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Die Rosa-Luxemburg-Stiftung gründet ein Ortskraftbüro in Tuzla, Bosnien-Herzegowina

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Straßenszene in Priština, Kosovo
Straßenszene in Priština, Kosovo CC BY-NC-ND 2.0, Cindy Dam, via Flickr

Zum 1. Januar 2020 nahm ein neues Ortskraftbüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tuzla, Bosnien-Herzegowina, seine Arbeit auf. Dieses Büro wird in Zukunft politische Bildung in Albanien, Bosnien-Herzegowina sowie dem Kosovo von Tuzla aus koordinieren und gemeinsam mit Partner*innen vor Ort durchführen. Das Büro führt damit die Arbeit des Belgrader Büros der Stiftung fort, welches seit bereits zehn Jahren in der Region Südosteuropa tätig ist und wird auch zukünftig angedockt an das Regionalbüro in Belgrad arbeiten.

Krunoslav Stojaković leitet das Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung Südosteuropa in Belgrad.

Selbst innerhalb der peripheren Ökonomien Südosteuropas stellen Bosnien-Herzegowina, Albanien und das Kosovo eine Art Sub-Peripherie dar. Schon im sozialistischen Jugoslawien gehörten Bosnien-Herzegowina, vor allem aber das Kosovo, zu den unterentwickelten Regionen mit einer niedrigen Wirtschaftsleistung, relativ hoher Analphabetenquote sowie schlecht ausgebauter Infrastruktur. Die jugoslawischen Zerfallskriege in den 1990er Jahren sowie die sich daran anschließenden Privatisierungswellen haben die Wirtschaftskapazitäten beider Staaten noch einmal deutlich reduziert. Bosnien-Herzegowina hat infolge des Friedensvertrages von Dayton politisch dysfunktionale Strukturen, eine kohärente Staats- und Wirtschaftspolitik findet kaum statt. Dies zeigt sich etwa in einer offiziellen Arbeitslosenquote von knapp 40 Prozent, mehr als die Hälfte davon sind Frauen.

Ähnlich sieht die Situation im Kosovo aus, welches ökonomisch ohne Hilfe von außen nicht überlebensfähig ist, und sich zudem in einem schwierigen politischen Dialogprozess mit Serbien befindet. Die zwar zu erwartende Anerkennung des Kosovo durch die Republik Serbien wird allerdings kaum positive Folgewirkungen auf den katastrophalen sozio-ökonomischen Zustand des Kosovo haben. Schon zu jugoslawischer Zeit galt das Kosovo als «Armenhaus», und an dieser Feststellung hat sich leider nichts geändert. Hier liegt die Arbeitslosenrate bei offiziell etwas über 30 Prozent, inoffiziell wird aber davon ausgegangen, dass das Kosovo eine noch höhere Quote als Bosnien-Herzegowina aufzuweisen hat.

In Albanien sind die makroökonomischen Daten ähnlich ernüchternd, ebenso wie das Problem der Korruption und ein kaum funktionsfähiges Rechts-, Bildungs- und Gesundheitssystem. Zudem hat das Land eine nur bedingt existierende Infrastruktur, was die Kommunikation zwischen den verschiedenen Landesteilen, aber eben auch mit seinen Nachbarn, erschwert. Der größte Arbeitgeber in Albanien ist ein französisches Call-Center-Unternehmen mit sehr geringen Löhnen und einer ausgesprochen gewerkschaftsfeindlichen Unternehmenspolitik. Viele Albaner*innen sind gezwungen, über Scheinselbstständigkeiten mehrere Jobs zur Existenzsicherung auszuüben, oder aber sich durch Gartenanbau oder Landwirtschaft Grundnahrungsmittel selbst herzustellen.

Zu den thematischen Schwerpunkten unserer Arbeit in Albanien, Bosnien-Herzegowina sowie dem Kosovo zählen vor allem Fragen gewerkschaftlicher Organisierung und Arbeit-Kapital-Beziehungen, aber auch Antifaschismus, Migration, in Zukunft auch vermehrt Fragen der Klimagerechtigkeit.

In unserer Arbeit in Albanien, Bosnien-Herzegowina sowie dem Kosovo sollen dementsprechend Fragen sozialer Rechte und sozialer Gerechtigkeit einen Schwerpunkt bilden. Das betrifft insbesondere die Förderung gewerkschaftlicher Organisierung, Durchsetzung von Arbeiter*innenrechten und die Analyse von Arbeit-Kapital-Beziehungen. Aber auch Themen wie Antifaschismus, Migration (sowohl vieler Menschen aus der Region nach Westeuropa als auch die Situation von Geflüchteten an den Außengrenzen der EU), sowie in Zukunft auch vermehrt Fragen der Klimagerechtigkeit werden unsere Arbeit prägen.

Daraus leitet sich auch die Zielstellung des neuen Büros ab: Stärkung sozialer und politischer Rechte sowie ihrer Artikulation in der Öffentlichkeit. Dazu sollen bestehende Kooperationen mit lokal verwurzelten Partnern in Albanien und Bosnien-Herzegowina fortgesetzt werden. So hat beispielsweise die albanische Partnerorganisation «Institut für Kritik und gesellschaftliche Emanzipation» im vergangenen Jahr im Rahmen unserer Projektzusammenarbeit maßgeblich an der Gründung einer neuen, unabhängigen Gewerkschaft im albanischen Telekommunikationssektor mitgewirkt. In diesem Kontext konnte auch eine sehr produktive Zusammenarbeit mit der globalen Gewerkschaftsföderation «UNI Global Union» entwickelt werden. Partner in Bosnien-Herzegowina, wie etwa «Front Slobode» aus Tuzla, waren und sind wichtige Akteure in der Organisierung und politischen Bildung von Arbeiter*innen.

Ein weiteres, wichtiges Themenfeld wird auch der Antifaschismus sein. Dies nicht etwa in Form von Gedenkveranstaltungen und historischer Auseinandersetzung, sondern als aktuelle, tagespolitische Aufgabe. So etwa in einem Land wie etwa Bosnien-Herzegowina, das mit dem Friedensvertrag von Dayton nach ethnischen Gesichtspunkten aufgeteilt worden ist, in seiner historischen Erfahrung aber maßgeblich am Zustandekommen einer plurinationalen, antifaschistischen Partisanenbewegung beteiligt war.

Nach Monaten der Registrierung des Büros und der Suche nach Büroräumen und neuen Kolleg*innen, hat das Büro Tuzla im Januar dieses Jahres seine Arbeit aufgenommen. Im September 2020 wird das Büro offiziell mit Partner*innen und Genoss*innen seine Eröffnung feiern.