Nachricht | Westafrika Eine gute Zeit

Ein persönlicher Rückblick auf vier Jahre in Dakar

Information

Foto: Armin Osmanovic

Ende Februar 2020 verlasse ich nach etwas mehr als vier Jahren das Regionalbüro der Rosa Luxemburg Stiftung (RLS) für Westafrika in Dakar. Ab September werde ich das Regionalbüro der RLS für Nordafrika in Tunis leiten. Die Arbeitszeit in Dakar ging fast wie im Flug vorbei. Das hat vor allem mit den vielen interessanten Projekten zu tun.

Fragen zur Zukunft Afrikas stellen

Dazu zählten die drei Ausgaben der Ateliers de la Pensée in Dakar in den Jahren 2016, 2017 und 2019. Über die Partnerschaft mit Achille Mbembe und Felwine Sarr bin ich besonders froh, denn eine eigene kritische Reflektion von Vergangenheit und Gegenwart Afrikas ist Voraussetzung für die Gestaltung der Zukunft. Dass die Zukunft Afrikas vor allem von Afrikaner*innen unternommen werden muss, versteht sich von selbst. Die Ateliers habe ich nie anders als ein Laboratorium für Begegnungen und Ideen verstanden; wichtige Voraussetzungen für Emanzipation und Selbstbestimmung. In diesem Sinne sollte auch der erste Alternative Bericht zu Afrikas Entwicklung eingeordnet werden, den Enda Tiers Monde mit zahlreichen afrikanischen Wissenschatler*innen im Jahr 2018 begonnen hat. Ebenso hat die Diskussion um die Zukunft des Franc CFA, in der mein Kollege Ndongo Samba Sylla mit seinen Publikationen eine wichtige Rolle spielt, hier einen wichtigen Beitrag geleistet.

Mehr öffentliche Diskussion

In Westafrika wird viel diskutiert, aber nicht unbedingt an den Universitäten. Westafrikas Hochschulen sind mangels Finanzmittel meist bloße Ausbildungsstätten. Zu selten sind sie lebendige Orte der Diskussion und der politischen Einmischung. Kritik beschränkt sich häufig nur auf Forderungen nach besseren Studienbedingungen. Immer wieder haben wir daher wichtige Veranstaltungen an den Universitäten veranstaltet – zum Beispiel zur neuen Welt(un)ordnung mit Bertrand Badie (Science Po, Paris) im Jahr 2016 oder im vergangenen Jahr zur Krise im Sahel. In Nigeria, wo die RLS seit 2017 mit einer Mitarbeiterin dauerhaft präsent ist, haben wir in den vergangenen zwei Jahren mehr als 20 Diskussionsveranstaltungen an Universitäten und Instituten mit insgesamt über 2.000 Teilnehmer*innen durchgeführt und auch in Saint-Louis im Senegal haben wir mit lokalen Partnern Gesprächsrunden für Studentinnen organisiert.

Erinnerung, Gerechtigkeit und Versöhnung

In den vergangenen vier Jahren hat die RLS Dakar in drei neuen Ländern (Côte d’Ivoire, Gambia und Kapverden) der Region die Arbeit aufgenommen. Besonders stolz bin ich auf die neue Zusammenarbeit mit der Fondação Amílcar Cabral in Praia. Ausgehend von einem Forschungsprojekt von Frau Angela Coutinho zur Rolle der Frauen im Befreiungskampf von den portugiesischen Kolonialherren haben wir eine Partnerschaft begründet, die das politische Denken und Wirken von Amílcar Cabral durch Ausstellungen, Seminare und Archiventwicklung würdigen soll. Unser gemeinsames Ziel ist es, Cabrals Schriften im Rahmen des UNESCO Weltdokumentenerbes für zukünftige Generationen zu sichern.

Als politische Stiftung mit Sitz in Deutschland habe ich die Auseinandersetzung mit der eigenen deutschen Geschichte, wo sie über Deutschland hinausreicht, zum Programm gemacht. Im Rahmen der Migrationsdebatte erinnerte Ulrich Herbert (Universität Freiburg) 2016 in einem Gastvortrag am Goethe Institut in Dakar an die (west)deutsche Migrationsgeschichte, ihre Integrationsleistungen und Versäumnisse. Und im Januar 2019 gedachten wir in Dakar im neu eröffneten Museum schwarzer Zivilisationen mit einer Filmaufführung dem Holocaust. Mit nigerianischen, senegalesischen und gambischen Studierenden und Lehrer*innen diskutierten wir die Lehren aus der Shoah, dem Völkermord in Ruanda und den Terror in Westafrika. Und mit westafrikanischen Aktivist*innen besuchten wir im Juni 2019 Auschwitz, Majdanek, Berlin und Ravensbrück. Bei einem Besuch in Guinea im Mai 2019 trafen wir mit Opfervertreter*innen zusammen. Hierbei ging es um die Ausgestaltung des neuen Programms Erinnerung, Gerechtigkeit und Versöhnung und die Möglichkeiten, an die Verbrechen im Namen des Afrikanischen Sozialismus während der Herrschaft von Sekou Touré zu erinnern. Das neue Programm zielt neben Guinea und Gambia vor allem auf Mali und die Côte d’Ivoire, wo in den vergangenen Jahren erstmals Aktivitäten stattfanden.

Demokratie oder Autoritarismus

Als linke Stiftung stehen wir ein für Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit, Gewaltfreiheit, Toleranz, Natur- und Umweltschutz, Emanzipation und Selbstbestimmung. Wir diskutieren unsere Ziele wenn immer möglich mit unseren Partnern. Das ist nicht immer einfach, auch nicht für die andere Seite. Doch Dialog schließt Streit mit ein. Nur eine möglichst offene Begegnung eröffnet den Weg zu Verständnis und gemeinsamen Handeln. Politisches Handeln braucht Ziele. Bis zum Fall der Mauer 1989 war der Gegensatz von Kapitalismus und Sozialismus dominant. Heute haben wir es mit dem Gegensatz von Demokratie und Autoritarismus zu tun. Das heißt nicht, dass die soziale Frage, die die Urgroßmütter und –väter des Sozialismus wie Rosa Luxemburg, Jean Jaurès oder Karl Marx umtrieb, passé ist. Die globale Ungleichheit hat zwar vor allem wegen der fulminanten chinesischen Wirtschaftsentwicklung, die Millionen von Menschen aus der Armut hievte, abgenommen, doch in vielen Ländern nahm die soziale Ungleichheit in den vergangenen Jahrzehnten zu.

Westafrika blieb trotz wirtschaftlicher Fortschritte von Massenarmut gekennzeichnet. Das hat mit der Einbindung Afrikas in die Weltwirtschaft, den europäischen Agrarsubventionen genauso zu tun, wie mit schlechter Regierungsführung und eigenen Gesellschaftsstrukturen. Der Tod auf dem Weg ins Kilometer entfernte nächste Krankenhaus, wo es nicht immer ausreichend Medikamente gibt, gehört weiter genauso zum Lebensalltag vieler Menschen in der Region wie überfüllte Klassenzimmer und unkontrollierbar gewordene Müllberge. Für die überwiegende Mehrheit der Westafrikaner*innen kommt die Diagnose einer schweren Krankheit einem Todesurteil gleich. Aber auch traditionelle gesellschaftliche Barrieren, wie das Kastensystem und die Sklaverei, gegen die der Partner TEMEDT in Mali ankämpft, führen dazu, dass große Teile der Bevölkerung systematisch benachteiligt werden.

Vor die soziale Frage drängen sich auch in Westafrika neue Herausforderungen, allen voran die Zukunft der Demokratie und unseres Planeten angesichts der globalen Erderwärmung. Aber auch in Afrika ist der Autoritarismus zurück. Nach einer kurzen Phase der Demokratisierung in den 1990er Jahren schalten heute viele Regime wieder Diskussionen und Opponent*innen aus. Der Gang ins Gefängnis ist für einen westafrikanischen Aktivist*innen wieder normal, auch unter den Partnern der RLS. Die afrikanische Zivilgesellschaft bleibt leider weiter schwach. Das hat vielfältige Gründe – und hat auch mit uns in Europa zu tun. Um den Autoritarismus der afrikanischen Regime nach Ende des Kolonialismus scherte man sich in Ost und West wenig, so lange die Regierung nicht ins andere Lager überwechselte. Heute fürchtet man bei Kritik an Afrikas Herrschern Einfluss an Peking zu verlieren, dessen Modell viele Regierende in Afrika nachzueifern versuchen. Man versteht sich auf Einschüchterung, das habe auch ich gelernt. Glücklicherweise reicht die afrikanische Überwachungs- und Disziplinierungstätigkeit (noch) nicht an chinesische Standards heran.

Danke!

Gefreut hat mich zum Schluss meiner Zeit in Westafrika, dass es unseren Partnern in Bargny (Senegal) gelang, das dortige Kohlekraftwerk zu stoppen. Schon in meiner Zeit als Büroleiter der RLS im Südlichen Afrika konnte ich mitverfolgen, wie der dortige Partner CARES die Pläne für den Bau eines Kohlekraftwerks in Mauritius stoppen konnte.

Mein Dank gilt den vielen Partnern, in Mali ASFA 21, in Niger AEC und Aghir'in'man, in Burkina Faso ODJ und CGT-Burkina, in Guinea CNTG, in Ghana TUC, in Nigeria HOMEF, OTUWA, Social Action und ACD sowie unseren Partnern im Senegal ARCADE, CNCR, Timbuktu Institute, die Theatergruppen von Kaddu Yarrax und BrrrProduction, das Festival FilmFemmeAfrique und schließlich MigDév, ein 2018 gegründetes Zentrum für Migranten.

Der Erfolg ist selbstverständlich Teamarbeit, aber es kommt auf jede*n einzelne*n und seinen*ihren Beitrag an. Danken will ich deshalb auch allen Mitarbeiter*innen der RLS in Dakar. Das Büroteam ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Während zunächst das Team aus den Projektmanagern Ndongo Samba Sylla, Bruno Sonko und Ibrahima Thiam und der Finanzerin Kolo Diallo sowie der Büroassistenz Maïmouna Ndao bestand, wird es nun von drei neuen starken Frauen, Angela Odah, Fatou Faye und Marie Nguettia verstärkt, die wichtige Akzente für das Programm der RLS setzen. Ich freue mich, auch wenn ich nicht mehr aktiv dabei sein kann, auf die Veröffentlichung zum Feminismus im Senegal und die bald stattfindende Feminismuskonferenz in Abidjan.

Danken will ich auch für die Unterstützung im Afrikareferat in Berlin, den vielen engagierten Partnern in der Region und den vielen Interessierten, die zu unseren Veranstaltungen kamen oder sich mit uns über die sozialen Medien in Verbindung gesetzt haben. Und natürlich bedanke ich mich bei meiner Familie, meiner Frau Odile und unseren drei Kinder Emma, Marc und Elie. Wir sind gemeinsam von Johannesburg nach Dakar aufgebrochen. Für Emma geht es jetzt nach Europa zum Studieren und wir vier machen weiter in Tunis!