Nachricht | Amerikas - Mexiko / Mittelamerika / Kuba Der «Maya-Zug»

Fotoreportage über den Plan einer Bahnstrecke quer durch die Regionen der Maya

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Alter Bahnhof, Valladolid, Yucatán.
Alter Bahnhof, Valladolid, Yucatán.

«Was plant die Regierung für uns? Dass wir an den Bahnhöfen Kunsthandwerk verkaufen? (…) Es gibt Alternativen, aber der Maya-Zug gehört nicht dazu».
Gregorio Hau, «Asamblea de Defensores del Territorio Maya Múuch' Xíinbal» (dt: Versammlung der Verteidiger*innen des Territoriums Maya Múuch’ Xíinbal)
  Foto: Maya Goded Colichio

Als eines der zentralen Infrastrukturprojekte seiner Amtszeit plant der amtierende Präsident Mexikos, Andrés Manuel López Obrador (der seine Regierung zunächst als links, später jedoch als liberal bezeichnete), den «Tren Maya» (dt: Maya-Zug). Vorgesehen sind 18 Bahnstationen, die auf einer Strecke von über 1.500 Kilometern fünf Bundesstaaten im Südosten Mexikos miteinander verbinden, unter anderen auch Städte wie Cancún, Playa del Carmen und Palenque. Mit der Zuganbindung «der zentralen, touristischen Städte und Routen» soll das Riesenprojekt «Gebiete mit großer biologischer und kultureller Vielfalt für die touristische, ökologische und soziale Entwicklung erschließen» und dadurch «den Bewohner*innen der Maya-Region gesellschaftlichen Wohlstand» bringen.

Gloria Muñoz Ramírez arbeitet seit 30 Jahren als Journalistin und sammelt Erfahrungen in indigenen Gemeinden und sozialen Bewegungen auf der ganzen Welt, während sie an Universitäts- und Gemeindejournalismuskursen unterrichtet. Sie ist die Gründerin und Herausgeberin von Desinformémonos, einem digitalen Kommunikationsraum, Kolumnistin der Zeitung La Jornada und Mitherausgeberin der Ojarasca-Beilage derselben Zeitung, die sich der indigenen Bewegung und Literatur widmet.

Maya Goded Colichio ist eine mexikanische Fotografin und Dokumentarfilmerin. Die Schwerpunkte ihrer Arbeit sind geschlechtsspezifische Gewalt, Marginalität, Ungleichheit, Transgression, Sexualität, Körper, Mythen und indigene Gemeinschaften. Sie ist die Autorin der Bücher Guerrero Negro (1994), Plaza de la Soledad (2006) und Good Girls (2006) sowie des Dokumentarfilms Plaza de la soledad (2016).

Bei verschiedenen Maya-Organisationen und -Gemeinden sowie Wissenschaftler*innen, Anthropolog*innen und Umweltschützer*innen stieß die Ankündigung des Riesenprojekts allerdings auf scharfe Kritik. Ihnen zufolge gefährdet die Bahnstrecke die Umwelt und würde auch große Auswirkungen auf Leben und Kultur der Maya-Bevölkerung in der Region haben. Im Streit um das Projekt treffen also zwei grundverschiedene Zukunftsvisionen für Mexiko aufeinander:

Einerseits will die mexikanische Regierung mit diesem Vorstoß Arbeitsplätze schaffen, die regionale Wirtschaft ankurbeln und die Lebensqualität der Bevölkerung durch den Aufbau einer infrastrukturellen Grundversorgung verbessern. Dabei ist anzumerken, dass Privatunternehmen bereits seit mehreren Jahren in Großprojekte in der Region investieren, vor allem in Solarzellen, das Agrobusiness und Windparks. Für sie würde der «Tren Maya» eine wertvolle infrastrukturelle Erschließung bedeuten. Allerdings haben diese Unternehmen bereits große Spuren in der Region hinterlassen. Zum Beispiel ist die Agrarindustrie weitgehend in den Händen von Mennonit*innen, die gentechnisch veränderte Sojabohnen von Bayer (zuvor Monsanto) anbauen – ganze Wälder mussten dabei den neuen Feldern weichen. Die Anbauflächen werden immer größer, Agrochemikalien vergiften Wasserläufe, Böden und Luft, was den gemeinschaftlichen Projekten der Maya-Imker*innen ein Ende setzt, die bislang einen Großteil ihres Biohonigs nach Deutschland exportierten und damit ihre Familien unterstützten konnten.

Auf der anderen Seite ist da der Wunsch, «das Wenige, was uns noch bleibt» zu beschützen, «die Berge, unseren Lebensstil, unsere Organisation, unsere Sprache und unsere Kultur», wie es Maya-Dichter und Aktivist Pedro Uc von der «Asamblea de Defensores del Territorio Maya Múuch’ Xíinbal» (dt: Versammlung der Verteidiger*innen des Territoriums Maya Múuch’ Xíinbal) in Worte fasst. Der Bau der Zugstrecke sieht auch die Umsiedlung der indigenen Bevölkerung vor. Dazu äußert sich Benito Caamal vom «Colectivo de Semillas Muuch Kanan l’inaj» (dt: Saatgut-Kollektiv Muuch Kanan l’inaj) allerdings wie folgt: «Ich will diesen Ort weder verlassen, noch will ich in die Nähe der Bahngleise ziehen. Ich werde nicht wegziehen, denn wir sind hier aufgewachsen. Unsere Ältesten und unsere Eltern sind hier. Die Regierung glaubt, dass wir alle umziehen wollen, aber wir werden bleiben».

«Ein weiteres Problem in unserer Region», sagt er, «ist das Wasser. Eine Brauerei im Westen der Stadt Mérida verwendet für ihre Produktion unser Wasser. Dabei versiegen bei uns die Brunnen. Sie zapfen das ganze Wasser ab und bereiten den Gemeinschaften große Sorgen, die plötzlich kein Trinkwasser mehr haben. Die Gegend, die man unter dem Namen Los Chenes kennt (…), ist auf das Grundwasser angewiesen. Der übermäßige Wasserverbrauch stellt einen Angriff auf unser Territorium dar. Die öffentliche Politik fördert den Reisanbau in einer Region, die dafür überhaupt nicht geeignet ist: In der Hitze verdunstet das hochgepumpte Grundwasser sofort».

Das Projekt wurde beschlossen, ohne dass Umweltverträglichkeitsstudien unternommen wurden oder eine wirkliche Konsultation der betroffenen Dörfer stattgefunden hätte, obwohl letzteres durch die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über indigene Rechte vorgeschrieben wird. Indigene Organisationen stellen den sogenannten «Maya-Zug» deshalb infrage. Dabei fängt die Kritik fängt schon bei der Namensgebung an: «Wer hat ihnen erlaubt, sich die Identität der Maya anzueignen?», fragen sich diejenigen, die auf eine kulturelle Tradition zurückblicken, die mehrere Tausend Jahre alt ist.

«Der Maya-Zug ist die erste regional geplante Touristenroute, die auf die neuen Erwartungen der zunehmend anspruchsvollen Tourist*innen eingeht», twitterte Andrés Manuel López Obrador. Dabei steht gar nicht fest, dass dies auch den Wünschen der Bevölkerung entspricht. «Viele Jugendliche machen praxisorientierte Ausbildungen in Gastgewerbe und Gastronomie, um dann in die touristischen Regionen zu gehen und dort Arbeit zu finden. Mit dem Einkommen hoffen sie, ihre Familien finanziell unterstützen können, aber diese Entwicklung führt in unseren Gemeinschaften nur zu Armut, Not und Abhängigkeit. In der Zeit unserer Großeltern gab es das nicht», meint Ángel Sulub Santos vom «Centro Comunitario U kúuchil k Ch'i'ibalo'on -Raxalaj Mayab'» (dt: Gemeinschaftszentrum U kúuchil k Ch'i'ibalo'on -Raxalaj Mayab').

«Das Entwicklungskonzept des Präsidenten stimmt nicht mit dem der Bevölkerung überein», betont auch Heber Uc Rivero, Mitglied des «Consejo Indígena de Bacalar» (dt: Indigener Rat von Bacalar). «Das Riesenprojekt wird uns als Startschuss für die Entwicklung unserer Gemeinschaften verkauft. Doch diese Art von Entwicklung stammt nicht aus unserer Feder, sondern ist eher die, die schon von Cancún bis Playa del Carmen umgesetzt wurde, wo die Gewaltkriminalität angestiegen ist und Drogenkartelle ihre Territorialkonflikte austragen».

Bislang ist die mexikanische Regierung nicht auf die Argumente widersprechender Mayas eingegangen. Die Bewohner*innen der Bundesstaaten im Südosten Mexikos fragen sich also weiterhin, wem dieser Fortschritt zugute kommen soll.