Nachricht | Geschlechterverhältnisse - Partizipation / Bürgerrechte - Osteuropa - Corona-Krise Anders für das Frauenrecht

Noch immer hält das Regierungslager in Polen am Termin der Präsidentschaftswahlen fest –  am 10. Mai 2020

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Holger Politt,

Während das Land bereits in die sechste Woche der nun zur «nationalen Quarantäne» erklärten Corona-Zeit geht, sind es weiterhin die harten innenpolitischen Auseinandersetzungen, die gar nicht mehr in die schwere Zeit zu passen scheinen. Während anderswo Regierung und Opposition häufig wenigstens im Kampf mit dem Virus in die eine Richtung weisen, scheint der innenpolitische Graben hier unüberwindbar zu sein. Noch ist fest davon auszugehen, dass das von Jarosław Kaczyński geführte nationalkonservative Lager am Wahltermin festhalten wird, um für die später kommenden schweren Zeiten politisch ausreichend gerüstet zu sein. Die gesamte parlamentarische Opposition von ganz rechts bis links hingegen hält strikt dagegen, fordert wie eine starke Mehrheit in der Bevölkerung die Verschiebung des Wahltermins.

Holger Politt leitet das Regionalbüro Ostmitteleuropa der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Warschau.

Um zusätzliche Unruhe in die Reihen der Opposition zu bringen, holte die nationalkonservative Parlamentsmehrheit gleich nach Ostern mehrere Gesetzesvorschläge zur Beratung ins Hohe Haus, die Bürgerinitiativen nach entsprechender Unterschriftenzahl eingebracht hatten. Dieses Element direkter Demokratie spielte in diesen Fällen erzkatholischen und rechten Positionen in die Hände, unter anderem wurden die Vorschläge zum strikten Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen und zu einem mit drakonischen Strafen belegten Verbot von Sexualerziehung an den Schulen auf den parlamentarischen Weg gebracht. Zu befürchten stand, dass die Nationalkonservativen mit ihrer Sejm-Mehrheit im Schutze der im Zuge von Corona-Maßnahmen weitgehend außer Kraft gesetzten Versammlungsfreiheit nun Dinge durchzusetzen suchen, die im Oktober 2016 und im März 2018 an den entschiedenen öffentlichen Massenprotesten von Frauen und ihren Verbündeten an vielen Orten des Landes bereits zweimal gescheitert waren.

Zwar suchten die Nationalkonservativen eher das taktische Spiel und nicht die billige Entscheidung, so dass die Anträge in die Ausschüsse verwiesen wurden und nur noch geringe Chancen besitzen, wieder zurück ins Plenum zu gelangen, doch rief die bewusst in Kauf genommene Provokation der Regierungsmehrheit öffentlichen Protest hervor, den in seiner Wirksamkeit kaum noch jemand in den Corona-Zeiten für möglich gehalten hatte. Unter strikter formaler Wahrung aller Vorschriften darüber, wie im öffentlichen Raum sich zu bewegen sei, wurde der Warnstreik durchgeführt. In imitierten Schlangen mit dem gebotenen Sicherheitsabstand, so als wartete man geduldig auf die Öffnung der Geschäftsfiliale, wurde öffentlicher Widerstand augenscheinlich: «Frauenstreik!», «Pfoten weg von meinem Körper!», «Mein Körper, meine Wahl». Auch vor dem Sejm-Gebäude wurden die wenigen Möglichkeiten, sich öffentlich zu positionieren, kreativ ausgeschöpft.

Ansonsten werden nun auch in Polen die Stimmen wieder lauter, die einen klaren Fahrplan der Regierenden verlangen, wie öffentliches und Wirtschaftsleben wieder Schritt für Schritt hochgefahren werden könnten. Vom Grundsatz her folgt die Regierung der Devise, dass es auf absehbare Zeit so bleibt, wie es derzeit ist, wiewohl je nach aktueller Lage entsprechende Lockerungen verkündet werden. So wurde nun als ein erster Schritt das völlig überflüssige Verbot des Betretens von Wäldern, städtischen Parkanlagen und Grünflächen aufgehoben, auch dürfen Jugendliche von unter 18 Jahren nach über drei Wochen Stubenarrest wieder alleine, also ohne begleitenden Elternteil den heimischen Herd verlassen.

Ministerpräsident Mateusz Morawiecki kennzeichnete das Regierungsprogramm der nächsten Wochen wie folgt: Isolierung, Identifikation und IT-Offensive. Es geht also an der frischen Luft um die strikte Beibehaltung der Grundregeln des sozialen Distanzierungsgebots – jeweils nur eine Person alleine, mindestens zwei Meter Abstand zur nächsten Person bei wenigen Ausnahmen, und eine allgemeine Maskenpflicht. Die Regeln für Ladengeschäfte und für Arbeitsplätze sind ebenso scharf, Zuwiderhandlungen werden mit drakonischen Strafen geahndet. Unter Identifikation hingegen wird das behördliche Verfolgen von Telefondaten verstanden, wobei längst noch nicht klar ist, wie weit hier Eingriffe in Grundrechte geplant werden, weil sie als für die öffentliche Sicherheit unbedingt notwendig angesehen werden. Und im IT-Bereich wird eine Offensive angekündigt oder angemahnt, um Arbeitswelt sowie Schul- und Hochschulbetrieb weitgehend auf elektronische Formate umzustellen. Alles gelte, so der ins gleiche Horn stoßende Gesundheitsminister, solange kein ausreichender Impfstoff gegen das Virus zur Verfügung stehe.

Wenn in der öffentlichen Debatte nun jemand einwirft, dass alle diese Maßnahmen doch diejenigen eines Ausnahmezustands seien, wird regierungsseitig entgegnet, es sei höchstens eine herabgesetzte Stufe gesellschaftlichen Lebens – eine neue Normalität eben. Das läuft dann ein wenig in die Richtung, den noch ermöglichten Besuch eines Ladengeschäftes für einen letzten Beweis der bestehenden Normalität zu erheben. So jedenfalls führende Vertreter des Regierungslagers, wenn sie die Präsidentschaftswahlen am 10. Mai für durchführbar halten, könnten die Menschen doch trotz anhaltender Virusgefahr auch weiterhin ohne größere Probleme in die Geschäfte gehen.