Nachricht | Eiben: Industriestädte und ihre Krisen; Göttingen 2019

Wilhelmshaven und Wolfsburg: Die 1970er- und 80er-Jahre als Stadtgeschichte

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In Eibens fundiertem Buch geht es um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von zwei mittleren niedersächsischen Städten in den 1970er und 1980er Jahren. Es bietet der Leserin einen Crossover zwischen Stadt-, Wirtschafts- und teilweise auch Mentalitätsgeschichte.

Bernd Hüttner ist Referent für Zeitgeschichte und Koordinator des Gesprächskreises Geschichteder Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Nach einer längeren Einleitung geht Eiben nicht streng chronologisch vor, sondern springt anhand der von ihm angenommenen zwei besonderen Krisenzeiten (1973-75 und 1981-1984) immer wieder zwischen den beiden Städten hin und her. Wilhelmshavenist von seiner Küstenlage und der Marine und der Kommune, die zusammen 15.000 Menschen beschäftigen und keine Gewerbesteuern zahlen, als größten Arbeitgebern gekennzeichnet. Als durch die Globalisierung etliche Industriearbeitsplätze verloren gehen, verschlechtert sich die eh nicht besonders gute Situation weiter. Das Steueraufkommen sinkt, Industrieansiedlungen gehen schief und führen vor allem zu einer steigenden Verschuldung der Kommune selbst, die darauf mit ersten Einschnitten für die Bevölkerung reagiert. Wilhelmshaven ist keine wirkliche Industriestadt, will dies erst (wieder) werden, und scheitert dabei.

Wolfsburg ist etwas größer und als Volkswagenstadt in einer anderen Situation. Es ist ohne Zweifel eine vor einigen Jahrzehnten erst extra gegründete Industriestadt, und befindet sich zwar nahe an Berlin, aber im Zonenrandgebiet und in nahezu kompletter Abhängigkeit vom VW-Werk, in dem 1975 46.000 Menschen arbeiten. Es wird scherzhaft «Großprotzendorf» genannt und ist eine Wohlstandsinsel in der weithin ländlichen Umgebung. Beide Städte sind sehr vom Arbeitsmarkt und dessen Struktur abhängig: Welche Arbeitskräfte werden benötigt und gesucht? Das VW-Werk sucht vor allem ungelernte Arbeiter, die hohen Löhne dort führen dazu, dass Arbeitskräfte z.B. aus dem Handwerk dorthin abwandern.

In beiden Städten gibt es in diesem Zeitraum trotz einer SPD-Hegemonie einen Abbau sozialer Leistungen, wenn auch noch keine Privatisierungen. Ebenso eine der Stadtverwaltung und den großen Arbeitgebern gegenüber unkritische, wenn nicht hörige Lokalpresse. Interessanterweise kritisiert in Wilhelmshaven früh eine ökologisch ausgerichtete, zivilgesellschaftliche Opposition die Ansiedlungspolitik scharf, und ist bereits ab 1972 im Stadtrat parlamentarisch vertreten. Schlussendlich schafft es Wilhelmshaven aber nicht, sein schlechtes Image als «Notstandsgebiet» loszuwerden.

Zusammenfassend stellt Eiben fest, dass die Auswirkungen der Ölkrise vergleichsweise gering waren, gravierender sind die steigende Arbeitslosigkeit, und in den Begründungen für den Sozialabbau sind schon die Argumentationsmuster des sich ankündigenden Neoliberalismus zu erkennen. In Wilhelmshaven klaffen die lokalen Krisenwahrnehmungen und -deutungen weiter auseinander als in Wolfsburg, im Längsschnitt gesehen macht Wilhelmshaven im Zeitraum 1960 bis 1990 einen weit größeren Wandel durch als Wolfsburg, die Küstenstadt nimmt, etwa durch den Tourismus, weit mehr postfordistische Züge an, als die «Autostadt».

Das sehr preiswerte Buch wird in einer Reihe des Institut für Zeitgeschichte und Stadtrepräsentation der Stadt Wolfsburg herausgegeben. Es zeigt, wie die Geschichte der 1980er Jahre die vielzitierte «Vorgeschichte der Gegenwart» ist, und wie Stadtgeschichte dazu beitragen kann. Stellenweise hätte die «quellengesättigte» Darstellung allerdings ruhig noch etwas mehr Interpretation und politische Zuspitzung vertragen können.

Jörn Eiben: Industriestädte und ihre Krisen. Wilhelmshaven und Wolfsburg in den 1970er und 1980er Jahren, Wallstein Verlag, Göttingen Dezember 2019, 304 Seiten, 19 EUR