klimawandels sind jedoch limitiert, und Vietnams Weltbank-Klassifikation als Land mit niedrigem bis mittlerem Einkommen sorgt dafür, dass internationale finanzielle Unterstützung zunehmend in Länder mit niedrigen Einkommen verlagert wird. Der Leiter der vietnamesischen Ständigen Mission bei den Vereinten Nationen, Botschafter Đặng Đình Quý, betonte auf einer Pressekonferenz in New York, dass die Bekämpfung der Auswirkungen des Klimawandels auf Frieden und Sicherheit zu den Prioritäten Vietnams im nächsten Jahr gehören werde [5].

Die Amtszeit von je einem Jahr bietet nur eine sehr begrenzte Möglichkeit für die Ausarbeitung und Implementierung von politischen Zielen. Vietnam kann jedoch in 2020 eine Richtung einschlagen, die gegen die zunehmende Unsicherheit in den internationalen Beziehungen arbeitet, und die Kooperation zwischen ASEAN und den Vereinten Nationen durch eine regelbasierte Ordnung stärkt. Innerhalb ASEAN hat es die Möglichkeit, für eine effizientere Entscheidungsfindung und multilaterale Streitbeilegungsmechanismen einzutreten, um sicherheitspolitische, ökonomische und ökologische Herausforderungen zu balancieren.

[2] https://en.nhandan.org.vn/business/item/8204702-vietnam-strives-to-join-upper-middle-income-countries.html

[3] https://vietnamnews.vn/politics-laws/569366/asean-un-relations-becomes-role-model-of-cooperation.html#XbQ2DExSqL2DHgw4.97

[4] https://www.nature.com/articles/s41467-019-12808-z

[5] https://vietnamnews.vn/politics-laws/569840/viet-nam-introduces-priorities-during-tenure-on-un-security-council.html#VdMUPVLzegxOVvD4.97